Am Freitag rufen taz-Praktikanten zum Streik gegen miese Arbeitsbedingungen auf. Die taz-Praktikantin Sofia Shabafrouz (26) fordert im Interview mit der Jobbörse Absolventa faire Vergütung insbesondere von Hochschulabsolventen, gerechte Arbeitsbedingungen für alle Praktikanten durch schriftliche Verträge, ein Lernverhältnis, geregelte Arbeitszeiten und Urlaubsanspruch und eine Begrenzung der Praktikumsdauer auf maximal sechs Monate.
Eure Gruppe besteht selbst aus Praktikanten. Wie kam das Projekt „Prakti-Streik“ eigentlich zustande?
Wir sind acht Praktikanten und haben das letzte halbe Jahr abwechselnd zweimonatige Praktika in der Kommunikationsbranche gemacht: bei Scholz & Friends, bei der Tageszeitung „taz“ und bei der Ufa Film- & TV-Produktion. Das waren Fulltime-Jobs, und nebenher mussten wir für jede Station ein Projekt verwirklichen. Zuletzt für die taz: eine vierseitige Beilage, bei der wir von der Redaktion bis zum Layout alles selbständig umgesetzt haben (Download als PDF mit 2,8 MB). Nach Erwägung verschiedener Themen, haben wir uns für eines entschieden, dass uns alle betrifft: die schlechte Arbeitsmarktsituation, insbesondere für Absolventen. Wir wollten aber nicht nur passiv das „System Praktikum“ kommentieren, sondern auch aktiv werden. Daher der Aufruf zum Streik am 9. Oktober.
Was erhofft Ihr Euch von dem Streik?
Zunächst, dass wir am 9.10. auf dem Potsdamer Platz nicht zu acht bleiben. Hoffentlich kommen ein paar Leute mehr zusammen und demonstrieren mit. Dann wünschen wir uns auch, dass wir mit der Aktion eine erneute Debatte auslösen – in den Medien, in der Politik und in der Wirtschaft – aber auch, dass auf Worte Taten folgen.
Der Prakti-Streik wurde nicht nur über die Sonderbeilage der taz sondern unter anderem auch über Facebook oder StudiVZ verbreitet. Wie war die Resonanz?
Wir haben Gruppen und Profile gestartet, über die wir Diskussionen führen und kleine Meldungen schalten. Bei Facebook haben wir 85 Mitglieder und 19 haben schon definitiv zugesagt, mit zu streiken. Bei studiVZ haben wir 67 Freunde und bei Twitter folgen 48 unserem Tweet. Einige haben uns bereits verlinkt. Generell spüren wir die Zustimmung.
Ihr bemängelt das „System Praktikum“. Was versteht Ihr darunter?
Praktika sind prinzipiell eine gute Sache, um Arbeitserfahrungen zu sammeln und mal in einen Bereich hinein zu schnuppern. Problematisch wird es aber, wenn vollwertige Arbeit permanent von Praktikanten geleistet wird und Arbeitgeber keine Stellen mehr vergeben, weil arbeitswillige Praktikanten für wenig oder gar keine Bezahlung den Job machen. Wir nennen dies „System“, weil diese Form von Beschäftigung sich sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Arbeitssuchenden über die Jahre etabliert hat.
Liegt die Verantwortung allein bei den Arbeitgebern?
Zum großen Teil ja, aber die jungen Arbeitssuchenden fördern den Fortbestand des Systems, indem sie bereitwillig mitmachen, den Status quo akzeptieren und keine Ansprüche stellen. Oft bleibt ihnen nichts anderes übrig, als auf ein abgeschlossenes Praktikum noch weitere Praktika folgen zu lassen. Dieses Dauerpraktikanten-Dasein ist ein Teufelskreis, der von beiden Seiten unterhalten wird. Und von Seiten der Politik wird nicht an einem Ausweg gearbeitet.
Ist möglicherweise das Bildungssystem die Ursache, dass viele Akademiker nach dem Studium zunächst ein Praktikanten-Dasein fristen?
Die meisten Studiengänge, insbesondere im geisteswissenschaftlichen Bereich, sind sehr theoretisch angelegt und nicht an einem klaren Berufsbild orientiert. Aber ich denke, dass es heutzutage ein vielfältigeres Angebot an Praxismodulen gibt, als noch vor 20 Jahren. Die meisten Studenten sammeln schon vor dem Abschluss fachbezogene Arbeitserfahrung oder absolvieren Pflichtpraktika. Insbesondere zwischen Bachelor und Master können Studenten einen Abstecher in die Arbeitswelt machen. Daher glaube ich, dass wir heute gut ausgebildet sind. Wir haben vielfältige Kompetenzen, können mehrere Sprachen sprechen, haben Auslandserfahrungen und gehen spielend mit IT um. Allerdings wird uns zu wenig zugetraut und der Konkurrenzkampf ist heute größer.
Wieso erst jetzt der Prakti-Streik? Haben deutsche Praktikanten im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn verlernt, auf die Barrikaden zu gehen?
2006 gab es bereits eine Initiative der Generation Praktikum. Gruppierungen aus Frankreich, Österreich, Italien, Belgien und Deutschland gingen zeitgleich auf die Straße und demonstrierten in gemeinsamer Angelegenheit. In Deutschland herrscht aber generell weniger Widerstandsgeist als z.B. in Frankreich, wo Demonstrationen an der Tagesordnung sind. Unsere Generation ist vergleichsweise angepasst. Praktikanten sind oft auch viel zu sehr Einzelkämpfer und haben Angst durch Streik ihre Einstellungschancen zu gefährden. Dennoch, denken wir, dass es sich lohnt auf die Straße zu gehen, um längerfristig etwas zu bewegen.
