Am Samstag, den 8. August 2015, startete die Hanfparade mit diversen Reden auf dem Washingtonplat beim Berliner Hauptbahnhof und zog dann mit etwa einem Dutzend Musikwagen zum Gesundheitsministerium zur ersten Zwischenkundgebung und in der Folge zum Berliner Dom zur zweiten Zwischenkundgebung um dann mit einem vielfältigen Programm auf der Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor den großen Abschluss zu zelebrieren.
Die Bild berichtete, dass der Protestzug gemäß Polizeisprecher mit rund 5000 Menschen gestartet sei, die Berliner Zeitung berichtete hingegen, dass rund 7000 Menschen zur Parade gekommen waren und im Tagesspiegel stand, dass laut Polizei 8000 Menschen durch Berlin zogen und die Parade sich wie ein großes Straßenfest durch die Straßen der Hauptstadt schob. Auch das Neue Deutschland berichtete von rund 8000 Cannabis-Sympathisanten, die bei Temperaturen um 35 Grad und knallender Sonne am Brandenburger Tor eintrafen. So unterschiedlich die Zahl der Demonstranten angegeben wurde, so übereinstimmend war das positive Bild, dass von der Parade vermittelt wurde. So resümierte die TAZ unter dem Titel „Der Joint als Parole“ sehr treffend: „Wer für das Recht auf freies Kiffen auf die Straße geht, stundenlang durch den Stadtteil Mitte zieht und am Ende vor dem Brandenburger Tor weiter demonstriert, tut dies zum Großteil eben nicht nur aus reinem Spaß, sondern weil er ein ernstes Anliegen hat.“ Danach konstatierte der Autor Andreas Hartmann, dass die meisten der Hanfparade-Teilnehmer kaum älter als um die 21 Jahre waren – von wegen unpolitischer Jugend.
Viel Jubel vor der großen Bühne
Tausende Cannabis-Sympathisanten jubelten vor der großen Bühne beim Brandenburger Tor – wegen des Sponsors auch Dinafem-Bühne genannt – nicht nur den Musikern der auftretenden Bands – die Ohrbooten, Kat Baloun, Damian Davis und Mono & Nikitaman – zu, sondern auch den Rednerinnen und Rednern. Als erster sprach Frank Tempel (Die Linke, suchtpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion). Frank Tempel betonte in seiner Rede, dass nicht nur über 120 Strafrechtsprofessoren sich für eine Evaluierung und Revision des Betäubungsmittelgesetzes aussprechen, sondern auch die Führungsspitzen der Polizeigewerkschaften wie auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Als ehemaliger Kriminalbeamter kennt sich Tempel in der Materie sehr gut aus und er schilderte in eindrücklicher Weise, wieso viele Kriminalisten das Cannabisverbot für gescheitert halten.
In der Folge sprach Thomas Isenberg, Sprecher für Gesundheit der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. In seiner Rede (bis dato noch nicht online verfügbar) schilderte er den Wandel, der sich gerade bei der Frage zur Cannabislegalisierung in der Partei vollzieht und erläuterte die Bedeutung der Mitgliederbefragung bei der Berliner SPD im Oktober zu zentralen Themen des Wahlprogramms. Ganz basisdemokratisch sollen die 17.000 SPD-Mitglieder zu speziellen und vor allem heiß diskutierten Themen Stellung beziehen, so dass das Wahlprogramm im Sinne der Parteimitglieder ausgefertigt werden kann. Hier bat Isenberg alle Anwesenden sich mit ihnen bekannten SPD-Mitgliedern in Verbindung zu setzen und ihnen den Irrsinn des Cannabisverbots zu erklären und bei ihnen für eine Zustimmung für die Legalisierung zu werben.
Nach dem musikalischen Zwischenspiel von Kat Baloun kam die Bürgermeisterin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) zu Wort. In ihrer Rede (bis dato noch nicht online verfügbar) schilderte sie die Situation im Görlitzer Park, der in Touristenführer als das Kifferparadies von Berlin beworben wird, und die Erfolglosigkeit der sogenannten und nach Einschätzung vieler Juristen verfassungswidrigen Null-Toleranz-Politik des Berliner Innensenators Frank Henkel. Sie betonte, dass inzwischen auch der Berliner Senat die Nutzlosigkeit der vielen Razzien erkannt habe. Vehement verteidigte sie den Antrag zum Modellversuch, bei dem Cannabis staatlich kontrolliert an registrierte Konsumenten in ihrem Bezirk verkauft werden soll.
