vonEva C. Schweitzer 26.11.2009

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

Neulich saß ich mit ein paar Freunden in einem Café im West Village und wir diskutierten die Schweinegrippe, oder, genauer, die Gretchenfrage der Schweinegrippe: Lasst Ihr euch impfen?

Das letzte Mal, als ich über die Schweinegrippe diskutierte, das war in Berlin, im Sommer, mit einem Freund, der gerade einem Vortrag eines hochrangigen Wissenschaftlers gelauscht hatte; der wiederum hatte in den farbigsten Farben geschildert, wie die Schweinegrippe demnächst Zehntausende hinraffen werde wie die Pest im Mittelalter oder die Kalifornier in 2012. Das Virus müsse nur noch ein wenig mutieren. Mein Freund, schwer beeindruckt, beschloss, sich impfen zu lassen.

Ich bin noch in der Beobachtungsphase, und habe beobachtet, dass es in Deutschland zwei Impfstoffe gibt, einen für das gewöhnliche Volk, der mit, ich weiß nicht, Quecksilber gestreckt ist, und einen besseren für die Regierung, der aber bisher nur an etwa 62 Personen getestet wurde. Nun bin ich wieder in New York und hier herrscht sozialistische Gleichmacherei, es gibt nur einen Impfstoff, ich habe keine Ahnung, welcher. Nachdem ich ohnehin nicht weiß, welcher wirklich der Bessere ist, ist das fast egal. Ich beobachte also immer noch.

In den Café einigten wir uns auf die Theorie, dass in New York der quecksilberfreie Impfstoff geimpft wird, der hier aber ebenfalls knapp ist, nur Schwangere bekommen den, und Frauen unter 24 Jahren. Knapp daneben! Es hat sich bisher keiner von uns impfen lassen, wir beobachten alle noch.

Derweil verfolge ich die Nachrichten über die Gesundheitsreform, und der letzte Stand war, dass es zwar Gesundheitsvorsorge für alle geben soll, nicht aber für illegale Ausländer, mehr noch: Illegal hier lebende Ausländer sollen sich nicht einmal auf eigene Kosten krankenversichern dürfen. Dazu muss man wissen, es gibt in den USA schätzungsweise zwölf Millionen solche Ausländer, sie arbeiten vornehmlich in Restaurantküchen und als Kindermädchen, dürfen sich aber weder versichern noch gegen Schweinegrippe impfen lassen. Hatte ich erwähnt, dass es in Amerika schon mehr als tausend Schweinegrippetote gab?

ZUm Glück machen wir in New York diesen Unsinn nicht mit, aber in den konservativen Staaten erregen sich gerade die Zeitungskommentatoren darüber, dass es garantiert irgendwelche Schlupflöcher gebe, durch die diese verdammten Ausländer für ihre Gesundheit sorgen. Da hoffen wir mal, dass beim Mexikaner keiner ins Essen hustet.

Eva C. Schweitzer, Manhattan  Moments. Geschichten aus New York, erschienen bei Droemer-Knaur, Juni 2009, Taschenbuch, 9,95 €

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/die_spur_der_schweine/

aktuell auf taz.de

kommentare