Für viele Journalisten gilt die alte Weisheit: „Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht.“ Und so konnte man in vielen Zeitungen lesen, dass in Düsseldorf kürzlich zwei junge Leute am Cannabiskonsum gestorben seien. Das jedenfalls erklärte der Mediziner Benno Hartung vom Institut für Rechtsmedizin der Usikniversitätsklinik in Düsseldorf. Und fast die komplette deutsche Zeitungslandschaft postulierte diese unhaltbare These willig in ihren Publikationen.
Hier ein paar Beispiele: Martina Stöcker titelte ihren Artikel vom 25. Februar 2014 in der Rheinischen Post „Beweis durch Düsseldorfer Rechtsmediziner – Cannabis erstmals als Todesursache nachgewiesen“, die Welt aus dem Hause Springer AG titelte am gleichen Tag „Wissenschaftler beweisen, dass Cannabis töten kann“ und J. Offermanns setzte in der Bild, ebenfalls aus dem Hause Springer AG, über seinen Artikel den Titel „Zum ersten Mal Tod durch Cannabis nachgewiesen – Totgekifft!“. Auch für die Deutschlandausgabe der Huffington Post war eine tiefer gehende Recherche nicht angezeigt und sie titelte „Uniklinik Düsseldorf: Cannabis-Konsum als Todesursache nachgewiesen“.
Es gab jedoch auch ein paar löbliche Ausnahmen. In der Zeit beispielsweise stand über dem Artikel von Sven Stockrahm der Titel „Cannabis: Kiffen ist keine Todesursache“ und im Text dahinter heißt es dann: „Tödliche Droge? Zwei Männer rauchten einen Joint. Kurz danach starben sie. Rechtsmediziner aus Düsseldorf vermuten einen Zusammenhang. Der lässt sich aber nicht beweisen.“ Auch diverse Blogger recherchierten etwas genauer und kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie Sven Stockrahm. So setzte David Bienenstock den Titel „Nein, man kann immer noch nicht an einer Cannabis-Überdosis sterben“ über seinen Beitrag zu einer ähnlichen Meldung und Andreas Rohde überschrieb seinen Beitrag im Lokalkompass Wesel zu den Düsseldorfer Fällen mit den Worten „Totgekifft – Schauermärchen verkaufen sich besser“.
Die Fakten
Zwischen 2001 und 2012 hatten Benno Hartung und Kollegen unter den geschätzt 5.500 Toten, die an der Uniklinik in Düsseldorf obduziert wurden, zunächst 15 Fälle entdeckt, in denen Marihuanakonsum den Tod zumindest mit ausgelöst haben könnte. Letztlich blieben von diesen 15 nur die zwei Männer, die nun als erste vermeintliche Cannabistote durch die Medien geistern. Bei einem 23-Jährigen Mann hatte man zwar bei der Obduktion einen vergrößerten Herzmuskel (hypertrophe Kardiomyopathie), der auch zu den Rhythmusstörungen geführt haben könnte, festgestellt, doch man entschied sich, Cannabis als mutmaßliche Todesursache anzugeben. Bei ihm wurden im Blut Cannabiswirkstoffe respektive deren Stoffwechselprodukte nachgewiesen, wobei die Werte als eher niedrig einzustufen sind: THC: 5,2 ng/ml (Nanogramm pro Milliliter), 11-OH-THC: 1,8 ng/ml, THC-COOH: 12,9 ng/ml. Auch bei dem 28-jährigen Mann waren die Werte ausgesprochen niedrig: THC: 1,9 ng/ml, 11-OH-THC: 0,8 ng/ml, THC-COOH: 10,1 ng/ml.
In dem Artikel „Sudden unexpected death under acute influence of cannabis“ für die Fachzeitschrift für Forensiker „Forensic Science International“ schrieben Benno Hartung und Kollegen, dass bei den beiden Toten nach der Autopsie zudem toxikologische, histologische, immunhistochemische und genetische Untersuchungen durchgeführt wurden. Somit schlossen die Rechtsmediziner eine Todesursache nach der anderen aus, bis nur noch Herzversagen in Folge des Cannabiskonsums übrigblieb. Doch ein Satz in dem Artikel macht stützig: „Screening tests for other common drugs showed negative results.“ Das heißt, es wurden keine Hinweise zum Konsum von allgemein verbreiteten Drogen gefunden. Offensichtlich wurde somit nur nach gängigen Drogen gesucht, jedoch nicht nach sogenannten „neuen psychoaktiven Substanzen“, zu denen auch die synthetischen Cannabinoiden zählen.
