Kann man durch den Konsum bestimmter halluzinogener Substanzen wie LSD und Psilocybin tatsächlich zu einem moralisch verantwortlicheren, glücklicheren und sozialeren Wesen werden?
Schamanen und Psychonauten wussten es schon lange
Halluzinogene werden in einigen Kulturen bereits seit Jahrhunderten, unter anderem in therapeutischen Ritualen, konsumiert. Viele Schamanen wissen bis heute um deren große Macht. Aber auch erfahrene Konsumenten unserer westlichen Gesellschaften beantworten diese Frage immer wieder spontan und überzeugt mit ja.
Interessanter Weise werden dabei häufig vor allem Psychoaktiva als individuell und gesellschaftlich besonders wertvoll betrachtet, die aus staatlicher Sicht als „harte Drogen“ klassifiziert, einer intensiven und strikten strafrechtlichen Verfolgung unterliegen.
So sind einer aktuellen britischen Studie zur Folge, neben MDMA, vor allem LSD und Psilocybin für viele Drogenkonsumenten die psychotropen Stoffe, welche nicht nur das geringste empfundene gesundheitliche Gefahrenpotential bergen, sondern darüber hinaus auch mit den weitreichendsten positiven Auswirkungen assoziiert werden.
Letztere finden dabei jedoch nicht, wie viele vielleicht vermuten würden, aus rein hedonistischer Perspektive, mit Bezug auf die Qualität der unmittelbar erzeugten Erfahrungswelten Erklärung. Erfahrene User verweisen hingegen trotz der manchmal problematischen und herausfordernden Rauscherlebnisse, die keineswegs immer nur Genuss versprechen, wiederholt auf den potentiellen therapeutischen Nutzen dieser Halluzinogene. So bewerten einer weiteren Studie zur Folge 85% der Personen, welche während eines akuten Psilocybin-Rausches situativ negative, beängstigende und überfordernde Erfahrungen hatten, diese rückblickend als ein Erlebnis von welchem Sie auf vielfältige Weise profitieren konnten.
Die legalen Substanzen Alkohol und Tabak hingegen werden aus der Sicht vieler Konsumenten als die Drogen mit der geringsten therapeutischen Effektivität und dem größten gesundheitlichen Gefahrenpotential beschrieben.
Doch was die Nutzer diverser Halluzinogene bereits seit langem aus eigener Erfahrung zu wissen glaubten, scheint nun zunehmend auch von verschiedenen wissenschaftlichen Studien übereinstimmende Bestätigung zu finden. Die wissenschaftliche Drogenforschung (Engl. Drugscience) ist ein vergleichsweise neuer und interdisziplinärer Forschungsbereich, über dessen methodologische und inhaltliche Grundzüge ich bereits im letzten Blogbeitrag, im Kontext der diesjährigen Berliner Drugscience-Konferenz berichtete.
International publizieren renommierte wissenschaftliche Institute nun in scheinbar immer kürzeren Abständen eine Vielzahl neuer und reliabler Ergebnisse, die für weniger drogenaffine Menschen teils sicher sehr überraschend sind und mit weitverbreiteten normativen Vorurteilen in Kultur und Politik aufzuräumen versuchen.
Halluzinogene – weitreichender Einfluss auf Persönlichkeit und politisches Handeln
Die positiven Auswirkungen des Konsums klassischer halluzinogener Substanzen, unter denen die meisten Studien neben LSD und Psilocybin auch Meskalin und DMT subsumieren, sind dabei vielseitig.
Als zentrale Resultate werden neben einer Steigerung des emotionalen Wohlbefindens und optimistischeren Einstellungen gegenüber persönlich herausfordernden Lebenssituationen auch eine größere Offenheit in Zeiten struktureller gesellschaftlicher Veränderungen genannt. Dieses äußert sich scheinbar unter anderem in signifikant geringeren Selbstmordraten und einer größeren Resilienz gegenüber stressbedingten psychischen Erkrankungen.
In experimentellen Kontexten wurde wiederholt bestätigt, dass bereits die einmalige Einnahme von LSD oder Psilocybin in einer kontrollierten und unterstützenden Umgebung zu einer mehrere Monate anhaltenden Steigerung der im „BIG FIVE“ gemessenen Persönlichkeitseigenschaft „Offenheit“ führen kann.
Diese Eigenschaft umfasst neben einer generellen Wertschätzung ästhetischer und künstlicherer Aspekte auch Toleranz gegenüber abweichenden Sichtweisen sowie die Fähigkeit optimistisch auf neue Herausforderungen zuzugehen und diese kreativ zu bewältigen.