Die zwei letzen Redner kamen aus dem benachbarten Ausland und sprachen vor allem über die internationale Drogenpolitik. Joep Oomen aus Belgien von der Europäischen Vereinigung für eine gerechte und effektive Drogenpolitik (ENCOD) widmete seine Rede vor allem dem Freiheitsgedanken. In eloquenter Weise schilderte er das Recht eines jeden Menschen, sein Leben so zu gestalten, wie es ihm beliebt und dass man dafür keine Vorgaben von irgendwelchen internationalen Organisationen wie die UNO dazu benötige. Auch der Schweizer Hans Cousto von der Freien Arbeitsgemeinschaft DrogenGenussKultur stellte in seiner Rede den Freiheitsgedanken ins Zentrum seiner Ausführungen. Zudem erläuterte er die Bedeutung der verschiedenen Cannabinoiden für den Genuss und die Verträglichkeit unterschiedlicher Haschisch- und Grassorten und forderte die UNO auf, der Suchtstoffkommission in Wien das Mandat zu entziehen und der UNESCO zu übertragen, da der Gebrauch von Drogen nur durch Bildung, Wissenschaft und Kultur sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft verträglich gestaltet werden könne.
Absurde Szenen hinter der Bühne
Vor ihrem Auftritt saßen Frank Tempel und Thomas Isenberg an einem Biertisch hinter der großen Bühne unweit eines Stapels von zusammengeklappten Biertischen und Bierbänken. Zu ihnen gesellte sich dann noch der Richter Andreas Müller aus Bernau. Nachdem die beiden Erstgenannten ihre Vorträge gehalten hatten und die drei Herren den Bereich hinter der Bühne verlassen hatten, kam die Polizei und ordnete an, dass die Bänke und der Tisch wieder auf den Stapel zu legen seien. Die Polizisten begründeten diese Anordnung mit den Auflagen der Versammlungsbehörde für diese Demonstration.
Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus den Auflagen der Versammlungsbehörde für die Hanfparade. Darin heißt es, dass das Aufstellen von Bänken und Tischen hinter der Bühne untersagt sei. Ebenso war es untersagt, den Künstlern und den Rednern einen Imbiss zur Stärkung zu servieren. Deshalb untersagte die Polizei auch dem Lieferanten der Speisen das Gelände der Abschlusskundgebung mit seiner Ware zu betreten. In der Folge mussten alle Redner und Künstler stehend auf ihren Auftritt warten, so auch die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. Diese absurde Maßnahme kann man nun wirklich nicht als versammlungsfreundlich klassifizieren. Und ständig standen zwei oder drei uniformierte Beamte in der Nähe des Stapels mit den Bänken und Tischen und passten auf, dass ja niemand dort eine Bank greift und diese aufstellt, damit man sich darauf setzen kann.
Gemäß Brockdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1985 (BVerfGE 69, 315) sind die staatlichen Behörden gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufender Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben. Vor diesem Hintergrund erscheint der Auflagenbescheid der Versammlungsbehörde nicht nur absurd, sondern auch rechtswidrig zu sein, da durch eine Verköstigung von Künstlern und Rednern hinter einer Bühne auf Tischen wahrlich keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu befürchten ist. Die übermäßige Regelung aller Dinge und die Gängelung der Menschen scheint immer noch dem preußischen Wesen inne zu wohnen wie zu Kaisers Zeiten.
Schon Alexander von Humboldt machte sich vor weit über hundert Jahren über das preußische Wesen der Berliner lustig und bezeichnete Berlin als eine intellektuell verödete, kleine, unliterarische und dazu überhämische Stadt, wo man monatelang gedankenleer an einem selbstgeschaffenen Zerrbild matter Einbildungskraft naget und alles und Jedes nach der Schreiberschablone gemessen werde. Die Berliner Akademie der Künste, deren „Regeneration“ er für dringend nötig erachtete, charakterisierte Humboldt als „Wespennest geschlechtsloser Insekten.“ Das gleiche Charakteristikum trifft heute auf die Berliner Innen- respektive Versammlungsbehörde und ihre Vollzugsbeamte zu.
Hinter der Bühne brauchte es keine Karikaturen, um das preußische Wesen zu überzeichnen, da man dasselbe wie in einem Comic live erleben konnte. Man wähnte sich dort nicht in einer weltoffenen und toleranten Metropole, die Berlin seit etwa einem Vierteljahrhundert als Hauptstadt der BRD so gerne sein möchte, sondern man fühlte sich dort wie in der Hauptstadt von Absurdistan.
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