„Ein Liter Wasser löscht den Durst eines Wanderers für ein paar Stunden. Ein Liter Weihwasser bestärkt ein paar hundert Kirchgänger in ihrer Frömmigkeit. Ein Liter LSD kann vier bis fünf Millionen Menschen zu völlig neuen Anschauungen der Welt und neue Einsichten in ihr eigenes Selbst vermitteln.“
Dieser Satz stand in der Einladung von Roger Liggenstorfer und dem Autoren dieser Zeilen zu einem Festakt im April 1993 in Basel zum 50jährigen Jubiläum der LSD-Erfahrung von Albert Hofmann. Zur Erinnerung: 1938 entdeckte der Basler Chemiker Albert Hofmann bei der Untersuchung der Mutterkorn-Alkaloide das Lysergsäure-Diäthylamid, kurz LSD. Basis war ein Inhaltsstoff des Mutterkorns. Die Verbindung wurde im Tierversuch getestet, wo sie keine besondere Wirkung zeigte. LSD wurde also schon vor 75 Jahren erstmals hergestellt. Aber erst am 16. April 1943 machte Albert Hofmann die Bekanntschaft mit der unglaublichen Wirkung dieser Substanz. An diesem Freitag stellte er die Substanz LSD erneut her – aus dem unbestimmten Gefühl heraus, der Stoff müsse doch irgendetwas bewirken. Offenbar gelangte er damit unabsichtlich in Berührung. Hofmann verspürte plötzlich „ungewöhnliche Empfindungen“, fuhr mit dem Fahrrad nach Hause und versank in einen rauschartigen Zustand, „der sich durch eine äußerst angeregte Fantasie kennzeichnete“.
Drei Tage später, am Montag, den 19. April 1943, unternahm Albert Hofmann einen Selbstversuch mit der, wie er meinte, „kleinsten Menge, von der noch irgendein feststellbarer Effekt erwartet werden konnte“ – 0,25 Milligramm LSD, aus heutiger Sicht eine gewaltige Dosierung. Hofmann hatte das Gefühl, wahnsinnig zu werden. „Die Substanz, mit der ich hatte experimentieren wollen, hatte mich besiegt. Sie war der Dämon, der höhnisch über meinen Willen triumphierte. […] Ich war in eine andere Welt geraten, in andere Räume, mit anderer Zeit.“ Eilig wurde ein Arzt gerufen, der allerdings keine abnormen Symptome feststellen konnte. Hofmann glaubte an eine Vergiftung, trank in der Nacht „alle irgendwie beschaffbare Milch“ und blieb einen ganzen Tag lang im Bett. „Tags darauf konnte ich vollkommen normal und frisch die Arbeit im Laboratorium wieder aufnehmen“, notierte er im Bericht für seine Vorgesetzten.
Also, nicht das LSD wird dieser Tage 70 – wie in fälschlicher Weise viele Medien berichten – sondern die Erfahrung der Wirkung des LSD. Diese machte Hofmann am 16. April 1943. Die erste vorsätzliche respektive bewusste Einnahme von LSD fand dann am 19. April 1943 statt.
Im Roman „St.Petri-Schnee“ des Schriftstellers Leo Perutz wurde die Wirkung dieser „Substanz“ in absolut hellseherischer Art und Weise schon zuvor beschrieben. Perutz hatte 1933 (fünf Jahre, bevor Albert Hofmann erstmalig LSD herstellte und zehn Jahre bevor er die Wirkung dieser Substanz erkannte) in diesem Roman die Entstehung der Religion, die sich ihm als Massenhysterie darstellte, auf eine Infektion durch den Getreidepilz Mutterkorn zurückgeführt. Darauf aufbauend beschrieb Perutz in dem Roman die Arbeit eines auf naturwissenschaftlichem Gebiet arbeitenden Barons, der aus dem Mutterkorn einen Stoff extrahierte, der vorübergehende psychische Wirkungen hervorrief und in keiner Weise den Organismus schädigte. Pikanterweise befand sich das Laboratorium des Barons im Pfarrhaus. Perutz entwickelte in dem Roman mit großer erzählerischer Virtuosität zwei Versionen nebeneinander, die so exakt mit allen Mitteln der erzählerischen Virtuosität konstruiert waren, dass die Leser nicht entscheiden konnten, welche der beiden ‚Realitäten‘ die wahrscheinlich(er)e sei … In diesem Wechselspiel von Traum und Wirklichkeit erwies sich der Roman als ein erzählerisches Meisterwerk.