Die Gesetzgebung für Praktikanten ist praktisch nicht vorhanden. Was könnte die Politik ändern, um die Lage der Praktikanten zu verbessern?
Unsere Forderungen gesetzlich verankern: keinen Ersatz von Vollzeitarbeitsplätzen durch Praktika, faire Vergütung insbesondere von Hochschulabsolventen, gerechte Arbeitsbedingungen für alle Praktikanten durch schriftliche Verträge, ein Lernverhältnis, geregelte Arbeitszeiten und Urlaubsanspruch und eine Begrenzung der Praktikumsdauer auf maximal sechs Monate.
Wäre ein Praktikums-Tarifvertrag die Lösung für die Probleme der Praktikanten?
Das wäre ein guter Schritt vorwärts, denn wichtig ist uns vor allem, dass man mit einer Vollzeitarbeit auch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Die durchschnittlichen 364 Euro Praktikantenlohn liegen weit unter dem Existenzminimum. Viele sozial Schwächere können sich nicht einmal ein Praktikum leisten, weil sie auf Unterstützung durch die Eltern angewiesen wären. Deshalb ist dies ein System der sozialen Ungleichheit. Darüber hinaus müssen die Perspektiven auf eine Festanstellung für qualifizierte Arbeitssuchende verbessert werden.
Ver.di, Fairwork e.V. und die GEW Berlin unterstützen Euch unter anderem bei der Durchführung der Demonstration. Gab es von deren Seite bereits andere Projekte dieser Art?
Fairwork war maßgeblich bei dem Streik vor drei Jahren beteiligt und der Verein setzt sich weiterhin, insbesondere durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, für die Rechte von Praktikanten ein, sammelt Erfahrungsberichte, vergibt Prädikate für faire Praktika oder den „goldenen Raffzahn“ für besonders ausbeuterische Arbeitgeber. Ver.di und die GEW-Berlin geben nützliche arbeitsrechtliche Informationen heraus oder Handlungshilfen für Praktikanten und Betriebsräte und klären über die Rechte und Pflichten von Praktikanten im Betrieb auf. Die Gewerkschaften können mehr Druck auf die Politik ausüben als die einzelnen Praktis. Vielleicht nutzen wir ihre Angebote noch zu wenig. Wir müssten uns noch mehr organisieren, um mehr Handlungsmacht zu erzielen.
Ihr sagt in der Streikbeilage der taz, dass Ihr Eure Praktikumsstätten von dem Prakti-Streik ausnehmt. Wie passt das zusammen, und wie haben Eure Arbeitgeber auf den Streik reagiert?
In den drei Unternehmen herrscht ein Bewusstsein für die generelle Ausbeutung von Praktikanten. Daher unterstützen sie auch unseren Streik. Sie fanden die Idee der Streikbeilage gut und hätten auch nichts dagegen, wenn wir am 9. Oktober von der Arbeit ferngeblieben wären. Bloß sind wir seit dem 1. Oktober keine Praktikanten mehr. Wir haben in dem halben Jahr faire Arbeitsbedingungen vorgefunden, mit 400 Euro eine fast überdurchschnittliche Bezahlung bekommen und außerdem noch von diversen Ausbildungsangeboten profitiert. Daher ist unser Aufruf zum Streik wirklich nicht gegen diese Unternehmen gerichtet sondern ist eher genereller Natur, um auf die grundsätzlichen Probleme von Praktikanten aufmerksam zu machen.
Wird die Demonstration das einzige Projekt gegen das „System Praktikum“ bleiben?
Gerne würden wir noch weitere Schritte einleiten, z.B. Podiumsdiskussionen mit Gewerkschaftlern, Arbeitgebern und Vertretern der neuen Regierung sowie der Opposition. Auch unseren Prakti-Streik-Blog werden wir sicher weiterführen. Für Anregungen und konstruktive Vorschläge sind wir sehr offen.
Laut Eurer Streikbeilage führt jedes vierte Praktikum in die Festanstellung. Wie passt das mit Eurer Ablehnung von Praktika zusammen?
Wir lehnen Praktika nicht grundsätzlich ab und nehmen schließlich selbst solche Angebote wahr. Aber irgendwann möchte man Licht am Ende des Tunnels sehen. Wenn man sich mit drei, vier Praktika im Lebenslauf für einen richtigen Job bewirbt und doch nur ein weiteres Praktikum angeboten bekommt, nach dem Motto „Zeig erstmal was du kannst!“, ist das frustrierend. Wozu gibt es denn die Probezeit? Leider gibt es allzu wenige Alternativen zum Praktikum: Zusatzqualifikationen oder selbständig etwas auf die Beine stellen. Aber ob dies den Ausweg aus dem Prekariat bringt ist fraglich.
Wie viele von Euch sind noch Studenten und wie viele schaffen durch das Praktikum jetzt den Berufseinstieg?
Drei sind noch Studenten und studieren im Wintersemester weiter. Zwei haben befristete Arbeitsverträge bekommen. Die Restlichen bewerben sich, jobben, beantragen Hartz IV …
Sofia Shabafrouz (26) studierte Europäische Medienkultur an der Bauhaus-Universität Weimar und der Université Lumière Lyon II. Seit 2007 ist sie Diplom-Kulturwissenschaftlerin in Medien und seit kurzem eine der maskierten Organisatorinnen des Prakti-Streiks.
Das Interview führten Christine und Anna vom Karriere-Blog der Jobbörse Absolventa.