vonlottmann 28.02.2010

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Frank Schirrmachers Anti-Internet-Buch ‚Payback‘ sinkt in der SPIEGEL Bestsellerliste wieder ganz langsam nach unten, hinterläßt aber einen fatalen neuen Zustand: wer jetzt noch etwas gegen das Internet sagt, gilt als Fortschrittsfeind. Als ein Parteigänger Schirrmachers eben. Als FAZ-Leser. Als einer, der schon die Dampflokomotiven verteufelt hätte, wäre er bei ihrer Erfindung dabei gewesen. So geht der Dreiklang: Gegenwartsbeschreibung gleich Gegenwartskritik gleich Fortschrittskritik – was bekanntlich das Letzte ist. Daß selbst Schirrmacher die neue Lebenswelt nur beschrieb, löst nur noch höhnische Lacher aus. Der Mann hat einfach fertig.
Wer sich heute auch nur über Facebook humorvoll ausläßt, kann sich wütender Reaktionen und des Vorwurfs, einer wohl verlogen-seligen Vergangenheit hinterherzuträumen, sicher sein. Mir ging es so, als ich am Sonntag Freunde wiedertraf. Noch vor zwei Jahren hatten wir uns jeden Sonntag Mittag getroffen. Aber zwei Jahre sind in der digitalen Entwicklung so lang wie zwei Jahrzehnte. Inzwischen verkehrt man nur noch im Netz, eben als Facebookfreunde.
In meiner Begleitung war eine französische Freundin, der ich deutsche Intellektuelle zeigen wollte.
Jeder hatte einen Laptop auf dem Schoß und kommunizierte nonstop noch mit anderen Leuten und mit zahllosen Netzen, Seiten, Downloads, man kennt das. Das ist oft beschrieben worden. Es hat mich auch nie gestört. Ich bin jung, ich mag das Neue. Freilich tat mir die französische Freundin leid, die kein einziges Mal zu Wort kam. Alle redeten gleichzeitig. Hunde bellten wie von Sinnen. Kleinkinder, noch ohne Laptop, klammerten sich verzweifelt an Tisch-, und Elternbeine, weinten, hatten aber keine Chance auf Aufmerksamkeit, wie die Französin, wie ich. Noch nicht einmal zu den beiden berühmten Holm-Friebe-Fragen, die Holm, als letztes Rudiment westeuropäischer Höflichkeit, zuletzt noch jedem neuen Gesicht stellte, müde, ohne vom Laptop aufzublicken, reichte es, nämlich ‚Und was machst Du so?‘ (gemeint war das Berufliche) und ‚Wie habt Ihr Euch eigentlich kennengelernt?‘
Im Gegenteil. I-Phones klingelten. Monitore liefen unnötig laut. An der Tür klingelte es. Die Gastgeberin rief etwas. Alle riefen etwas. Und hatten dabei jemandem am Handy oder im live chat am screen. Und das über Stunden. Es war das permanente Inferno. Nein, eben nicht! Es war nicht das Chaos, es war der Normalzustand. Wohlgemerkt, es handelte sich nicht um irgendwelche Berlin Mitte startup Nerds, glatzköpfige Durchschnittsdeppen der Neuzeit. Nein, ich spreche von den anregendsten Intellektuellen, die dieses Jahrhundert in unserem Land hervorgebracht hatte: die glühenden Redner der Z.I.A., Autoren der new economy Philosophien (‚Wir nennen es Arbeit‘, ‚Marke Eigenbau‘, ‚Dinge geregelt kriegen ohne einen Funken Selbstdisziplin‘, ‚Lobomania‘), Gründer der Piraten Partei, Kisch-Preisträger (für ‚Riesenmaschine‘) und Übersetzer des Dialogbuches ‚Michel Houellebecq vs. Bernard Lévy‘, ich spreche von Holm Friebe und seinen Leuten, den Masterminds!
Ich will das nicht kritisieren. Wirklich nicht! Natürlich, es war ein Kulturverlust unbeschreiblichen Ausmaßes, aber seit wann hätte mich je die olle Tante Kultur interessiert? Nein, ich fand das super. Ich dachte in jener Situation nur, daß Frank Schirrmacher sich über eine solche Bild- und Gestaltwerdung seiner Thesen gefreut hätte. Und ich wollte wissen – das dann doch – ob meine Freunde heute glücklicher sind als vor fünf Jahren. Damals redete man ja noch in ganzen Sätzen, und es gab Momente, da hörte jemand sogar zu. Man trank Rotwein, der Hausherr, nämlich Holm Friebe, spielte ab drei Promille Guitarre. Sascha Lobo, noch ohne Irokesenschnitt, sah ihn dabei verliebt an. Man las Luhmann und Deleuze und diskutierte darüber…
Ich drang nicht durch mit meiner Frage, bis ich sie brüllte und im Stakkato-Ton erläuterte. Also ob sie damals glücklicher waren. Ich beschrieb noch einmal die Lage von damals, die Partys auf dem Dach und so weiter. Holm selbst übernahm die Antwort, und sie war echt: „Nein! Um Gottes Willen, nein, es war scheußlich damals!“ Er schüttelte sich. Diese Guitarre, der Rotwein, entsetzlich! Nie wieder! Wie ich denn darauf käme, es klänge ja fast wie Schirrmacher..? Ob ich denn ein Fortschrittsgegner sei? Einer, der auch die ersten Dampflokomotiven verteufelt hätte, wie heute das i-Pad… Oh nein, das war ich nicht, ganz im Gegenteil: ich wußte doch, daß der Blick zurück nicht im Interesse des entfesselten globalen Kapitalismus sein konnte! Romantik war zu jeder Zeit schwer ausbeutbar, eine Art Widerhaken bei den laufenden Geschäften. Man mußte die Gegenwart feiern, wenn man die Rendite steigern wollte. Ich entschuldigte mich rasch und meinte, auch ich liebte das Internet über alles. Schirrmacher sei natürlich ein Arschloch.



