Georg von Rauch wurde am 4. Dezember 1971 um 17:24 Uhr vor dem Haus Eisenacher Straße 2 in Berlin-Schöneberg von Zivilfahndern gestellt und von dem Kriminalhauptmeister Hans-Joachim Schultz erschossen. Dies geschah im Rahmen einer Großfahndung namens „Trabrennen“. Georg von Rauch war Mitglied des „Zentralrats der umherschweifenden Haschrebellen“. Georg von Rauch ist historisch gesehen das erste Todesopfer des „Kriegs gegen Drogen“ (war on drugs) in Deutschland. Auch wenn 40 Jahre vergangen sind ist es angemessen, am Ort seiner Erschießung Kerzen, Blumen und anderes gegen das Vergessen niederzulegen.
Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen
Die Haschrebellen gehörten zu einer auch als „Berliner Blues“ bezeichneten Untergrundbewegung, die aus der Haschischszene der Stadt hervorgegangen war. Zu den bekanntesten Mitgliedern des Zirkels gehörten Dieter Kunzelmann, Ralf Reinders, Michael „Bommi“ Baumann, Ronald Fritzsch, Bernhard Braun, Georg von Rauch und Thomas Weisbecker. Die gewaltsamen Tode Rauchs und Weisbeckers zwischen Dezember 1971 und März 1972 (beide wurden beim Versuch der Festnahme durch Polizisten erschossen) führten dann unmittelbar zur Bildung der Bewegung 2. Juni. Zur Erinnerung: Am 2. Juni 1967 wurde Benno Ohnesorg von dem als Zivilpolizist eingesetzten Polizeiobermeister Karl-Heinz Kurras anlässlich einer Studentendemonstration gegen den Schah von Persien Mohammad Reza Schah Phalavi in der Nähe der Deutschen Oper in der Krumme Straße erschossen. In Gedenken an Benno Ohnesorg und unter dem Eindruck des Todes von Georg von Rauch fanden zum Jahreswechsel 1971/72 in Berlin Treffen verschiedener linker Gruppen statt. Sie diskutierten ihren Zusammenschluss und riefen im Januar 1972 die „Bewegung 2. Juni“ ins Leben. Am 2. Juni 1980 erklärte ein Teil der Bewegung 2. Juni ihre Selbstauflösung und schloss sich der RAF an.
Der „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“ entwickelte sich aus einem Kommuneexperiment in der Wielandstraße in Berlin-Charlottenburg heraus. Hauptmieter der betreffenden Wohnung war der Rechtsanwalt Otto Schily. Die als „Wielandkommune“ bekannt gewordene Gruppe von bis zu 20 Personen praktizierte dabei einen bewusst antibürgerlichen Lebensstil, wobei man sich als Avantgarde einer grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung begriff.
Der doppelte Georg
Im Juli 1971 kam es im Kriminalgericht Moabit zum Prozess gegen Georg von Rauch, Bommi Baumann und Thommy Weisbäcker. Vorwurf: Brand- und Bombenanschläge ohne Personenschaden. Die drei wurden unter anderem von den Rechtsanwälten Otto Schily und Hans Christian Ströbele verteidigt. Damals die bekanntesten linken Anwälte der Republik. Für den vierten Verhandlungstag, den 9. Juli 1971, zeichnete sich ab, dass die Haftbefehle gegen Bommi und Thommy aufgehoben werden. In Haft sollte nur Georg bleiben, dem die Staatsanwaltschaft weitere Anschläge anlastete. Am Morgen des 9. Juli wurden die drei Angeklagten, übrigens gegen die ausdrückliche Anordnung des Vorsitzenden Richters, zum ersten Mal und aus Unachtsamkeit vor der Verhandlung für 30 Minuten in einer Vorschlusszelle zusammen eingesperrt.
