Am 23. Mai 2018 stellten der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, in Wiesbaden das „Bundeslagebild zur Rauschgiftkriminalität 2017“ der Öffentlichkeit vor. In der Pressemitteilung zum gegebenen Anlass heißt es u.a.: „Die Entwicklung der Rauschgiftkriminalität in Deutschland war im Jahr 2017 zudem insbesondere durch einen starken Anstieg der Kokaindelikte um rund 18 Prozent bei einer gleichzeitigen Vervierfachung der Sicherstellungsmenge gekennzeichnet.“
Irritierende Konnotationen zu den Zahlen
Im Bundeslagebild zur Rauschgiftkriminalität 2017 kann auf Seite 6 nachgelesen werden, dass die Zahl der registrierten Delikte bei Kokain bei 15.768 liegt. So steht das auch in Tabelle 1.2 im Tabellenanhang Rauschgiftkriminalität 2017, wobei die Zahl sich auf Kokain (Kokain-Hydrochlorid) bezieht und die Fälle mit Crack (Kokain-Base) in dieser Zahl nicht enthalten sind.
Auf den Seiten 2 und 20 im Bundeslagebild zur Rauschgiftkriminalität wird die Zahl der erfassten Delikte in Bezug zu Handel mit Kokain mit 3.559 angegeben, im Tabellenanhang Rauschgiftkriminalität 2017 wird jedoch die Zahl 3.219 genannt. Zählt man hierzu die 201 Fälle, die in Zusammenhang mit Crack registriert wurden, kommt man auf 3.420. Ja, liebe Rauschgiftbeamte im Bundeskriminalamt, welche dieser Zahlen sind mit welcher Konnotation nun gerichtstauglich zitierfähig?
Auf Seite 2 im Bundeslagebild werden vorgeblich Daten zu den Rauschgift-Handelsdelikten aufgezeigt. Bei diesen Zahlen handelt es sich jedoch um die Summe der Rauschgift-Handelsdelikte (Handel und Schmuggel) sowie der Delikte im Kontext mit der Einfuhr in nicht geringen Mengen. So stieg die Zahl der Handels- und Schmuggeldelikte mit Kokain gemäß Tabellenanhang Rauschgiftkriminalität 2017 innert Jahresfrist von 2.776 auf 3.219, was einem Anstieg von 15,96 Prozent entspricht und nicht 18,3 Prozent, wie im Bundeslagebild kolportiert wird. Bei Crack hat nebenbei bemerkt, die Zahl der Handelsdelikte um 15,2 Prozent abgenommen und es wurde 2017 kein einziger Fall von illegaler Einfuhr in nicht geringer Menge registriert.
Kontrolldelikt
Rauschgiftkriminalität ist eine sogenannte „Kontrollkriminalität„. Der weit überwiegende Anteil der polizeilichen Erkenntnisse zu diesem Phänomen wird durch eigeninitiierte (Kontroll-) Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden gewonnen. Ohne Kontrollen bleibt sie zumeist unentdeckt, da es keine Opfer gibt, die von sich aus Strafanzeige erstatten. Dies erklärt die überdurchschnittlich hohe Aufklärungsquote von 92,6 Prozent im Jahr 2017 im Vergleich zu anderen Kriminalitätsphänomenen (ca. 57 Prozent).
Die in den folgenden Abschnitten aufgeführten Zahlen beziehen sich ausschließlich auf das sogenannte polizeiliche Hellfeld, das heißt auf die Zahl der erfassten Delikte. Dieses Hellfeld widerspiegelt in erster Linie die Kontrollintensität seitens der Polizei. Die wahre Zahl der begangenen Delikte ist natürlich um ein Vielfaches größer und gehört gemäß Polizeijargon zum Dunkelfeld, weil diese Zahl eben unbekannt ist.
Entwicklung der Delikte mit Kokain inklusive Crack
Bei den in der Kriminalstatistik registrierten Handels- und Schmuggeldelikten (Schlüsselzahl 732200) mit Kokain inklusive Crack gab es von 2016 auf 2017 einen Anstieg von 13,5 Prozent, bei den auf den Konsum bezogenen Delikte (Schlüsselzahl 731200) lag der Anstieg sogar bei 19,7 Prozent.