Zitate aus „St.Petri-Schnee“ von Leo Perutz
Der Pfarrer: „Glauben heißt begnadet sein. Der Glaube ist das Werk Gottes in uns und er kann nur lebendig werden durch geduldige Arbeit, durch dienende Liebe und durch Gebet.“ Die Pharmakzeutin: „Nein, auch durch Chemie.“ (S. 114)
Der Baron: „Das, was wir religiöse Inbrunst und Ekstase des Glaubens nennen, bietet als Einzel- wie Massenerscheinung fast immer das klinische Bild eines durch ein Rauschgift hervorgerufenen Erregungszustandes.“ (S. 115)
Der Baron: „Es gibt – oder es gab – eine Getreidekrankheit, die in früheren Jahrhunderten oft beschrieben worden ist, und in jeder Gegend, in der sie auftrat, war sie unter einem anderen Namen bekannt. In Spanien hieß sie ‚die Magdalenenflechte‘, im Elsaß ‚der Armen-Seelen-Tau‘. Das ‚Arztbuch‘ des Adam von Cremona beschrieb sie unter dem Namen ‚Misericordia-Korn‘, in den Alpen war sie als ‚St.Petri-Schnee‘ bekannt. In der Umgebung von St. Gallen nannte man sie den ‚Bettelmönch‘ und im nördlichen Böhmen die ‚St. Johannis-Fäule‘. Hier bei uns im Westfälischen, wo sie besonders oft auftrat, hieß sie bei den Bauern ‚der Muttergottesbrand‘. (…) Und nun beachten Sie, dass alle Namen, die ich ihnen aufgezählt habe, etwas gemeinsames besitzen: die Verknüpfung mit religiösen Vorstellungen.“ (S. 121)
Es gelang der Pharmazeutin, durch ein Destillationsverfahren aus dem Pilz das flüssige Rauschgift zu gewinnen, und die Analyse, die sie vornahm, ergab: „Die wirksamen Bestandteile sind eine Anzahl Alkaloide. Außerdem finden sich noch kleinere Mengen harzartiger Produkte und ein wenig Sphazelynsäure vor und schließlich lassen sich eine Spur einer öligen Substanz nachweisen.“ (S. 127)
Der Baron: „Dieses Mittel (dieses Alkaloid) schädigt in keiner Weise den Organismus. Es ruft rein psychische Wirkungen hervor, vorübergehende Wirkungen übrigens. Es macht vielleicht den Mann für kurze Zeit ein wenig glücklicher – das ist alles.“ (S. 79)
Vergleicht man die Beschreibungen der „Substanz“ aus dem Mutterkorn im Roman von Leo Perutz mit den Aussagen führender Wissenschaftler zu LSD, dann kann man erkennen, wie präzise der Autor die Wirkungen jener Substanz vorausgesehen hatte. So bezeichnet Albert Hofmann LSD als sakrale Droge und am LSD-Symposium in Basel äußerte sich der 100-jährige Hofmann zur Frage, was er unter sakralen Drogen verstehe, wie folgt:
Albert Hofmann: LSD ist eine sakrale Droge
„Ich verstehe darunter Substanzen, die seit Jahrtausenden immer im zeremoniellen Rahmen gebraucht wurden, und bei denen ein Tabu lastete. Der gewöhnliche Sterbliche darf diese Stoffe, diese Pflanzen nur gebrauchen im Rahmen … einer heiligen Feier unter der Leitung des Schamanen. Es waren Drogen, die deshalb diesen Schutz nötig hatten, weil sie zutiefst in den Menschen, den Menschen verändern. …. Das Bewusstsein ist eigentlich die göttliche Gabe, die den Menschen beschieden ist. Deswegen waren immer diese bewusstseinsverändernden Drogen im Gebrauch. Sie konnten nur im rituellen Rahmen gebraucht werden. Das ist auch die große Schwierigkeit heute: Wir haben keinen zeremoniellen Rahmen mehr.“
Vergleiche hierzu:
LSD – Sorgenkind und Wunderdroge
Presseecho zum LSD-Symposium in Basel mit Zeittafel zur Geschichte des LSD
In Memoriam Albert Hofmann
Ein Nachruf auf den Entdecker des LSD Albert Hofmann
Und die, die hängen geblieben sind, wählen die Linke.