Drug-Checking ist eine Interventionsstrategie zur Erhaltung der Gesundheit, da die genaue Kenntnis von Dosierung und Wirkstoffzusammensetzung einer Droge den potentiellen Gebrauchern derselben das objektiv bestehende Gefahrenpotenzial vergegenwärtigt und somit eine klare Grundlage für die subjektive Risikoabschätzung vor der eventuellen Einnahme schafft. Drug-Checking fördert somit den Lernprozess zu einem verträglichen Risikomanagement.
Beim Drug-Checking werden Partydrogen im Labor qualitativ und quantitativ auf Wirkstoffgehalte und auf die Gesundheit gefährdende Verunreinigungen hin getestet, um im Falle des Auftauchens extrem gefährlicher Schwarzmarktprodukte die Konsumenten z.B. durch Flugblätter (Flyer) oder online mit einer entsprechenden Warnung zu informieren. Drug-Checking ist ein Instrumentarium zum Schutz von Gesundheit und Leben.
Da bei den ersten Drug-Checking-Programmen vornehmlich Ecstasy-Pillen analysiert wurden, hat sich auch der Begriff Pill-Testing eingebürgert. Heute werden beim Drug-Checking nicht nur Pillen, sondern oft auch Pulver und manchmal auch Flüssigkeiten und Pappen zur Analyse eingereicht. Somit ist Drug-Checking ein Oberbegriff für Pill-Testing.
1988: Erstes Drug-Checking in den Niederlanden
Das erste Pill-Testing-Programm für die Partyszene wurde von August de Loor (Stichting Adviesburo Drugs) in Amsterdam im Jahr 1988 initialisiert und etabliert. Das Drug-Checking wurde anonym für jeden Interessierten durchgeführt, egal ob es sich um Konsumenten, Dealer oder illegale Drogenproduzenten handelte. Mittels Nummer und Codenamen gelangte die Information an den Antragsteller, wahlweise telephonisch, schriftlich oder im persönlichen Gespräch. De Loor verfolgte eine Präventionsstrategie, die an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist. Eine dieser Strategien war die Safe House Campagne.
Ab April 1989 haben auch die Alcohol- en Drugpreventie Amsterdam (IADA) und das Jellinekcentrum in Amsterdam Pillen zur Analyse entgegengenommen. Die Analysen wurden im Labor des Universitätsklinikums durchgeführt. Bis 1991 wurden die Resultate veröffentlicht, wobei bei den Proben nicht nur das Aussehen der Pillen und die Inhaltsstoffe bekanntgegeben wurden, sondern auch die Herkunft der Pillen in Bezug auf den Status der Überbringer:
Konsument
Kleinhändler (recreatief handelaar)
Zwischenhändler (middenniveauhandelaar)
Großhändler (laagniveauhandelaar)
Produzent
Brachten Dealer verunreinigte oder gefährliche Pillen zum Drogentest, wurden sie nach der Herkunft der Tabletten befragt, respektive damit beauftragt, dass der Lieferant sich mit dem Büro von August de Loor in Verbindung setzen kann. Nannte ein Dealer den Namen seines Lieferanten im Büro von August de Loor (das gleiche galt auch zum Beispiel für das Jellinekzentrum), so hatte das keinerlei juristische Konsequenzen, weder für den Dealer, noch für den Lieferanten. Alle Informationen wurden vertraulich behandelt.