In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts stieg die Zahl der erfassten Delikte bezüglich Handel und Schmuggel von Kokain inklusive Crack massiv an und erreichte 1999 den Spitzenwert von 10.877. Danach sank diese Zahl nahezu kontinuierlich bis zum Jahr 2015. Im Jahr 2015 wurden nur noch 2.480 solcher Delikte gezählt, viermal weniger als 1999. Und im Jahr 2017 waren es immer noch dreimal weniger als 1999. Trotz des starken Anstiegs der registrierten den Konsum betreffende Delikte lag der Zahl 2017 mit 14.546 Fällen immer noch unter den entsprechenden Werten der Jahre 2004 und 2005, wie der folgenden Grafik entnommen werden kann.
Anteil auf den Konsum bezogenen Delikte
In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts lag der Anteil der auf den Konsum bezogenen Delikte stets zwischen 52 und 55 Prozent. In der Folge stieg dieser Antei nahezu stetig und erreichte 2017 den Spitzenwert von 79,5 Prozent wie man der folgenden Grafik entnehmen kann.
Von 1993 bis 2017 stieg der Anteil der auf den Konsum bezogenen Delikte bei Kokain inklusive Crack um 26,3 Prozentpunkte, bei den entsprechenden Delikten bei Cannabis stieg dieser Anteil im gleichen Zeitraum von 69,1 Prozent auf 81,7 Prozent, was einem Anstieg um 12,6 Prozentpunkte entspricht. Der Anstieg dieses Anteils ist bei Kokain inklusive Crack etwa doppelt so groß wie bei Cannabis. Vergleiche hierzu den Artikel Fahndungsziel Kiffer in diesem Blog.
Allgemeine Verstöße mit Kokain und Crack
Crack-Delikte werden seit 2010 gesondert in der polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesen; zuvor wurden sie unter Kokain subsumiert. Daher ist die Zahl der Kokain-Delikte ab 2010 nicht mit der der Jahre vor 2010 vergleichbar. Für die Vergleichbarkeit müssen ab dem Jahr 2010 die Zahlen von Kokain und Crack zusammengezählt werden.
Seit 2010 ist die Zahl der erfassten allgemeinen Verstöße bei Kokain (Kokain-Hydrochlorid) um gut 50 Prozent gestiegen, bei Crack (Kokain-Base) ist die Zahl nicht gestiegen und lag nie über dem Wert von 2010.
Handel mit und Schmuggel von Kokain und Crack
Im Vergleich zu 2010, wo erstmalig die Daten zu Kokain (Kokain-Hydrochlorid) und Crack (Kokain-Base) separat mitgeteilt wurden, stieg die Zahl der registrierten Handels- und Schmuggeldelikte bei Kokain bis 2017 um insgesamt 8,9 Prozent, bei Crack hingegen ist diese Zahl um 46,7 Prozent gesunken. Insgesamt stieg somit die Zahl der Handels- und Schmuggeldelikte mit Kokain inklusive Crack in diesem Zeitraum gerade einmal um 2,6 Prozent. Diese Zahlen können aus den Angaben in der folgenden Grafik berechnet werden.
Einfuhr von nicht geringen Mengen von Kokain und Crack
Die Einfuhr von nicht geringen Mengen von Crack wird sehr selten registriert – im Jahr 2017 kein einziges Mal, in den Jahren zuvor jeweils einmal bis zweimal. Die Anzahl der Fälle, bei denen eine Einfuhr von nicht geringen Mengen von Kokain (-Hydrochlrid) registriert wurde, lag 2017 mit 340 Fällen genau um 88 Fälle tiefer als im Jahr 2010. Dies entspricht einer Abnahme um 20,6 Prozent.
Anteile an allgemeinen Verstößen bei Kokain und Crack
Der Anteil betreffend die allgemeinen Verstöße im Bezug auf alle Delikte mit der entsprechenden Substanz war bei Crack stets größer als bei Kokain (-Hydrochlorid). Bei Crack stieg dieser Anteil von 86,3 Prozent um 5,8 Prozentpunkte auf 92,1 Prozent, bei Kokain (-Hydrochlorid) von 70,5 Prozent um 6,9 Prozentpunkte auf 77,4 Prozent.
Vergleiche hierzu in diesem Blog:
[09.03.2018] Hochburgen der Koksnasen
[08.01.2018] Wenn Koksnasen frohlocken