vonHans Cousto 30.12.2010

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Nürnberg ist mit ziemlich genau einer halben Million Einwohner die zweitgrößte Stadt im Freistaat Bayern. In Nürnberg gibt es nicht nur eine malerische Altstadt, schöne Kirchen und interessante Museen sondern auch eine Drogenberatung namens »Mudra«, die einen sehr guten Ruf weit über die Stadtgrenzen hinaus genießt. Der Schwerpunkt der »Mudra – Alternative Jugend- und Drogenhilfe e.V.« liegt in der Arbeit mit Drogenkonsumenten in Nürnberg. Der Fokus der Arbeit konzentriert sich auf Selbstbestimmung der betreuten Personen und spiegelt sich auch im Namen des Vereins wider: der aus dem Sanskrit stammende Begriff »Mudra« bezeichnet eine nach außen hin sichtbare innere Veränderung.

In Nürnberg sind dieses Jahr bereits 28 sogenannte »Drogentote« registriert worden, das entspricht einer Opferzahl von 5,6 pro 100.000 Einwohner – mehr als in jeder anderen Großstadt in Deutschland. Dies liegt nicht etwa an einer mangelhaften Leistung der Drogenberatung »Mudra«, sondern das liegt an der fundamentalistischen und irrationalen Verweigerungshaltung bayerischer Politiker in der CSU. Der Wunsch der Drogenhilfe »Mudra« nach Drogenkonsumräumen als »bedarfsgerechte, sinnvolle und effektive Ergänzung des Drogenhilfeangebots« wird nicht erfüllt werden können: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Gesundheitsminister Markus Söder (beide CSU) haben sich im November in Nürnberg erneut strikt dagegen ausgesprochen.

Die Nürnberger Zeitung berichtete am 13. November 2010 unter dem Titel »Wir wollen keine Fixerstuben! Söder und Herrmann machen Front gegen Drogenkonsumräume«, dass die Kommune seit der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 2000 die Möglichkeit hätte, so genannte »Drogenkonsumräume«, auch »Fixerstuben« genannt, einzurichten. Allerdings eben nur unter der Voraussetzung einer Rechtsverordnung der Obersten Landesbehörde. Und da kann sich auch die Drogenhilfe »Mudra« in Nürnberg keine Hoffnung machen. »Mit unserer eindeutigen Haltung in dieser Frage vermeiden wir das Entstehen rechtsfreier Räume oder offener Drogenszenen«, sagte Söder im November bei einer Pressekonferenz im Polizeipräsidium am Jakobsplatz. Söder zufolge ist nicht bewiesen, dass Drogenkonsumräume die Zahl der Drogentoten verringern.

Innenminister Herrmann ließ ebenfalls keine Spielräume: »Wir dulden in Bayern keinerlei illegale Drogen.« Vielmehr setze der Freistaat auf den »bewährten Dreiklang« aus Prävention, Strafverfolgung sowie Beratung und Hilfe. Nach Herrmanns Ansicht wären Drogenkonsumräume gleichbedeutend mit der Duldung offener Drogenszenen. »Offene Drogenszenen sind für die Bevölkerung, vor allem für unsere Familien, unzumutbar.« Neben wachsenden Drogenhandel, der von der Polizei nicht kontrolliert werden könnte, müsste nach Herrmanns Worten zusätzlich mit Begleit- und Beschaffungskriminalität sowie verstärkten Ordnungsstörungen gerechnet werden. Er verwies auf die UN-Drogenbehörde, wonach die Einrichtung und der Betrieb von Drogenkonsumräumen gleichbedeutend mit einem schleichenden Prozess der Legalisierung von Drogen sei.

Durch »Fixerstuben« kann man auch Abhängige erreichen, die sonst nicht erreicht werden, der Zugang zum Hilfesystem ist einfacher und dem öffentlichen Konsum wird vorgebeugt. In München und Bayern gibt es im Vergleich zum Bundestrend eine recht hohe Zahl von Drogentoten. Die meisten sterben beim Konsum daheim. Um die Todesfälle zu verhindern, betonen Fachkräfte aus Drogenberatungen immer wieder, müsse es Räume geben, in denen Schwerstabhängige Drogen nehmen können und dabei von Fachkräften betreut werden.

Wissenschaftliche Erkenntnisse über und Erfahrungen mit »Fixerstuben« wollen diese Politiker nicht zur Kenntnis nehmen. Sie sprechen lieber von sogenannten »Erfolgen« seitens der Poizei bei der Strafverfolgung und predigen die Repression respektive die Prohibition. Die gängige Praxis der Prohibition wird jedoch von einigen Experten als »schädlich« bezeichnet und als »Verbrechen« klassifiziert, so von Dr. Rainer Ullmann, Allgemeinmedizi­ner in Hamburg. Ullmann ist Mitglied im Schildower Kreis, einem Netzwerk von Experten aus Wissenschaft und Praxis im Drogenbereich. Er erklärte wörtlich am 9. Dezember 2010 in einem Video:

»Es ist schwer zu verstehen, dass Regierungen an der unwirksamen, teuren und schädlichen Prohibition festhalten. Wenn Verbrechen eine besonders sozialschädliche Handlung ist, dann ist die Prohibitionspolitik ein Verbrechen.«

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