Die Strategie von August de Loor lautete: „Je höher man in der Dealerhierachie ankommt, um so größer ist die Chance, dass bestimmte schlechte Pillen vom Markt verschwinden, denn jeder Dealer kann die Drogen mit dem Verweis auf den Test seinem Lieferanten zurückgeben und gegen andere austauschen. Schließlich wird der Abnehmer vom Hersteller (Produzent) die Ware dem Hersteller zurückbringen und dieser wird sich bemühen müssen, saubere Ware herzustellen, wenn er im Geschäft bleiben will.“
Mit der Einführung eines von der niederländischen Regierung finanzierten nationalen MonitoringSystems Anfang der 90er Jahre wurde die Informationspolitik geändert. Nun erhielten nur noch die Überbringer der Proben die Resultate der Analysen, veröffentlicht wurden nur noch Warnungen, das heißt, Resultate von Analysen, die nicht dem erwarteten Ergebnis entsprachen. (Quellen: Drug-Checking in den Niederlanden – Ergebnisse einer Informationsreise von »Eve & Rave« vom 15. bis 17. März 1995; Sonics-Netzwerk – Jahrestreffen in Leipzig vom 25. bis 27. April 2008, Referat von Hans Cousto: 20 Jahre Pill-Testing)
Hinweis: Einige Links (Verweise) in den PDF-Dateien auf andere PDF-Dateien auf den Seiten von www.eve-rave.net funktionieren nicht mehr. Auf der Seite Downloads findet man die korrekten Links. Weitere Informationen zum Drug-Checking findet man in der Pressemitteilung vom 8. September 2005 zum Drug-Checking: Entwicklung, Durchführung, Ergebnisse, Nutzen und Nutzung.
1995: Drug-Checking-Programm von Eve & Rave Berlin
Im Jahr 1995 begann in Berlin der Verein zur Förderung der Party- und Technokultur und zur Minderung der Drogenproblematik, Eve & Rave, ein eigenes Drug-Checking-Programm zu installieren. Im Gegensatz zum niederländischen Modell veröffentlichte Eve & Rave regelmäßig die Ergebnisse der Analysen in Listen und machte so die Informationen öffentlich zugänglich. Um zu erfahren, was die einzelnen Pillen für Wirkstoffe enthielten, musste man nicht eine Beratungsstelle aufsuchen wie in den Niederlanden, sondern jedermann konnte selbst eine Pillenidentifizierung anhand der öffentlichen Listen vornehmen. Des weiteren wurden die Analysenresultate von Eve & Rave Berlin regelmäßig bei der Informationszentrale gegen Vergiftungen der Universität Bonn über Internet der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Leitmotiv dieser Handlungsweise war die Förderung der Eigenkompetenz, das heißt durch Anregung zum selbständigen Handeln das Bewusstsein der Eigenverantwortlichkeit zu fördern, das Selbstvertrauen zu steigern und so das Selbstbewusstsein zu festigen. Ziel des Drug-Checking-Programms von Eve & Rave war nicht nur die Minderung der gesundheitlichen Risiken für Drogengebraucher, sondern auch die Förderung der Drogenmündigkeit, die mit zunehmenden Maße eine Reduzierung der Notwendigkeit von Fürsorge durch das Drogenhilfesystem zur Folge hat.
Im Januar 1995 beschloss der Verein Eve & Rave, in Berlin ein Drug-Checking-Programm für betäubungsmittelverdächtige Substanzen, die auf der Straße und in Klubs als Ecstasy-Pillen und -Kapseln feilgeboten wurden, durchzuführen. Zur Durchführung des Drug-Checking-Programms, bei dem zusätzlich auch die Auswirkung des Drogenkonsums auf die Szene durchleuchtet werden sollte, wurde von Helmut Ahrens im Auftrag des Eve & Rave e.V. in Gründung (war noch nicht im Vereinsregister eingetragen und somit nicht geschäftsfähig) eine Vereinbarung mit der Medizinischen Fakultät (Charité) der Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für Gerichtliche Medizin, Abteilung für Toxikologische Chemie) getroffen, die Analytik von Ecstasy-Pillen für den Verein durchzuführen. Im Februar 1995 lief das erste autonome Drug-Checking-Programm in Deutschland an, am 30. September 1996 musste das Programm aufgrund staatlicher Repressionsmaßnahmen wieder eingestellt werden.
Für einen Zeitraum von knapp 20 Monaten gab es in Berlin ein in der Szene gut integriertes Drug-Checking-Programm. Dies führte zu einem regen Informationsfluss von der Szene in akademische Kreise, insbesondere in Kreise der Forschung und Wissenschaft, anderseits aber auch zu einem ebenso regen Informationsfluss in umgekehrter Richtung. Das heißt, das DrugChecking-Programm beflügelte den Informationsaustausch zwischen Drogenkonsumenten und Drogenforschern. Mit dem von Amtes wegen erzwungenen Abbruchs des Programms ebbte dieser Informationsfluss weitgehend wieder ab.
