vonImma Luise Harms 19.05.2009

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Der durchdringende Blick, der bohrende Blick, der Blick, der nicht ausweicht. Das Auge scheint eine Waffe zu sein. Das Ohr erleidet. Geräusche fallen in es hinein. Das Auge schweift suchend, wählt aus, richtet sich aus, fixiert sein Objekt.
Blickkämpfe. Dem Blick standhalten. Den Blick senken heißt die Waffen niederlegen. Blicktechniken. Augenaufschlag, langsam und erotisch, nervös flatternd. Dem Gegenüber aufs Nasenbein gucken. Schnell zwischen seinen Augen hin und her springen.
Manche lassen ihren Blick auf mir ruhen, tauchen ein und paddeln in aller Seelenruhe in meinem Augenlicht herum, bis mirs zu blöd wird und ich woanders hingucke. Wie machen die das, wie halten die die Intimität aus.
Das Geheimnis ist die Küchengardine. Auch Scheibengardine genannt. Die dünne Gazeschicht hinter der Scheibe macht, dass man, solange es draußen hell ist, rausgucken kann, ohne selbst gesehen zu werden. Diese blickdichten Menschen halten ihr Inneres verhüllt. Die Netzhaut hat einen Gardinencharakter. Da geht nichts durch. Der Kontakt suchende Blick des Gegenübers passiert die Pupille und findet im Glaskörper nichtssagende Bilder von scheinbarer Offenheit vor.
Mit meinen Küchenfensterscheiben habe ich ein umgekehrtes Problem. Es ist mir wurscht, wenn ich dahinter gesehen werde, meistens jedenfalls. Aber ich habe keine Lust dauernd zu beobachten. Ich kann nun mal von meiner Küche aus am ganzen Gebäude entlang sehen. Der Blick ist ein reizbares Tier. Eine leichte Unruhe am Bildrand, schon fängt er reflexhaft an, zu peilen und sich auszurichten. Und schon glüht die Info-Leitung zum Gehirn. Das will man gar nicht alles sehen, das will man gar nicht alles wissen. Aber den Blick gegen seine Reflexe zu erziehen erfordert ständige Selbstkontrolle.
Also habe ich meine Scheiben mit Buttermilch gestrichen. Das ist ein alter DDR-Künstler-Trick. Die haben es mir jedenfalls erzählt. Die Buttermilch bildet eine fein satinierte Schicht, wie Milchglas. Daher der Name vielleicht. Viel besser als Scheibengardinen, weil man nicht ständig rausgucken muss. In Phasen größerer Guckfreude kann ich die Scheiben dann einfach abwischen.

heute: ach, die übliche Mischung. Abends polnisch.

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