Unter dem Titel „Forschung, Praxis und globaler Wandel in der Drogenwissenschaft des 21. Jahrhunderts“ fand vom 07. – 09. September dieses Jahres auf dem Gelände der Charité Berlin erstmals die dreitägige Drugscience-Konferenz statt. Hauptorganisator der Veranstaltung war der Verein „Finder – Institut für Präventionsforschung“.
Seriöse Wissenschaft trifft auf drogenaffine Hippies und Psychonauten
Zahlreiche international renommierte Forscher und Praktiker verschiedener Länder und wissenschaftlicher Fachrichtungen versammelten sich zu dieser Premiere in den historischen Räumen des Instituts für Anatomie um folglich und entgegen der dort sonst üblichen Tradition, nicht etwa den menschlichen Körper, sondern hingegen das Bewusstsein zu sezieren.
Zu den genannten Wissenschaftlern gesellten sich erfrischender Weise auch eine Vielzahl weiterer Besucher, welche ihr Interesse an dem Thema einem deutlich weniger professionellen, wissenschaftstheoretischen als vielmehr persönlichen und erfahrungsbezogenen Umgang mit psychotropen Substanzen verdankten. Die Bandbreite der Teilnehmenden reichte folglich von der in klassischem Anzug mit Krawatte gekleideten und die obligatorische Lesebrille auf der Nasenspitze tragenden, wissenschaftlichen Eminenz, bis zum von Dreadlocks, Tribal-Tattoos, Aladin-Hose und selbstgeschnitzten Muschelketten geschmückten Psychonauten.
So sehr sie in ihrer inneren, geistigen Absicht vereint schienen, sich in den kommenden Tagen differenziert mit dem Thema Drogen auseinanderzusetzen, zu informieren und auszutauschen, das äußerliche, körperliche Erscheinungsbild des Plenums hätte nicht viel pluralistischer sein können.
Nicht zuletzt auch an dieser Diversität wird die große Bedeutung psychoaktiver Substanzen in weiten Schichten der Bevölkerung sowie die verschiedenen Zugänge und Intentionen über welche dieses Thema erschlossen und gelebt wird, deutlich.
Innovative Denkansätze für eine offene (Drogen-)Wissenschaft
Die traditionelle philosophische Grenze, zwischen Körper und Geist, strukturierte unser Wissenschaftssystem, deren Theorien und Institutionen über viele Jahrhunderte grundlegend und bleibt bis heute vielerorts prägend. Mit Blick auf die programmatischen Inhalte der hiesigen Referenten jedoch scheint selbige zunehmend kritisch reflektiert und sowohl analytisch wie anwendungsbezogen überbrückt zu werden.
In den vergangenen Jahren schaffte es die Drugscience, trotz aller politischen und juristischen Widerstände, sich zunehmend als eigenständiges, wissenschaftliches Forschungsfeld zu etablieren. Sie ist dabei ausdrücklich transdisziplinär orientiert und speist sich, auch dem Selbstverständnis der Konferenz-Organisatoren nach, aus eben genau diesem Übergangsbereich, nämlich an der Schnittstelle zwischen Körper und Geist, Natur und Kultur. Die Drugscience erhebt dabei den ambitionierten Anspruch durch die Entwicklung und Anwendung innovativer wissenschaftlicher Methoden und Ansätze zur Förderung und Intensivierung eines Dialogs zwischen ehemals weitgehend voneinander isolierten Forschungsfeldern beizutragen.
„Verschiedene psychoaktive Substanzen stehen hier wissenschaftlich im Spannungsfeld zwischen einer neurobiologischen, klinisch-pharmakologischen, psychotherapeutischen, suchtmedizinischen, sozialwissenschaftlichen und politischen Perspektive.“ (Quelle: https://finder-research.com/drugscience2017/#drugscience)
Psychoaktive Substanzen – hedonistischer Rausch oder gesellschaftliches Heilmittel?
Zentrale Fragestellungen auf der Konferenz betrafen zunächst aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in der klinischen Behandlung von Suchterkrankungen, ebenso wie neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsperspektiven auf dem Gebiet der Drogenforschung. So wurden beispielsweise zahlreiche aktuelle Studien über neue bildgebende Verfahren zu den weitreichenden Effekten von psychoaktiven Substanzen wie LSD und Psilocybin vorgestellt. Diese finden auch in der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung zunehmende Anerkennung und versprechen so einen wichtigen Beitrag zur künftigen Aufklärung von (pathologischen) Bewusstseinsveränderungen.
