Österreich hat sich nach den Nationalratswahlen eine Diskussion über seine Aussen- und Verteidigungspolitik eingefangen. Pünktlich zum diesjährigen Nationalfeiertag im Oktober trat eine Gruppe rund um den früheren Aussenminister Erwin LANC (SPÖ) für eine Verkürzung des Wehrdienstes auf vier Monate mit anschliessender freiwilliger Ausbildung für Friedenseinsätze im Ausland ein. Österreich, wurde der Regierung in diesem Manifest für eine engagierte Neutralitätspolitik empfohlen, sollte »gut eingespielte stand-by Einsatzkräfte« für Einsätze in Krisengebieten mit UNO-Mandat aufstellen.
Schon einen Tag später, am 25. Oktober, meldete sich der
Völkerrechtsexperte der Uni Linz, Manfred ROTTER, in einem Gastkommentar der Tageszeitung »Der Standard« zu Wort: Dank der österreichischen Neutralitäteerklärung von 1955 meinte er, sei heute zwar der Beitritt zu Militärbündnissen ausgeschlossen, nicht aber die Teilnahme an militärischen Zwangsmaßnahmen der UN auf der Basis eines entsprechenden Beschlusses des UN Sicherheitsrates (UNSR), wenn das mit unseren sonstigen aussen- und sicherheitspolitischen Parametern zusammen passt. ROTTER empfiehlt der nächsten Regierung Folgendes auf die Agenda zu setzen:
»Die UN-Satzung hat in der österreichischen Verfassungshierarchie den Rang eines einfachen Gesetzes. Geben wir ihr den Stellenwert, der ihr gebührt, heben wir sie in den Rang der Bundes-Verfassung. Damit wäre sowohl nach innen wie nach aussen ohne die bisherigen Umwegsargumentationen klar gestellt, dass die Teilnahme an nicht durch den UNSR autorisierten Militäraktionen für Österreich auf Grund seiner Verfassungsstruktur ausgeschlossen sind.«
Die aussenpolitische Sprecherin der Grünen und Co-Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei EGP, Ulrike LUNACEK, beklagte fünf Tage später (30.10.) im selben Blatt, die Koordinaten der österreichischen Neutraltät würden seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes ständig neu definiert: »Österreich bekannte sich dazu, die Neutralität im Falle von UN-Aktionen (Golfkrieg 2) ausser Kraft zu setzen. Mit Beschluss der Petersberg-Aufgaben im Rahmen der EU habe sich die Frage der weiteren Wirkungsmöglichkeiten von neutralen Staaten im europäischen Rahmen zugespitzt. Die Möglichkeiten des Opting-out und der 1999 beschlossenen »konstruktiven Enthaltung« hätten jedoch die Neutralität im europäischen Kontext erhalten.
Ulrike LUNACEK: »Die SPÖ ist schon mit keiner strikten völkerrechtlichen Bindung von Auslandseinsätzen an ein UNO-Mandat in die Wahl gegangen: Laut Wahlprogramm will sie österreichische Soldaten lediglich ›in erster Linie‹ unter UN-Mandat intervenieren lassen. Dass für die ÖVP bereits ein EU-Beschluss für Auslandseinsätze reichen würde, ist bekannt. Addiert man die beiden Ansätze, ergäbe das eine politische Position, die den neutralen Status des Landes akut gefährdet.«
»Beide Parteien«, so LUNACEK weiter, »haben schliesslich miteinander die Verfassungsmehrheit und können das Neutralitätsgesetz so weiter aushöhlen. Wie auch 1997 bereits einmal geschehen, als der Art. 23 f B-VG beschlossen und damit die Beteiligung an Kampfeinsätzen zur Krisenbewältigung möglich wurden. Ein weiterer solcher Streich kann der Neutralität endgültig das Kreuz brechen.«
Am 7. November 2006 forderte Gerald MADER, Mitunterzeichner des Manifestes, im zweiten österreichischen Intelligenzblatt »Die Presse« Österreich möge sich um mehr Kohärenz seiner Politik bei sich, aber auch bei den Brüsseler Institutionen bemühen. »Österreich hat sich sehr stark bei Blauhelmeinsätzen engagiert. Diese fanden ausschließlich aufgrund eines UNO-Mandats und der Zustimmung der Streitparteien statt. Die EU behält sich vor, in Ausnahmefällen auch ohne UNO-Mandat militärisch zu intervenieren, obwohl Kosovo und Irak gezeigt haben, welche langfristigen Folgen mit solchen völkerrechtswidrigen Interventionen verbunden sind. Aufgabe einer österreichischen Aussenpolitik sollte es daher sein, die Verfassungsregelung des Artikels 23 f BVG rückgängig zu machen und auch in der EU keinen militärischen Einsätzen ohne UNO-Mandat zuzustimmen.«
MADER, Präsident des Österr. Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) und des European University Center of Peace Studies, sagt: »Die Völker haben immer schon von einem gemeinsamen Europa geträumt, das keine Angriffskriege führt und sich an solchen nicht beteiligt. Nur die Grossmächte wollen darauf nicht verzichten. Aber Politik braucht Visionen, und Utopien brauchen Vorreiter. Österreich wäre als friedenspolitischer Vorreiter bestens geeignet. Jene europäischen Eliten, die sich als erste für eine solche alternative Sicherheitsdoktrin engagieren, werden einen grossen Zulauf haben. Wenn diese Utopie einmal Realität werden sollte, dann werden Postmoderne und Neoliberale die Entdeckung machen, dass der Mensch doch zu Vernunft und Zusammenarbeit fähig ist.«
© Wolfgang Koch 2006
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