vonEva C. Schweitzer 20.07.2009

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Marwa und kein Ende: Zweieinhalb Wochen nach dem Mord an einer Ägypterin durch einen Russlanddeutschen in einem Dresdner Gericht stellt die deutsche Presse immer noch die Frage: Warum konnte das passieren, und: Warum schweigen wir dazu? Warum haben wir drei Tage, fünf Tage, sieben Tage lang nichts zu dem Mord geschrieben?

Schweigen? Das Schweigen dröhnt seit Tagen ungefähr so laut wie das gesammelte Schweigen nach dem Tod von Michael Jackson. Zunächst mal ein paar Facts: Zur Stunde bietet Google News 2370 Artikel zum Thema Marwa, am 5. Juli, zwei Tage nach dem Mord, waren es immerhin 1274 Artikel, die meisten Doubletten, aber das ist immer so.

Rechnen wir das mal hoch auf, sagen wir, 555 Journalisten, die sich über das Schweigen zu Marwa beklagen und sich fragen, wie das passieren konnte. Hier ist ein Vorschlag: Der Mord ist fast drei Wochen her, wie wäre es, wenn sich wenigstens einer davon nicht ausschließlich damit beschäftigt, den anderen 554 vorzuwerfen, dass sie schweigen, sondern den Arsch hochkriegt, nach Dresden fährt, und recherchiert? Ist ja nur so eine Idee, ich weiß, es macht viel mehr Spaß, vor dem Computer zu sitzen und Meinung abzusondern, aber dafür gibt es Blogger. In Amerika – ja, ich weiß, ich meckere immer über die New York Times – aber in Amerika würden sich die Reporter längst vor dem Gericht versammelt haben (wo wir gerade bei Medienkritik und der Times sind: Die Eigentümerfamilie, lieber SPIEGEL, heißt Sulzberger, nicht Salzburger).

Der Vogel hat die ZEIT abgeschossen, die gleich vier Journalisten darauf ansetzte, der Vorgang in einer einzigartigen Kakophonie der nicht-schweigenden Gleichzeitigkeit zu kommentieren, ohne dass auch nur einer auf die Idee gekommen wäre, sich nach Dresden zu begeben und sich mit solcher journalistischer Drecksarbeit die Hände schmutzig zu machen wie, mit Zeugen des Vorfalls zu reden, Gerichtsakten zu wälzen oder Polizisten kritisch zu befragen. Nicht doch, das könnte ja in Arbeit ausarten. Und wo liegt Dresden überhaupt, ist das nicht in der Zone?

Dem nicht genug, wird in dem Artikel lauthals beklagt, dass der Anstoß zur Kritik von außen gekommen sei, nämlich von Stephan J. Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Von außen! Was ist Kramer, Ägypter? Iraner? Israeli?

Kaum hatte ich mich davon erholt, berichten uns die Autoren, dass sich Mahmoud Ahmadinejad an die Spitze der Bewegung gestellt hat, den Mord zu verurteilen. Die Zeit verkauft uns Ahmadinejad als moralische Instanz? Das wird ja immer doller. Ich kann mich erinnern, wie der noch ein ganz normaler Islamofaschist war, das ist gerade mal ein halbes Jahr her. Was ist da passiert, ist Josef Joffé nicht mehr Herausgeber?

Zuletzt, heute, hat der Tagesspiegel das langanhaltende Schweigen beklagt, getreu dem Motto. Das Schweigen ist erst beendet, wenn ich selber das Maul aufgerissen haben. Der Tagesspiegel artikulierte die Sorge, dass uns die Ägypter nicht mehr mögen. Denn, so meinen die Ägypter, wenn Marwa eine Jüdin gewesen wäre, hätten die Wellen viel höher geschlagen! Aha, daher weht der Wind. Andererseits, denkt nicht Ahmadinejad immer, in Deutschland werden gar keine Juden umgebracht? Irgendwie macht mich das sehr konfus. Vielleicht sollte Mahmoud mal mit den Ägyptern ein ernstes Wort reden.

Hier ist noch eine Idee: Wie wäre es, wenn das Auswärtige Amt einfach eine Reisewarnung nach Ägypten ausspricht? Dann brauchen sich unsere nichtschweigenden Journalisten nicht mehr zu fürchten. Bei der Gelegenheit könnte man auch eine Reisewarnung nach Dresden aussprechen, um jegliche Gefahr zu bannen, auch die eines unerwarteten Arbeitseinsatzes ganz, ganz weit im Osten.

Eva C. Schweitzer, Manhattan  Moments. Geschichten aus New York, erschienen bei Droemer-Knaur, Juni 2009,Taschenbuch, 9,95 €

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