Cannabis und Cannabinoide
Das Harz der Hanfpflanze enthält mehr als 60 Cannabinoide (Phytocannabinoide). Die bekanntesten davon sind das psychoaktiv wirkende Tetrahydrocannabinol (THC) und das entkrampfend, entzündungshemmend und angstlösend wirkende Cannabidiol (CBD). Zudem gibt es hunderte von künstlich hergestellten Cannabinoiden. Künstliche Cannabinoide können sowohl halbsynthetisch hergestellt werden, das heißt aus natürlichen Cannabinoiden, als auch vollsynthetisch, das heißt aus einfachen Grundstoffen. Synthetische Cannabinoide werden medizinisch genutzt, dienen aber auch in der Neurowissenschaft dazu, die Cannabinoidwirkung im Gehirn zu verstehen.
Synthetische Cannabinoide habe zum Teil eine vielfach stärkere Wirkung als die natürlichen Cannabinoide. Zum Beispiel ist das synthetische Cannabinoid HU-210 etwa 100 bis 800 mal wirksamer als das natürliche Tetrahydrocannabinol aus der Hanfpflanze und besitzt eine längere Wirkungsdauer. Deshalb werden synthetische Cannabinoide als Wirkstoffe für Kräutermischungen wie Spice genutzt oder auch zur Wirkungssteigerung von minderwertigen Hanfblüten. Nach dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden ist es schon nachweislich zu Todesfällen gekommen.
In der Berichterstattung ist somit sehr genau zwischen der Wirkung von Cannabis (Hanfpflanze) und synthetische Cannabinoiden zu unterscheiden, da es sonst bei den Lesern leicht zu Missverständnissen kommen kann. Doch selbst die Ärzte Zeitung titelte am 26. Februar 2014 „10.000 Hospitalisierungen wegen Cannabis“ und schrieb im Text darunter:
„2012 entfielen exakt 10.142 Klinikaufenthalte auf die Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide“ (ICD-10: F12.-). Die Zahl der Fälle hat sich der Krankenkasse zufolge in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht. Vier von fünf Patienten waren männlich. Weit höher lag die Zahl der Klinikaufenthalte allerdings wegen Störungen durch Alkohol (ICD-10: F10.-) mit 345.034 und durch Opioide (ICD-10: F11.-) mit 26.512.“
Für die Leser ist somit nicht nachvollziehbar, wie viele der Patienten wegen Streckmitteln oder synthetischen Cannabinoiden behandelt werden mussten und wie viele tatsächlich wegen des Konsums von Cannabis. Jedenfalls sind hier Titel und Text nicht stimmmig.
Kritik von Forensikern
Außenstehende Forensiker halten die These von Benno Hartung und Kollegen jedoch für unhaltbar, wie im Artikel der Zeit zu lesen ist. „Da nach den Analysen nichts anderes mehr auftauchte, haben sich Hartung und sein Team auf Cannabis verstiegen“, sagt etwa Frank Mußhoff vom Forensisch Toxikoloischen Centrum München. „Das ist aber kein Beweis, höchstens eine Erklärung.“ So habe das Team nicht besonders viel von der Substanz Tetrahydrocannabinol (THC), die den Rausch auslöst, im Körper der beiden jungen Männer gefunden. Mußhoff spricht von Konzentrationen, die auch hin und wieder in Blutproben von Menschen während einer Verkehrskontrolle auftauchen. „Die gefundenen Abbauprodukte sprechen zudem nicht dafür, dass die toten Männer regelmäßige Cannabisnutzer gewesen sind.“
Der Leiter der Rechtsmedizin an der Berliner Charité, Michael Tsokos, stellte hierzu fest: „Die einzelnen Befunde stützen das nicht […] Aus ihnen geht hervor, dass der 23-jährige Verstorbene schwer am Herzen vorerkrankt war. Hätte er nicht zufällig am Tag vor seinem Tod Cannabis geraucht, wäre ein Zusammenhang mit seinem Tod gar nicht hergestellt worden. […] Fälle, in denen die Todesursache unklar ist, haben wir vereinzelt immer wieder. Cannabis als Ursache zu vermuten, ist für mich eine Verlegenheitsdiagnose.“ Für Tsokos ist klar: „Hier geht es um Koinzidenz und nicht um Kausalität.“
„Common drugs“ heißt in dem Kontext zunächst mal „gängige Arzneistoffe“ und nicht etwa „gängige Drogen“. Damit geht es schon mal los…