Gut drei Monate nach dem Start des Drug-Checking-Programms wurde von Amtes wegen im Mai 1995 Strafanzeige gegen Unbekannt in Sachen Drug-Checking erstattet und Ermittlungen gegen verschiedene Mitglieder des Vereins Eve & Rave e.V. Berlin seitens des Landeskriminalamtes(LKA) eingeleitet. Über 20 Monate ermittelte das LKA gegen mehrere Mitglieder des Vereins. Im Januar 1997 waren dann die Ermittlungen abgeschlossen. Erst zehn Monate nach dem Abschluss der Ermittlungen beim LKA erhob dann die Staatsanwaltschaft I bei dem Landgericht Berlin im November 1997 Anklage gegen drei beschuldigte Mitglieder des Vereins Eve & Rave. Vier Monate später, im März 1998, wurde den drei Angeschuldigten dann die Anklageschrift durch das Amtsgericht Tiergarten mitgeteilt. Zwischen dem Zeitpunkt der Strafanzeige und dem Zeitpunkt der Mitteilung der Anschuldigungen lagen somit fast drei Jahre. Nach einem weiteren Jahr, im März 1999 wussten dann die drei Angeschuldigten durch Beschluss des Landgerichtes Berlin, dass sie sich im Rahmen ihrer Tätigkeit bei dem Drug-Checking-Programm nicht strafbar gemacht hatten und nicht gegen geltendes Recht verstoßen hatten. (Quelle: Das Drug-Checking-Programm von Eve & Rave e.V. Berlin Chronologie des Programms und der staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen das Drug-Checking-Programm von Eve & Rave)
Über zwei Jahrzehnte Stillstand in Deutschland
Inzwischen gibt es in mehr als zwei Duzend Ländern in Europa Drug-Checking-Programme, nur leider zählt Deutschland nicht dazu, wie man unlängst auf der Konferenz Stadt nach Acht erfahren konnte. Es gab zwar diverse Initiativen zur Wiedereinführung von Drug-Checking-Programmen, wie die Drug-Checking-Initative Berlin Brandenburg und auch Veranstaltungen hierzu im Roten Rathaus in Berlin. Die Fachtagung Drug-Checking vom 13. November 2008 im Roten Rathaus von Berlin ist auf PSI-TV.de dokumentiert.
Auch politische Parteien bemühten sich schon seit vielen Jahren um eine Wiedereinführung von Drug-Checking zu ermöglichen. So stellten im Juni 2010 die Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Katrin Göring-Eckardt, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth, Lisa Paus, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag den Antrag die Gesundheitliche Risiken des Drogengebrauchs verringern mittels Drug-Checking zu ermöglichen (Drucksache 17/2050), der jedoch keine Mehrheit fand. Im Sommer 2011 bekundete die Bundesregierung auf einer Anfrage der Partei DIE LINKE, „dass es ein „Drug-Checking“ grundsätzlich nicht als geeignete Maßnahme des Gesundheitsschutzes, der gesundheitlichen Prävention oder einer Schadensminderung ansieht. Dabei wurde hervorgehoben, dass ein „Drug-Checking“ den Konsumierenden eine vermeintliche Sicherheit vorspiegelt und diesbezügliche Untersuchungen keineswegs die gesundheitliche Unbedenklichkeit einer Probe bestätigen, da sie z. B. wenig über Zusammensetzung, Wirkstoffgehalt und gesundheitsgefährdende Beimischungen oder Verunreinigungen in weiteren, nicht getesteten (Teil-)-Einheiten aussagen.“ (Drucksache 17/7006)
Neue Einsichten und Hoffnungen
Das Ärzteblatt verkündete am 5. Dezember 2019, dass die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), unter dem Titel Drogenbeauftragte offen für genauere Prüfung von Partydrogen-Checks sei. „Drug-Checking ist eine Möglichkeit der Schadensminimierung und des Gesundheitsschutzes, die wir genauer in den Fokus nehmen müssen“, sagte die CSU-Politikerin gestern nach einem Besuch bei einem Projekt in Innsbruck (Österreich).
