Das Zwischenstaatliche Komitee für die Bewahrung des immateriellen Kulturerbes hat am 1. Dezember 2016 an seiner elften Sitzung in Addis Abeba (Äthiopien) entschieden, das Winzerfest in Vevey (Kanton Waadt, Schweiz) in die Repräsentative Liste einzutragen. Somit ist die erste von acht lebendigen Traditionen der Schweiz im immateriellen Kulturerbe der UNESCO aufgenommen worden. Die Kandidatur wurde als Musterbeispiel genannt, wie eine lebendige Tradition mit dem UNESCO-Weltkulturerbe – in diesem Fall mit der Landschaft des Weingebietes Lavaux – verbunden werden kann.
Zuerst die Weinberge …
Das Lavaux ist ein Weinbaugebiet im Kanton Waadt in der Schweiz am nordöstlichen Ufer des Genfersees. Das Weinbaugebiet erstreckt sich zwischen Lausanne und Vevey auf über 800 Hektaren, auf denen seit dem 12. Jahrhundert steile Terrassen angelegt worden sind. Im Westen grenzt das Lavaux an das Weinbaugebiet La Côte, im Osten an das Weinbaugebiet Chablais.
Abbildung 1 zeigt die Weinberge von Dézaley von Épesses aus gesehen. Foto: Attila Terbócs, Multilizenz mit GNU Free Documentation License (GFDL) und Creative Commons CC-BY-SA-2.5.
Seit 2003 wurden vorbereitende Schritte bei der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem ICOMOS, der Beratungsorganisation der UNESCO, unternommen, um die Bewerbung des Lavaux für die Eintragung im Welterbe der UNESCO vorzunehmen. Das Schweizerische Bundesamt für Kultur (BAK) übermittelte das Dossier über Lavaux an den Schweizer Botschafter bei der UNESCO, der es offiziell vor dem 1. Februar 2006 vorlegte. Nach dem positiven Vorbescheid des ICOMOS International (Internationaler Rat für Denkmalpflege), der am 14. Mai 2007 an das Bundesamt für Kultur übermittelt wurde, genehmigte das Welterbekomitee die Eintragung des Lavaux auf der Welterbeliste der UNESCO bei der 31. Sitzung in Christchurch (Neuseeland) am 28. Juni 2007.
Abbildung 2 zeigt die Weinberge des Lavaux mit Blick auf den Genfersee und die Alpen. Foto: CalistaZ, Multilizenz mit GNU Free Documentation License (GFDL) und Creative Commons CC-BY-SA-3.0.
Die Eintragungskriterien von Lavaux in das Welterbe der UNESSCO zeichnen sich gemäß des Bundesamtes für Kultur durch die folgenden Kriterien aus: „Die Landschaft Lavaux bietet ständig das Spiegelbild aller Geschichten derjenigen, die dort leben und beschreibt das Versprechen ihrer Zukunft. Der Anblick, den die 10.000 Terrassen und die abfallende Sicht auf den See bieten, ist unglaublich. Dies alles ist aber nichts ohne die Geschichte, die sich dahinter verbirgt. Die Schönheit, die sich vor den bewundernden Augen des Betrachters erstreckt, ist nur die Wiederspiegelung einer Kultur, einer Tätigkeit, die eine besondere Beachtung verdient. Lavaux ist bei der UNESCO als Kulturlandschaft eingetragen. Dies ist die Anerkennung für ein Werk, das Mensch und Natur vereint und eine lange und enge Beziehung zwischen Bevölkerung und Umwelt zum Ausdruck bringt. Das regionale Know-how wird seit mehr als einem Jahrtausend von Generation zu Generation weitergegeben und ist heute noch im Herzen dieser Landschaft verblieben.“
… dann das Winzerfest
Die Fête des Vignerons (Fest der Winzer) ist ein Schweizer Weinfest, das ungefähr alle 25 Jahre in Vevey im Kanton Waadt stattfindet. Gemäß Medienmitteilung vom 1. Dezember 2016 der Schweizer Regierung reichte die Schweiz im März 2015 das Dossier zum Winzerfest in Vevey als erste Kandidatur für die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit ein. In der Mitteilung heißt es: „Das Fest ist ein populärer Großanlass, der jahrhundertealte gesellschaftliche Praktiken und darstellende Künste vereint. Es wird in der Regel fünfmal pro Jahrhundert von der Zunft der Winzer organisiert, die rund 1500 Mitglieder zählt und sich seit über dreihundert Jahren für die Förderung der Weinbaukultur einsetzt. Die Kandidatur verkörpert Aspekte, die das immaterielle Kulturerbe der UNESCO ausmachen: Sie steht nicht nur für den generationenübergreifenden Dialog und die erfolgreiche Weitergabe einer Tradition, sondern auch für die Verbindung von Tradition und Innovation. […] Mit dem Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes will die UNESCO ein Kulturerbe thematisieren und schützen, das weniger mit Bauten oder Räumen zusammenhängt, sondern in erster Linie mit der Zeit sowie mit gemeinschaftlichen Praktiken und gesellschaftlichen Interaktionen. Dieses Erbe umfasst lebendige Traditionen wie mündlich überlieferte Ausdrucksweisen, darstellende Künste, gesellschaftliche Praktiken, Rituale und Feste, Wissen und Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum sowie Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken. Es widerspiegelt somit die kulturelle Vielfalt und zeugt von der menschlichen Kreativität.“
Abbildung 3 zeigt Werbeplakat für die Fête des Vignerons im Jahre 1905.
