von 27.05.2010

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Reden ist Silber, Schreiben ist Gold? (Foto: Jan Schneider)

„Oh mein Gott!“, stoße ich aus, als ich es bemerke. Es ist mein erster Satz. Mein erster Satz an diesem Tag, der schon fast vorüber ist. Ein Tag in einer Reihe von Tagen ohne  Vorlesungen. Was jedoch entgegen landläufiger Meinungen nicht bedeutet, dass ich faul sein kann. Ich muss meine Wohnung putzen und sehr viel am Rechner machen. Alles in Stille. Ich habe auch mit Freunden „geredet“: Per Mail, per ICQ, per Facebook.

In unserer Evolution haben wir es geschafft, die Sinne überflüssig zu machen. Dank Ein-Personen-Wohnung, ICQ, E-Mail, Twitter und Facebook sind wir taubstumm geworden. Tippen statt reden, lesen statt hören, Bilder hochladen statt beschreiben. Wir schauen das Bilderalbum an, kommentieren die Fotos und die Statusmeldung. Kein Grund mehr mittendrin  zu sein, denn man ist dabei.

Das Gefühl, als ob man keine Stimme mehr hat, es jedoch ist gespenstisch, unheimlich. Ich muss erst mal testen, ob ich überhaupt sprechen kann: „Oh mein Gott!“ Ich rede mit mir selbst, um zu reden. Besonders erschreckend, dass ich dies erst am Abend bemerke. Und es war bestimmt nicht der erste Tag, an dem ich taubstumm war. Unsere ganze Gesellschaft wird es zunehmend. Und sie wird abhängig.

Die Journalistin Frauke Lüpke-Narberhaus ist 2008 aus diesem Wahnsinn ausgebrochen. Unter dem Titel „Mein digitaler Selbstmord“ beschreibt sie im UniSpiegel ihre Erfahrungen ohne StudiVZ, Facebook und co. Ihr Fazit damals: „Es ist Jacke wie Hose, ob man noch drin ist oder nicht.“

Doch so sehr mir meine selbstgewählte Taubstummheit auch missfällt, dass man einfach damit Schluss machen kann, glaube ich nicht. Und siehe da, auch Frauke finde ich wieder in Facebook und StudiVZ. Warum sie zurückgekehrt ist, hat sie uns erzählt. Aber dazu morgen mehr…

Text: Andreas Grieß

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