vondigitalkonzentrat 30.11.2018

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Schöne neue digitale Welt? Ein Blog über Digitalisierung, Netzkultur, Bürgerrechte – und ohne Buzzwords.

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Sich über Funklöcher und schlechtes Kabel-Internet zu mokieren, ist inzwischen ein Leistungssport in der Techblase geworden. Die aktuelle Sau im Dorf: Gerade verbummelt die Politik, vornehmlich die Bundesnetzagentur, die Vergabe der neuen 5G-Frequenzen. Im Bestfall wegen seniler Dummheit, im schlechten Fall unter Einfluss von Lobbyisten.

Den unzähligen Rants von Sascha Lobo, Lage der Nation und anderen Stimmen kann man nichts mehr hinzufügen. Es ist alles gesagt und geschrieben. Und trotz dieser lebendigen Debatte is der Diskurs festgefahren, die Kritik verpufft. Warum eigentlich?

„Ich kann auch mal warten bis das Netflix lädt“

Das Zitat von unserer Forschungsministerin Anja Karliczek von der CDU, 5G sei „nicht an jeder Milchkanne nötig“, das inzwischen schon memehafte „Neuland“ von Merkel und die „Flugtaxis“ von Dorothee Bär — diesen Fettnäpfchen-Zitaten begegnet die Netzwelt den Politikern mit einer Mischung aus spöttischem Galgenhumor und fatalistischer Panik, während der Rest der Gesellschaft sich nicht die Bohne dafür interessiert.

Auf der einen Seite stehen Menschen, deren Einkommen und Lebensgrundlage von der Digitalisierung abhängt. Auf der anderen Seite stehen jene, die mit Zwei-Finger-Tippen und mit „Ich kann auch mal warten bis das Netflix lädt“ all ihre Schäfchen ganz undigital im Trockenen haben. All die Informatiker, Ingenieure und Wissenschaftler, deren täglich Brot der Umgang mit Daten sind, sind auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen. Und das nicht nur, um (viel) Geld zu verdienen. Sondern auch um all die Ideen und Technologien umzusetzen, an die wir heute noch gar nicht denken. Und diese Ideen werden nichts mit dem schnellen Download eines Netflix-Filmes zu tun haben. Sie werden vielleicht Leben retten, weil sie mit 5G-Kommunikation die Integrale Sicherheit eines Fahrzeuges verbessern. Auch dann wenn man gerade an einer „Milchkanne“ einen schweren Unfall hat. Oder sie werden wegweisende wissenschaftliche Erkenntnisse bringen, weil man gigantische Mengen astronomischer Daten in praktikabler Zeitdauer vom anderen Ende der Welt zu sich an eine deutschen Uni laden kann.

Es ist völlig okay, wenn die Digital-Agnostiker sowohl ohne Snaps vom hippen Mittagessen als auch ohne ein Hadoop-Cluster voller astronomischer Daten glücklich sind. Dann aber sollen sie sich aus der Diskussion um digitale Infrastruktur raushalten. Und auf keinen Fall sollten sie in der Politik um digitale Infrastruktur mitwirken.

Es geht den Kritikern der deutschen politischen Digitalstrategie nicht darum, aus der letzten bayerischen Milchkanne noch ein hippes Instagram absetzen zu können (was Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung, übrigens dann doch recht häufig macht). Es geht darum, dass Deutschland in der digitalen Infrastruktur im internationalen Vergleich nicht Schlusslicht ist, wird und bleibt. Der digitale Markt ist global, Infrastruktur ist der entscheidende Standortfaktor. Wenn erstmal Knowledge und Arbeitsplätze in Ländern abgewandert sind, die die Digitalisierung richtig machen, ist mit petrochemischen Verbrenner-Automobilen und deutschem Kupferkabel kein Blumenstrauß mehr zu gewinnen.

Wo bleibt der digitale Schulterschluss der Poltik?

Wirtschaftsminister Peter Altmaier fiel letzte Woche damit auf, dass er sich von wichtigen ausländischen Kollegen nicht mehr auf dem Handy anrufen lassen möchte. Auch er fliegt wie jeder andere aus dem löchrigen deutschen Handynetz „drei bis vier Mal” raus. Wo ist aber sein Schulterschluss mit den Kritikern der digitalen Infrastruktur? Wo sind seine Forderung an die Telekommunikations-Riesen, flächendeckend in die Infrastruktur zu investieren? Wo ist sein Nudging-Konzept dafür? Nicht nur Altmaier, auch Dorothee Bär als Staatsministerin für Digitalisierung muss endlich mit den Digitalkritikern an einem Strang ziehen und für eine kompromisslose digitale Infrastruktur missionieren. Dazu gehört jetzt ganz aktuell, politisch den flächendeckenden 5G-Ausbau, Netzneutralität und nationales Roaming zu erzwingen.

Aber hey, wir können freshe Instagrams doch auch über Edge posten. Dauert dann halt ein bisschen.

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kommentare

  • Ich wäre schon sehr froh, wenn ich von überall aus eine SSH-Verbindung für ein Terminal mit halbwegs passablen Latenzen bekommen könnte, um mal schnell in irgendeiner Logdatei etwas zu greppen oder einen Dienst neu zu starten. Oder wenn man man im Zug sitzt und gemeinsam arbeitet, alle paar Minuten git pushen und pullen zu können – da reden wir von wenigen Kilobytes pro Transaktion!

    Deshalb kann ich meinem Vorredner zustimmen: 3G/4G flächendeckend mit 500kBit/s, fairen Latenzen und wenig Paketverlust wäre ein guter Anfang. 10 Jahre alte Technologie, aber bestimmungsgemäß eingesetzt. Ggf. muss ein nationales Roaming erzwungen werden, etwas ähnliches funktioniert ja auch mit dem Resellermodell für die letzte Meile Kupfer, bei der die Bundesnetzagentur die Preise festlegt.

  • Wir brauchen wirklich kein „5G an jeder Milchkanne“ aber wir brauchen „4G an jeder Milchkanne“. Leider hat man das damals bei der Lizenzvergabe versemmelt. Die Kritik das flächendeckendes 5G „weder physikalisch noch wirtschaftlich möglich“ ist, ist gar nicht so falsch. 4G wäre die richtige Technologie, weil man dafür weniger Sendemasten braucht.

    Warum man 5G für autonomes Fahren braucht ist mir auch unklar und ich arbeite in dem Bereich. Jedem ist klar, dass ein Autonomes Auto kein Vollbremsung hinlegen darf, wenn mal kurz die Internetverbindung abbricht. Wozu also 5G statt 4G? Ganz grob ist 5G für mich bisher eine Lösung auf der Suche nach einem Problem.

    Flächendeckendes Internet ist ein wichtiges Problem. Das könnte zum Beispiel auch gegen die Urbanisierung in die damit verbundenen Mietpreisteigerungen helfen.

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