vonHans Cousto 07.02.2016

Drogerie

Aufklärung über Drogen – die legalen und illegalen Highs & Downs und die Politik, die damit gemacht wird.

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Drogenhandel, das heißt Kauf und Verkauf von illegalen Drogen (z. B. Heroin, Kokain, Amphetamin, Ecstasy, Haschisch) ohne Erlaubnis der zuständigen Behörden, gilt als ein Teilbereich der Drogenkriminalität. Und Drogenkriminalität assoziieren die meisten Menschen mit Gewinnsucht und Gewaltkriminalität. So heißt es z. B. in der Wikipedia unter dem Lemma Drogenhandel: „Drogenhandel ist fast immer eng mit Korruption und Geldwäsche verbunden. Im Drogenhandel werden extrem hohe Gewinne erzielt. Üblicherweise wird der Handel mit illegalen Drogen vom organisierten Verbrechen übernommen. Das Verbot von Drogen (Prohibition) führt in der Regel zur Monopolisierung eines Schwarzmarktes durch kriminelle Banden und der Etablierung mafiöser Strukturen, welche sich auf die Kontrolle über den Absatzmarkt von illegalen Substanzen spezialisiert und regelrechte Drogenkartelle bilden.

Diese Beschreibung des Drogenhandels mag weitgehend für Staaten wie Kolumbien, Mexiko und sicher auch für diverse US-Bundesstaaten zutreffend sein, doch trifft diese Einschätzung auch auf Deutschland zu? Hierzu können ein paar Fakten, die in der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden nachlesbar sind, etwas Licht im Dunkel der bösen Vermutungen bringen.

Kriminalstatistik und Schusswaffengebrauch

In der deutschen polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wird bei allen aufgeführten Straftaten nicht nur die Zahl der Fälle angegeben, sondern unter anderem auch, wie oft bei einer bestimmten Straftat mit einer Schusswaffe gedroht wurde und wie oft geschossen wurde. In den letzten 30 Jahren – von 1985 bis 2014 – wurden in den jährlich erscheinenden polizeilichen Kriminalstatistiken isngesamt 175.563.756 Delikte registriert. Dabei wurde in 270.074 Fällen (0,15%) mit einer Schusswaffe gedroht und in 176.569 Fällen (0,10%) geschossen. Die meisten Schüsse fallen im Rahmen der Gewaltkriminalität. Dazu zählen Mord und Totschlag, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche und schwere Körperverletzung, erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme. In der Statistik sind jedoch auch Fälle erfasst, bei denen nicht auf Menschen geschossen wird, so z. B. bei der Wilderei. Hier wird auf Hasen, Rehe, Hirsche u.a.m. gezielt.

Schusswaffengebrauch bei Rauschgiftdelikten

Unter der Schlüsselzahl 730000 sind in der PKS die sogenannten „Rauschgiftdelikte nach BtMG“ aufgelistet. Hierunter fallen die allgemeinen Verstöße (auf den Konsum bezogene Delikte), der illegale Handel mit und Schmuggel von Rauschgiften sowie der illegale Anbau von Rauschgiften sowie weitere Delikte. Im Jahr 2006 wurde bei einem Delikt betreffend illegaler Handel mit und Schmuggel von Cannabis und Zubereitungen (Schlüsselzahl 732800) ein Fall registriert, bei dem geschossen wurde. Dies ist der einzige Fall, bei dem geschossen wurde, der im Zusammenhang mit „Rauschgiftdelikten nach BtMG“ im Zeitraum von 1985 bis 2014 registriert wurde. Im gleichen Zeitraum wurden im Zusammenhang mit „Rauschgiftdelikten nach BtMG“ drei Fälle registriert, bei denen mit einer Schusswaffe gedroht wurde. Im Jahr 2004 wurde bei einem allgemeinen Verstoß mit sonstigen Betäubungsmitteln (Schlüsselzahl 731900) mit einer Schusswaffe gedroht und im Jahr 1995 bei zwei Fällen im Rahmen der Abgabe, Verabreichung oder Überlassung von Betäubungsmitteln an Minderjährige (Schlüsselzahl 734500).