Wiener Kaffeehäuser sind Kulturerbe
Mit dem 10. November 2011 wurde die Wiener Kaffeehauskultur ganz offiziell immaterielles Kulturerbe der UNESCO. Das Cafe Hawelka, Landtmann oder der Tirolerhof gehören wohl zu den bekanntesten Kaffeehäuserin in Wien. In der Stadt gibt es aber laut Wirtschaftskammer insgesamt mehr als Tausend Konzessionen für Kaffeehäuser.
Gemäß Österreichische UNESCO-Kommission reicht die Tradition der Wiener Kaffeehauskultur bis Ende des 17. Jahrhunderts zurück und ist durch eine ganz spezielle Atmosphäre geprägt. Typisch für ein Wiener Kaffeehaus sind Marmortischchen, auf denen der Kaffee serviert wird, Thonetstühle, Logen, Zeitungstischchen und Details der Innenausstattung im Stil des Historismus. Nach wie vor können Gäste während den flexiblen Öffnungszeiten von sechs Uhr in der Früh bis Mitternacht aus dem Angebot an Speisen und Getränken wählen, und mitunter auch Lesungen und musikalische Abende genießen. Die Kaffeehäuser sind ein Ort, „in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht“.
Abbildung 4 zeigt die Innenansicht des Café Central in Wien. Foto: Andreas Praefcke, Multilizenz mit GNU Free Documentation License (GFDL) und Creative Commons CC-BY-SA-3.0.
Kaffee: Vom Verbot zum Weltkulturerbe
Obwohl der Kaffee in Europa im 17. und 18. Jahrhundert eher propagandistisch und wirtschaftlich reglementiert wurde, gab es auch Konsumverbote, die einer Prohibition zumindest für einen Großteil der Bevölkerung gleichkamen. Solche Verbote gab es vor allem im von Kleinstaaterei zerrissenen Deutschland, aber auch in Schweden und in der Schweiz. Staaten wie Italien, Holland und Frankreich erlebten zwar Auseinandersetzungen um Nutzen und Schaden des Kaffees, aber keine Verbote dessen selbst. In Deutschland gab es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehrere Erlasse, die allen – außer Vornehmen und Amtspersonen – den Gebrauch des Kaffees bei Androhung hoher Geldstrafen oder Gefängnis/Zwangsarbeit oder auch der Prügelstrafe verboten. So erklärte der Fürstbischof von Paderborn das Kaffeetrinken 1768 zum Vorrecht des Adels und der Geistlichkeit. Angehörige anderer Schichten wurden bei Verstoß mit Prügel bestraft. Der Bischof von Hildesheim stellte nicht nur Besitz und Konsum des Kaffees unter Strafe, sondern auch das Vorhandensein von Kaffeegeschirr in Haushalten. Als weitere Beispiele solcher oder ähnlicher Verbote seien Hessen 1766, Dresden 1769 und Hannover 1780 genannt. In Deutschland erscheinen seit 1750 Kaffeeverbote und auch einhergehende Handelseinschränkungen so häufig, dass man von einer systematischen Kaffeeeinschränkungspolitik sprechen kann. Gleichzeitig wurde oft der gesamte Handel mit Kaffee auf dem Land verboten bei Strafandrohungen von bis zu vier Jahren Zuchthaus.
Vergleiche hierzu: Andreas Heimler: Kaffee und Tabak aus kultur- und Sozialgeschichtlicher Sicht, Abschnitt 6. Rechtskultur.
In Paris wurde das erste Kaffeehaus im Jahre 1671 eröffnet. Achtzehn Jahre später, 1689, eröffnete der Sizilianer Francesco Procopio di Cotelli im Bezirk Saint-Germain-des-Prés in der Straße der Alten Komödie (rue de l’Ancienne Comédie) das Kaffeehaus „Procope“, das bis heute existiert. Drei Jahre später eröffnete in der gleichen Straße die „Comédie-Française“. Durch die Eröffnung des Theaters in der selben Straße entwickelte sich das „Procope“ rasch zum bekanntesten Literatencafé Frankreichs. Autoren und Intellektuelle wie Voltaire (François Marie Arouet), Jean-Jaques Rousseau, Denis Diderot, Jean le Rond d’Alembert und Anführer der Revolution wie Georges Jacques Danton (Rechtsgelehrter) und Jean-Paul Marat (Arzt, Wissenschaftler, Politologe, Schriftstelle, Journalist) verkehrten regelmäßig im „Procope“. Diderot und d’Alembert entwickelten im „Procope“ das Konzept der modernen Enzyklopädie und gaben 1751 in Paris den ersten Band der „Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers“ heraus.