In diesem Zusammenhang wurde sodann auch konkreter die bereits mehrere Dekaden alte Frage nach den Potentialen und der Relevanz von Psychoaktiva in der Behandlung psychischer Erkrankungen erneut gestellt und entflammte, speziell bezüglich der historischen wie aktuellen politischen Dimensionen, lebhafte Diskussionen. Die Forschungen auf diesem Gebiet waren trotz vielversprechender wissenschaftlicher Erkenntnisse in den 1960er und 1970er Jahren aufgrund einer umfassenden Kriminalisierung diverser Substanzen über eine lange Zeit eingestellt wurden. Zu groß war damals die vermeintliche Angst der politischen Eliten vor den prominenten Bildern Marihuana rauchender und LSD konsumierender, subversiver Hippies, die den imperialistischen Militarismus anprangerten und hedonistisch in sexuell freizügigen Kommunen lebend die Schranken traditioneller Geschlechter- und Familienrollen durchbrachen oder gar die kapitalistische Arbeitsethik dekonstruierten.
Seit einigen Jahren jedoch werden Psychoaktiva nun wieder auf Ihre Wirksamkeit in der Behandlung von psychischen Störungen erforscht. Aktuelle Studien betonen hier erneut das hohe therapeutische Potential bekannter Psychoaktiva wie LSD, Psilocybin, Ayahuasca, MDMA oder Cannabis im Kontexte von Abhängigkeitserkrankungen, existenziellen Ängsten bei tödlicher Erkrankung, posttraumatischer Belastungsstörung, Zwangsstörungen und affektiven Störungen.
Auch die Frage nach dem Einfluss des Internets auf den Handel und die Verfügbarkeit einzelner Substanzen sowie auf einen möglichen Wandel normativer Diskurse in der Bevölkerung über Drogen wurden diskutiert.
Schließlich standen kritische Fragestellungen hinsichtlich einer erforderlichen Anpassung nationaler und globaler Drogenpolitiken auf Basis dieser neuen wissenschaftlichen Evidenz auf der Tagesordnung. Die Meinungen hierzu waren ebenso bunt wie das Publikum. Während die einen für eine pauschale Legalisierung einzelner oder gar jeglicher Psychoaktiva argumentierten, ließen wiederum andere mehr Zurückhaltung walten und versuchten geeignete Konzepte einer Entkriminalisierung und Regulierung zu entwerfen. Einig waren sich alle jedoch scheinbar an einem Punkt, nämlich dass die aktuelle, anteilig auf Ideologien basierende und wissenschaftliche Erkenntnisse offenbar bewusst ignorierende sowie weitläufig auf Repressionen abzielende Drogenpolitik der Gesellschaft schade.
Das übergeordnete Ziel der, aufgrund ihres Erfolgs in den nächsten Jahren als Veranstaltungsreihe geplanten, Konferenz besteht daher auch künftig in der fortschreitenden Entwicklung einer integrativen Drogenwissenschaft, welche eine offene, wissensbasierte Drogenpolitik auf Basis möglichst objektiver, vorurteilsfreier Diskurse ermöglicht.
Big Brother is watching
Diese Agenda findet auch von offizieller politischer Seite, namentlich durch die konservative und aufgrund ihrer rigiden Drogenpolitik in der Vergangenheit parteiübergreifend bereits mehrfach in Kritik geratene Drogenbeauftragte der Bundesrepublik, Marlene Mortler (CSU), lobende Anerkennung. Mortler hatte in Ihrem schriftlichen Grußwort an die Besucher und Organisatoren überraschend positive Worte der Hoffnung gerichtet. Die Drug Science-Konferenz verspreche nach Mortler nicht nur Vorträge und Diskussionen auf höchstem fachlichem Niveau, sondern erhebe darüber hinaus auch den Anspruch, die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen und gesellschaftlichen Betrachtungsweisen aufzulösen.
Dass diese Arbeit nach jahrzehntelangen Sanktionen nun auch von offizieller Seite nicht mehr nur noch ausschließlich als bedrohliches, destruktives Element sondern hingegen als ein positiver Dienst an der (gesundheitspolitischen) Entwicklung der Gesellschaft verstanden werden kann, gibt Grund zur Hoffnung. Hoffnung, sowohl für die neue wissenschaftliche Disziplin der Drugscience, als auch weit darüber hinaus.
Trotz dieser überraschend offenen und zugewandten Worte Mortlers blieben viele Besucher auch zu späterer Stunde auf der exklusiven „Drugscience-Konferenz Party“ noch anhaltend skeptisch bezüglich eines baldig bevorstehenden und weitläufigen politischen (Gesinnungs-)Wandels – es blieben bisher schließlich meist bloße Worte, die auf weitere Taten warten ließen.