Am Abend bin ich dann in die Galerie Unter den Linden gegangen, neben dem Einstein (das für Politiker), und sah die Ausstellung THE TWINS. Dort erhielt ich plötzlich doch noch eine andere Antwort als die von Holm und Lobo. Die berühmten Getty Zwillinge stellen dort Fotos aus, die sie in ihrer Jugend gemacht haben. Eine Jugend, die sie, da sie die wohl hübschesten Mädchen ihres Jahrzehnts waren, mit Uschi Obermaier, Bob Dylan, den Kennedys und den Gettys geteilt hatten (und grundsätzlich allen anderen hippen Personen der Zeit, von Andy Warhol bis Rudi Dutschke). Der Vergleich zur heutigen Paris Hilton drängte sich auf. Also ein Systemvergleich. Die Getty Twins, also die eineiigen Zwillinge Gisela Getty und Jutta Winkelmann, waren in der Selbstinszenierung anders, raffinierter, genialer. Sie mußten keine kreative Energie für ihr Aussehen abgeben, da sie von allein gut aussahen, in jeder Sekunde. Sie wurden ständig fotographiert, wieder ohne eigenes Zutun, weil immer ein aktueller Star neben ihnen stand. Sodaß sie Zeit genug hatten, auch selbst die Kamera zu bedienen. Dabei entstanden die besseren, weil echteren Aufnahmen. Vergleicht man nun diese mit denen von Paris Hilton oder anderen InTouch Größen, begreift man den Dimensionsunterschied. Die Welt damals war durchdrungen von Geist und Schönheit. Italien war noch so unzerstört und unmißbraucht wie die jungen Zwillingsmädchen, die nackt und unschuldig ihre Vision der Liebe lebten, wie ihre ganze Generation. Zumindest sieht es so auf, auf den hunderten von Exponaten. Vielleicht ist es nur genial arrangiert, doch dann wäre es erst recht große Kunst.
Können so viele Fotos so sehr lügen? Das Leben muß damals herrlich und frei gewesen sein. Ohne Berlusconi, Hartz Vier, Proletenfernsehen und, ja, dem Internet. Was werden die käsigen Nerds, die ihre Lebenszeit vor dem Laptop verbringen, von diesen Bildern halten? Was sie sehen, was sie einfach sehen müssen, ist die menschliche Existenz als Abenteuer.
Davon ist heute nichts mehr übrig.

in der taz am 25.2.2010 (Printausgabe)

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