Es war Georg, der die Idee mit dem Tausch hatte: Thommy und Georg hatten beide wallende, lange und dunkle Haare. Und beide trugen einen dunklen Vollbart. Nur Thommy war Brillenträger. In Eile reifte der Plan. Georg sollte die Brille von Thommy aufsetzen und sich auch auf dessen Platz im Gericht niederlassen. Alles lief glatt. Ob der spätere Innenminister Schily eingeweiht war, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall machten die Rechtsanwälte den Tausch mit. Als der Richter am frühen Nachmittag die Haftbefehle gegen Bommi und Thommy aufhob, verabschiedeten sich Bommi und der falsche Thommy und verließen unter dem Beifall der Zuhörer unverzüglich den Gerichtssaal. Thommy Weisbäcker alias Georg von Rauch wurde in den Zellentrackt zurückgeführt. „Was heißt hier von Rauch, ich bin Thomas Weißbecker“, empörte der sich eine Stunde später. Georg war längst in Sicherheit. Die Verwirrung der Justiz war perfekt. Nun kam der Richter nicht umhin, auch Weisbäcker auf freien Fuß zu setzen. Es war ein Fehler der Justiz, der nicht zu Lasten von Weisbäcker gehen durfte. Westberlin stand Kopf, und der Blues hatte seine Hauptaktivisten wieder in Freiheit. Schon einen Tag später hing das Fahndungsfoto von Georg in allen öffentlichen Gebäuden.
Und beide mussten sterben
Der Staat fühlte sich von diesen zwei Haschrebellen düpiert und ging mit aller Härte gegen dieselben vor – beide wurden in der Folge von der Polizei erschossen. Die Staatsanwaltschaft und die Justiz gaben dabei der Polizei die notwendige Rückendeckung. Selten wurde bei einer Ermittlung so viel gelogen wie bei der Aufarbeitung des Todes von Georg von Rauch. Und selten wurde bei einem Gerichtsverfahren die Wahrheitsfindung von Amtes wegen so behindert, wie in dem Revisionsverfahren gegen Klaus Wagenbach. 1973 erwirkte der Berliner Polizeipräsident einen Strafbefehl gegen Klaus Wagenbach, weil in einem der Bücher (Rote Kalender 1973) des Verlages zu lesen war, Georg von Rauch (und auch Benno Ohnesorg) seien „ermordet“ worden. Im ersten Verfahren wurde Klaus Wagenbach freigesprochen, in der von Polizeipräsident und Staatsanwaltschaft angestrengten Berufung 1975 hingegen verurteilt. In der Dokumentation zum Prozess gegen Klaus Wagenbach „Die Erschießung des Georg von Rauch – Warum der Tote schuldig ist, der Todesschütze freigesprochen, der Kritiker verurteilt wird“ kann jeder sich ein Bild machen von dem Lügengebäude und den Manipulationen, die diesen Prozess charakterisiereten.
Die politische Entwicklung freilich ist deutlich: Als am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg erschossen wurde, wurde der Todesschütze zwar freigesprochen, aber er musste sich in zwei Gerichtsverfahren verantworten, wurde später entlassen und auch der Polizeipräsident dankte ab. 1971 war das schon anders – der Schütze wurde gar nicht mehr angeklagt, der Polizeipräsidentenstuhl wackelte nur ein wenig, aber auch seinerseits musste eine liberale Öffentlichkeit noch beruhigt werden mit höchst zweifelhaften „Schussgutachten“ und nachgestellten Filmen vom „Tathergang“. 1975 schließlich reichten dann extrem lückenhafte Unterlagen bereits aus, die liberale Öffentlichkeit per Gerichtsurteil zum Schweigen zu bringen. Insofern ist dieser Prozess (das belegen auch Dauer und Aufwand) ein Musterprozess gewesen.
Zum 30. Todestag von Georg von Rauch. Text vom Freundeskreis.
DER SPIEGEL 3/1972: Geschwärzte Hände
Haschrebellen –wie alles anfing … Tödliche Terroristenfahndung
[…] http://blogs.taz.de/drogerie/2011/12/04/in-memoriam-georg-von-rauch/ […]