Darüber hinaus werden signifikante Zusammenhänge zwischen dem Konsum dieser Substanzen und linksorientierten, anti-autoritären politischen Einstellungen postuliert. Die Konsumenten legten dabei einen größeren Wert auf globale soziale Gerechtigkeit und diskriminierten verstärkt strukturelle Ungleichheiten, beispielsweise bedingt durch unregulierte kapitalistische Praktiken – unabhängig davon ob dies zu ihrem eigenen, persönlichen Nachteil war.
Auch das große therapeutische Potential dieser Substanzen in klinischen Settings wird immer wieder betont. Viele Studien berichten übereinstimmend von weitreichenden positiven Auswirkungen im Kontext von Depressionen, Angst- oder Suchterkrankungen.
Neben dem therapeutischen Nutzen und einer größeren zugewandten Offenheit gegenüber den (andersartigen) Mitmenschen wird zudem offenbar auch die Naturverbundenheit signifikant erhöht.
So belegt eine weitere Studie bei 38% aller Beteiligten, nach nur 1-4 therapeutischen Sitzungen mit Psilocybin, eine 8-16 Monate anhaltende signifikante Verbesserung und Intensivierung ihrer selbstberichteten Beziehung zur Natur.
Die steigende Wertschätzung der natürlichen Umwelt wiederum korreliert eindeutig mit ökologisch nachhaltigerem Verhalten. Darüber hinaus ist Naturverbundenheit reliabel assoziiert mit einer geringeren Anfälligkeit für Angststörungen, erhöhten prosozialen Einstellungen und altruistischem Verhalten und äußert sich zudem in einem umfassenderen Zufriedenheitsgefühl bezüglich des eigenen Lebens.
Dem Ego auf mystischen Pfaden entkommen
Halluzinogene können zu emotional tiefgehenden, persönlichen Erfahrungen führen, welche häufig als mystisch beschrieben werden. Viele Konsumenten berichten von einem Gefühl, dass die ansonsten häufig als strikt empfundenen Grenzen des Selbst sich aufzulösen scheinen und eine umfassendere Öffnung gegenüber der Welt entsteht. Diese, das Selbst auflösenden oder transzendierenden, Bewusstseinszustände äußern sich folglich in einem globalen Verbundenheitsgefühl mit anderen Menschen, der Natur und dem Universum und resultieren in einer geringeren Wichtigkeit gegenüber der eigenen Person und assoziierter egobezogener Bedürfnisse.
Die Erfahrungen gehen für den Konsumenten oft mit einer großen subjektiven Sinnhaftigkeit einher und ermöglichen so grundlegende Perspektivwechsel auf bisher meist weitgehend unbewusste, automatisierte Wahrnehmungs- und Handlungsprozesse.
Der Grad an erfahrener und berichteter „Ego-Auflösung“ während dieser psychedelischen Erfahrungen scheint interindividuell direkt zu korrelieren mit der Intensität der vorderstehend genannten Veränderungen.
Die Auflösung des eigenen Selbst ist dabei häufig an eine Emotion geknüpft, die man als Ehrfurcht (Engl. Awe) bezeichnen könnte und eine Reaktion auf Stimuli beschreibt, welche aufgrund ihrer Größe und Dynamik den im Alltag bestehenden mentalen Referenzrahmen sprengen und so die Entstehung neuer (kognitiver) Schemata zur Einordnung der Erlebnisse begünstigen.
Diese Erfahrungen haben somit offenbar folglich das Potential weitreichende psychologische Veränderungen innerhalb eines Individuums zu katalysieren und so die genannten Resultate, wie Offenheit, Mitgefühl, Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft und ökologische Verantwortung zu provozieren.
Heilende Qualitäten für eine krankende Welt
Allem, im Lichte dieser vielversprechenden Erkenntnisse aufkeimenden, Enthusiasmus zum Trotz bleibt jedoch relativierend festzuhalten, dass (wie in der Sozialwissenschaft üblich) die genannten Studien lediglich auf statistische Korrelationen verweisen, nicht jedoch (mono-)kausale Zusammenhänge im Sinne eines eindeutigen Ursache-Wirkungs-Prinzips beschreiben können.
Aber dennoch – angesichts der unzähligen globalen Herausforderungen unserer heutigen Zeit, in der etablierte Strukturen durch soziale und ökologische Veränderungen, durch Kriege, Hungersnöte, Migrationsbewegungen und Klimaveränderungen täglich herausgefordert werden, scheint die Kultivierung dieser Eigenschaften so relevant wie selten zuvor.
Ist es nun also vielleicht tatsächlich an der Zeit unsere, im Weber´schen Sinne, weitgehend entzauberte Welt wieder etwas mehr in heilende, mystische Bahnen zu lenken und damit auch die aktuelle Drogenpolitik auf Basis wissenschaftlicher Evidenz neu zu überdenken?