Benjamin Franklin, Verleger, Staatsmann, Schriftsteller, Naturwissenschaftler, Erfinder und Naturphilosoph diskutierte im „Procope“ mit Künstlern und Intellektuellen die Konzepte einer modernen Verfassung und schrieb dort wesentliche Passagen der „Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika“. Franklin war nicht nur Mitunterzeichner der „Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika“ (Declaration of Independence; offiziell: The unanimous Declaration of the thirteen united States of America) vom 4. Juli 1776, des „Friedens von Paris“ (Ende des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges) vom 3. September 1783 und der „Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika“ vom 17. September 1787, sondern auch Erfinder des Blitzableiters (1752) und Begründer der ersten Leihbibliothek der Welt. Diderot und d’Alembert bezeichneten Franklin als „Verkörperung der praktischen Weisheit“ und Voltaire soll ihn mit den Worten charakterisiert haben: „Er entriss dem Himmel den Blitz und den Tyrannen das Zepter“.
Das Kaffeehaus „Procope“ war auf jeden Fall eine Geburtsstätte neuer Ideen, die für manche Machthaber jener Zeit nicht ganz unbegründet bedrohlich erschienen. Dies Tatsache, dass das „Procope“ für viele andere Kaffeehäuser Vorbildcharakter hatte, machte Kaffeehäuser generell suspekt für bestimmte Kreise der Obrigkeit. Trotz Revolution blieb das Kaffeehaus „Procope“ in Paris, wie auch die meisten Kaffeehäuser in der Stadt, seitens der Behörden unbehelligt.
Der Kaffee war einst vielerorts verboten, es gab Kaffeeschnüffler, die Kaffeetrinker ausfindig machen sollten, so wie es heute heute Polizeihunde gibt, die Kiffer ausfindig machen sollen. Trotzdem wurde Kaffee respektive Coffein zur Volksdroge Nummer eins noch vor Alkohol und Tabak und sein Gebrauch in Kaffeehäusern wurde in diesem Jahrhundert als Weltkulturerbe deklariert.
Was fehlt: Psychonautik und Partykultur als Weltkulturerbe
Das Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes aus dem Jahre 2003 definiert als immaterielles Kulturerbe Praktiken, Darbietungen, Ausdrucksformen, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie die damit verbundenen Instrumente, Objekte, Artefakte und Kulturräume, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Individuen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen. Man hat sich also für Arbeitsdefinitionen entschieden, die neben der Beschreibung der Kulturformen den Aspekt der Lebensfähigkeit des immateriellen Kulturerbes und seine Bedeutung für die jeweiligen Gesellschaften ins Zentrum rücken.
Die Riten der Psychonautik und insbesondere die in der Psytranceszene etablierte Partykultur sind de facto ein immaterielles Kulturerbe, das jedoch noch nicht offiziell anerkannt ist. Die Lebensfähigkeit dieser Riten kann nur gewährleistet werden, wenn es für die Zelebrierung dieser Riten geschützte Räume gibt. Diese Gewährleistung ist heute nicht gegeben, da in den allermeisten Staaten dieser Welt der Umgang mit psychotrop wirkenden Substanzen strafrechtlich verfolgt wird und Orte, wo diese Riten zelebriert werden, nicht selten von der Polizei heimgesucht werden. Zum Schutz dieser Riten ist deshalb eine Novellierung der Drogengesetzgebung eine unabdingbare Forderung.
Immaterielles Kulturerbe findet sich in vielen Bereichen gesellschaftlicher Praktiken, Rituale und Feste; zum Beispiel Bräuche, Traditionen und Spiele im Zusammenhang mit Jahreszeiten oder Naturphänomenen, Umzüge, Paraden, Prozessionen, Fastnachtsbräuche, traditionelle Lebensweisen und Fertigkeiten. Auch Wissen und Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum gehören dazu; zum Beispiel Kosmologien, Wissen über Heilpflanzen und ihre Anwendung, Aussaatkalender. Alle hier genannten Bereiche wurden und werden im Rahmen des UNESCO-Welterbes seitens diverser Regierungen diskutiert, der Bereich der psychonautischen Riten fehlt jedoch in den amtlichen Auflistungen, obwohl diese Riten zu den ältesten Traditionen des kulturellen Welterbes zählen.
Psychonautik als Teil der Bewusstseinskultur betrifft bei weitem nicht nur die Partykultur oder den hedonistischen Gebrauch psychotrop wirkender Substanzen, sondern vor allem den Gebrauch dieser Substanzen im Rahmen religiöser Riten und im Rahmen des Gesundheitswesens zur Erhaltung und Wiederherstellung von physischer und psychischer Gesundheit. Der Wissenschaft steht hiermit ein großes Betätigungsfeld offen. Und für Politiker sowie für der Kultur verpflichteten Organisationen stehen somit vielfältige Varianten zur Verfügung, psychonautische Riten für das immaterielle Weltkulturerbe vorzuschlagen.
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