Im Zeitraum der letzten 30 Jahre – von 1985 bis 2014 – wurden in den jährlich erscheinenden polizeilichen Kriminalstatistiken insgesamt 5.748.484 „Rauschgiftdelikte nach BtMG“ registriert. Dabei wurde genau in einem Fall (0,000017%) geschossen und in drei Fällen (0,000052%) mit einer Schusswaffe gedroht.
Schusswaffengebrauch in krimineller Absicht für den Zeitraum von 1985 bis 2014 in der Bundesrepublik Deutschland. Datenquelle: BKA (dl-de/by-2-0)
Abbildung 1 zeigt ein paar Eckdaten zum Schusswaffengebrauch bei bestimmten Straftaten. Bei der „direkten Beschaffungskriminalität“ (Schlüsselzahl 891100) handelt es sich um Delikte, die zumeist von abhängigen Heroinkonsumenten begangen werden. Hierzu gehören Raub zur Erlangung von Betäubungsmitteln, Diebstahl von Betäubungsmitteln aus Apotheken, Diebstahl von Betäubungsmitteln aus Arztpraxen, Diebstahl von Betäubungsmitteln aus Krankenhäusern, Diebstahl von Betäubungsmitteln bei Herstellern und Großhändlern und Diebstahl von Rezeptformularen zur Erlangung von Betäubungsmitteln. Die Zahl der Fälle von direkter Beschaffungskriminalität nahm bis 1993 (6.427 Fälle) zu und sank danach nahezu stetig dank der Einführung von Substituitionsprogrammen. Im Jahr 2014 lag die Zahl der registrierten Fälle noch bei 2.189 (–66% im Vergleich zu 1993). Insgesamt wurden in den letzten 30 Jahren 45 Fälle registriert, bei denen geschossen wurde.

Schusswaffengebrauch bei der Fahndung

Nicht in der Statistik zu Rauschgiftdelikten sind jene Schüsse enthalten, die von Polizeibeamten im Rahmen der Verfolgung von Drogenhändlern abgefeuert werden. Diese sind manchmal auch tödlich. So wurde Dennis Sven Jeckstadt am 31. Dezember 2008 in Schönfließ bei Berlin durch einen Beamten der Berliner Polizei mit dem ersten von acht Schüssen getötet. Der Polizeibeamte Reinhard R. schoss mit seiner Dienstwaffe, einer SIG Sauer P 6, aus 1,50 m bis drei Metern Entfernung durch die Fensterscheibe der Fahrertür des Autos auf den unbewaffneten Dennis Jeckstadt. Schwer verletzt versuchte dieser weiter mit dem Auto zu fliehen. Reinhard R. schoss während des kurzen Fluchtversuchs noch siebenmal, fünf Schüsse trafen das Auto, doch keiner den Flüchtenden, so die Staatsanwaltschaft später. Nach wenigen Metern verlor Jeckstadt das Bewusstsein, das Auto rollte gegen eine Wand. Die Obduktion ergab, dass Jeckstadt an den Folgen eines Steckschusses, der oberhalb des Herzens eintrat und in der Lunge stecken blieb, starb.

Am Freitag, den 25.07.2014, wurde im bayrischen Burghausen der 33-jährige Andre B. in einem Hinterhof, wo auch Kinder spielten, erschossen. Gemäß Medienberichten habe Andre B. nach einer 5-jährigen Haftstrafe wieder mit Cannabis gehandelt. Er sei entgegen erster Gerüchte unbewaffnet gewesen und auf sehr kurze Entfernung mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet worden.

Nachdem es im Jahr 2014 in Burghausen bereits zu einem Todesschuss durch einen zivilen Beamten gegen einen flüchtenden, mutmaßlichen Cannabis-Händler kam, gab es Anfang Mai 2015 erneut einen ähnlichen Vorfall: Im bayrischen Schwandorf gab es Schüsse, weil ein 21-jähriger, dem vorgeworfen wurde 170 Gramm Marihuana in der Zugtoilette versteckt zu haben, versuchte zu flüchten. Seine Personalien hatte der Zoll bereits vorher aufgenommen. Der Verfolgte wurde nicht getroffen. Meldungen dieser Art kann man immer wieder in Zeitungen lesen.

Schusswaffengebrauch bei Kriminellen ist rückläufig

Die Wahrscheinlichkeit mit einer Schusswaffe in krimineller Absicht bedroht zu werden ist in Deutschland heute um ein Vielfaches niedriger als vor etwa 20 Jahren, wie man der unten stehenden Abbildung entnehmen kann.
Bedrohung mit Schusswaffe in krimineller Absicht in Deutschland. Zeitreihe 1993 bis 2014. Datenquelle: BKA (dl-de/by-2-0)Abbildung 2 zeigt die jährliche Anzahl von Fällen als Zeitreihe von 1993 bis 2014, bei denen jemand mit einer Schusswaffe im Rahmen von Straftaten bedroht wurde. Im Jahr 1997 wurden in der PKS 13.648 Fälle registriert, 2014 waren es nur noch 4.567. Die stellt ein Rückgang von 66,5% dar. Die Wahrscheinlichkeit in krimineller Absicht mit einer Schusswaffe bedroht zu werden, war Mitte der 90er Jahre etwa dreimal so groß wie heute. Datenquelle: BKA (dl-de/by-2-0).
Jährliche Anzahl von Fällen als Zeitreihe von 1993 bis 2014, bei denen jemand mit einer Schusswaffe im Rahmen von Straftaten geschossen hat. Datenquelle: BKA (dl-de/by-2-0)Abbildung 3 zeigt die jährliche Anzahl von Fällen als Zeitreihe von 1993 bis 2014, bei denen jemand mit einer Schusswaffe im Rahmen von Straftaten geschossen hat. Im Jahr 1996 wurden diesbezüglich 8.471 Fälle registriert, 2014 waren es nur noch 5.018. Auch hier zeigt sich ein deutlicher Rückgang. Datenquelle: BKA (dl-de/by-2-0).

