von 06.11.2011

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Von Anne Fromm, Teilnehmerin am 9. Workshop der taz Panter Stiftung. Thema diesmal: Scheitern.

Fortsetzung von Teil 1

Freitag, 21 Uhr: Ich bin jetzt gut 38 Stunden wach. Ich verlasse die Redaktion und fahre nach Hause. Übermut packt mich. Ich rase mit dem Fahrrad durch die Nacht, voller Vorfreude auf das, was kommen wird. Ich bin so wach wie ich es sonst nie bin und zum ersten Mal kommt mir in den Sinn, dass das Experiment tatsächlich gelingen könnte: Drei Tage wach, durchhalten bis Sonntagfrüh um 7. Und überhaupt: Wer braucht eigentlich Schlaf? Wenn es einem irgendwann so gut geht, wie mir jetzt gerade, dann braucht doch keiner mehr Drogen. Sicherheitshalber rufe ich eine Medizin studierende Freundin an: Schwerwiegende Konsequenzen von Schlafentzug? Langfristig nicht zu befürchten.

23 Uhr, Kreuzberg: Ich treffe drei Freundinnen in einer Bar. Mate-Tee statt Alkohol. Ich rede, rede, rede. Adrenalin-Sonderausschüttung.

Samstag, 2 Uhr, vor dem Technoclub Berghain: Die Schlange sieht überschaubar aus. Aus strategischen Gründen lassen wir eine große Gruppe betrunkener Italiener vor. Touristen in großen Horden kommen angeblich eh nicht rein. Das heißt, wenn die Italiener abgewiesen werden, haben wir, als ihre direkten Nachfolger, vielleicht höhere Chancen. Ab und zu piept mein Handy: Kontroll-SMS von Freunden. „Na, bist du noch wach?“ Natürlich. Hellwach!

3 Uhr: Es geht zäh voran. Ich bin komplett durchgefroren. Aus Style-Gründen habe ich auf meine Winterjacke verzichtet. Großer Fehler! Um mich herum gackernde Partywillige. Ich kämpfe mit der Müdigkeit. Wir sind mittlerweile zu fünft. Wieder strategische Überlegungen: Wenn wir vom Türsteher gefragt werden, wie viele wir sind, sagen wir dann fünf oder gehen wir in zwei Kleingruppen rein. Aber was, wenn eine Kleingruppe nicht reinkommt? Wir entscheiden uns für die fünf und sind …

3.30 Uhr, im Berghain: Minimal Techno. Jeder einzelne Beat fährt mir in den Magen und dreht ihn um. Ich will tanzen. Jetzt.

6.30 Uhr: Es sind jetzt 48 Stunden. Meine Beine fühlen sich an wie von Betonklötzen beschwert und meine Bewegungen werden langsamer. Das ist kein elegantes Tanzen mehr, das ist plumpes Trampeln. Ohne Taktgefühl und Koordination. Jede Berührung, jeder Anrempler nervt mich. Überhaupt: Zu viele Leute, Musik zu laut, ich will raus. Meine Freunde geben sich Mühe, mich wach zu halten. Unter den Tanzenden hier bin ich bestimmt nicht die Einzige, die schon seit zwei Tagen wach ist. Dafür aber eine der Wenigen, die das ohne Drogen schafft.

8.30 Uhr: Erschöpft trotten wir zum Ostbahnhof. Regungslos starre ich aus dem S-Bahn-Fenster. Draußen erwacht das Leben. Ich kämpfe gegen meine schweren Augenlider. Ich fühle mich ekelig.

9 Uhr: Bin kurz zu Hause, Zähne putzen und umziehen.

9:15, U-Bahnhof Wittenbergplatz: Als die Bahn einfährt, kann ich nicht aufstehen. Mein Herz wummert, als reiche ihm der Platz in meinem Brustkorb nicht. Unter meiner Jacke rinnt kalter Schweiß. Angstschweiß. Die Gesichter der Leute verschwimmen zu hässlichen Fratzen und zum ersten Mal bekomme ich Panik: Könnte dieses Experiment komplett schiefgehen? Kreislaufkollaps? Herzkasper? Tod? Ich kann mir im Ansatz vorstellen, warum Schlafentzug eine Foltermethode ist. Und schließlich sehe ich ein: Das war’s. Du bist gescheitert. Jetzt in die Rudi-Dutschke-Straße zu fahren, wäre wahnsinnig. Du musst niemandem etwas beweisen. Nicht in diesem Zustand.

10 Uhr, zu Hause: Endlich, nach 51 Stunden liege ich in meinem Bett. Aber schlafen kann ich nicht. Alles tut mir weh. Füße schwer, Knie weich, es zieht im Rücken. Mein Herz rast immer noch und mein Magen kämpft mit dem Brötchen, das ich ihm eben zugeführt habe. Ich liege wach.

12.30 Uhr, zwei Stunden gedöst: Ich fühle mich matt, aber wesentlich besser als vorhin. Jetzt kann ich auch wieder klare Gedanken fassen. Wieso ist es mir eigentlich so leicht gefallen abzubrechen? Weil es ein Spiel war? Weil ich Scheitern von vornherein mitgedacht habe?

14 Uhr, Rudi-Dutschke-Straße: Die Redaktionskonferenz ist in vollem Gang. Leise betrete ich den Raum, bleibe aber natürlich nicht unbemerkt. Ein Lachen geht durch die Runde. Da kommt die Gescheiterte. Die, mit den Augenringen, heiser und langsam. Im Berghain bin ich mit meinem starren Blick nicht aufgefallen. Hier bin ich umgeben von fitten, energischen Leuten. Unangenehm.

16 Uhr: Ob ich enttäuscht sei, will eine Kollegin wissen. Ohne lange nachzudenken, verneine ich. Aufzugeben war überhaupt nicht schwer. Schade, dass es gerade um diese Zeit war, so habe ein Workshopseminar verpasst. Aber ich habe aufgehört, als ich gemerkt habe, dass es nicht mehr geht. Dass es vorbei ist. Und das hat sich erstaunlich gut angefühlt.

21 Uhr, zu Hause: Völlig erschöpft falle ich ins Bett und schlafe sofort ein.

8 Uhr, aufwachen: Schlaf ist das Tollste auf der Welt. Nie wieder ohne!

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