Das Das Nachrichtenportal für Brandenburg berichtete am 6. Dezember 2019 allerdings unter dem Titel Starttermin von geplantem Partydrogen-Check weiter offen, dass die von Rot-Rot-Grün in Berlin geplante offizielle Stelle, bei der Konsumenten ihre Partydrogen überprüfen lassen können, weiter auf sich warten lasse. Ein Starttermin für das sogenannte Drug-Checking könne noch nicht genannt werden, teilte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit auf Anfrage mit. „Derzeit laufen vor allem Absprachen mit möglichen Testlaboren.“
Im Deutschlandfunk – Nova-Sendung vom 04. Dezember 2019 – wurde unter dem Titel Drogen-Checks – Risiko bei Drogenkonsum reduzieren über Drug-Checking berichtet. Menschen nehmen Drogen, das ist offensichtlich nicht komplett zu verhindern. Dass Menschen schlechte Drogen nehmen, dagegen will die Methode des Drug-Checking etwas tun. In der Sendung kamen außer dem Moderator drei Experten zu Wort: Karl Schubert-Kociper von Checkit! Wien, Tibor Harrach vom Drugchecking Projekt Berlin und Felix Betzler von der Charité. Auf die Frage des Moderators, wann das Drug-Checking-Projekt wirklich starte, nannte Tibor Harrach die Jahreszahlen 2020 oder 2021. Man bedenke, Eve & Rave in Berlin, eine Szeneorganisation, brauchte 1995 keine zwei Monaten von der Idee Drug-Checking bis zur Absprache mit dem Testlabor und der Veröffentlichung der ersten Testresultate.
Siegessäule berichtete am 03. Dezember 2019 unter dem Titel Neues Modellprojekt „Drug Checking“ , dass sich das Projekt auch an schwule Chemsex-User richte. Was die Ziele sind und an welche Grenzen das Projekt stößt, wurde am 3. Dezember 2019 im Rahmen einer Podiumsdiskussion erörtert. Dort wurde das Drug-Checking-Projekt im Rahmen einer offenen Veranstaltung in der RAW-Bar Crack Bellmer vorgestellt. Zur Podiumsdiskussion waren Projektkoordinator und Pharmazeut Tibor Harrach, Vertreter der Clubcommission Berlin, eine Sprecherin der Suchtberatungsstelle Vista und Vertreter der Linksfraktion Berlin eingeladen. Tibor Harrach erläuterte unter anderem, wie das Drug-Checking ab 2020 in der Praxis ablaufen wird.
Vor mehr als einem Jahr konnte man lesen, dass das Modellprojekt Drug-Checking gestartet habe, jetzt heißt es wohl erst in 2020 oder 2021. Am 1. November 2018 berichtete zwar die Pharmazeutische Zeitung unter dem Titel Berlin – Modellprojekt zum Drug Checking gestartet, dass in Berlin ein solches Projekt gestartet habe. Wörtlich heißt es in dem Artikel: „Nach jahrelangen Überlegungen will Berlin Testmöglichkeiten für Drogen wie Ecstasy-Pillen schaffen. Ein Modellprojekt zum sogenannten Drug Checking starte am Donnerstag, teilte ein Sprecher der Gesundheitsverwaltung auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.“ Diese Meldung aus der Gesundheitsverwaltung vom November 2018 muss man wohl als Fake News klassifizieren.
Derzeit beginnen Leute in Berlin Wetten abzuschließen, was zuerst startet: der Flugbetrieb auf dem neu gebauten Flughafen BER oder das Berliner Drug-Checking-Programm. Der Flughafen hätte vor 2743 Tagen (= 7,5 Jahre) eröffnet werden sollen – die Einladungskarten für die Eröffnungsveranstaltung waren schon gedruckt gewesen. So ist eben Berlin.