Auffällig ist die starke Zunahme der Fälle von 2008 auf 2009. Hierzu heißt es in der PKS des BKA für das Jahr 2009 auf S. 268: „Durch den Wegfall von Plausibilitäten bei einigen Schlüsseln ist die Vergleichbarkeit mit den Vorjahren nicht mehr gegeben! Wegfall der Plausibilität „mit Schusswaffe geschossen ist auszuschließen“ und „Schusswaffe gedroht ist auszuschließen“.“ Der Anstieg von 1.542 Fällen von 2008 auf 2009 ist zu 97,8% auf den Wegfall von Plausibilitäten bei Straftaten gegen das Waffengesetz, bei gefährlichen Eingriffen in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr sowie den gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr zurückzuführen. Ohne den Wegfall von Plausibilitäten hätte man nur einen Anstieg von 34 Fällen zu verzeichnen gehabt. Eine genauere Beschreibung der Änderung der Statistik diesbezüglich sucht man leider vergeblich in der PKS. Der Rückgang der Wahrscheinlichkeit, von jemanden mit einer Schusswaffe im Rahmen von Straftaten angeschossen oder erschossen zu werden, ist somit seit Mitte der 90er bis heute größer, als die Statistik auf den ersten Bick hin vermuten lässt.

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https://blogs.taz.de/drogerie/2016/02/07/schusswaffengebrauch-beim-drogenhandel/

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kommentare

  • Wie jede Statistik, so sagt auch diese nichts über die tatsächlichen Begebenheiten aus. Zu nennen wäre bspw. der Umstand, dass Personen, welche sich im BTM-Umfeld bewegen, naturgemäß seltener die Polizeibehörden einschalten, da sie befürchten müssen, selbst Ziel von Ermittlungen zu sein (oder es schlichtweg Ehrenkodizes untersagen). Das „Abziehen“ gehört in diesem Milieu zum Alltag, gerne wird der Forderung sehr martialisch Ausdruck verliehen (und eben auch mit Waffen).
    Weiterhin ist fraglich, inwieweit in der Statistik angeführte Strataten überhaupt zur Aufklärung kamen und eingeordnet werden konnten (Beispiel: war ein unaufgeklärter Strassenraub mit Schusswaffenbedrohung „nur“ ein Raub oder Beschaffungskriminalität und damit weitest BTM-Delikt?).
    Die massive Diskrepanz zwischen den absoluten Zahlen lässt vielmehr vermuten, dass ein schlußendlich nicht tolerierbarer Anteil des unerlaubten Schusswaffengebrauchs nicht aufgeklärt werden kann. Vergleicht man bspw. die in den PKS angeführten Zahlen der Einbruchdiebstähle, bekommt man eine ungefähre Ahnung von möglichen Dimensionen: Aufklärungsquote bei ca 5 Prozent, Verurteilungsquote hingegen bei ca 2 Prozent.
    Daher sind die in der o.g. Statistik genannten Zahlen absolut vorbehaltlich und vor allem noch bedeutend kritischer zu sehen. Als Argumentationsgrundlage, wie autorenseitig geschehen, sollte man sie glaubwürdigerweise und tunlichst nicht ins Feld führen.

  • @PeterR:
    Ist es statthafter, den Umstand der Gesetzesverschärfung der letzten Jahrzehnte in Bezug auf „erlaubnispflichtiger Waffen“ bzw. verbotener, nun illegaler Waffen zu ignorien?

  • mir ist nicht ganz klar, was diese statistiken mit dem wikipedia eintrag zu tun haben.
    die statistiken geben auskunft über schusswaffengebrauch und nicht über mafiöse strukturen.
    womöglich liegt da ihre eigene einschätzung zugrunde, wonach das organisierte verbrechen in wildwest-manier um sich knallt?

    warum sollten drogenkartelle nicht klandestin agieren, hierzulande verhält es sich ja umgekehrt als in südamerika. zuviel aufmerksamkeit ist schlecht fürs geschäft.

  • Aus dem Rückgang der Deliktzahlen auf ein geringeres Risiko zu schließen ist angesichts der steigeden Zahlen beim illegalen Besitz erlaubnispflichtiger Schusswaffen – von ca. 20 Mio. 1972 auf mindestens 32 Mio. 2015 – nicht statthaft.

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