vonErnst Volland 15.09.2009

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Dunkelkammer

Ich lernte die Fotografin über einen Freund kennen. Sie machte in ihrem Atelier Tee für uns drei und ich kaufte sofort eine kleine farbige Serie zu einem guten Preis. Es waren keine besonderen Abzüge, aber die Themen, die sie in der Endphase der DDR aufgegriffen hatte, interessierten mich. Sie arbeitete in einem harten veristischen Stil und hatte den richtigen Blick, den nicht alle Fotografen besitzen und von dem man sagt, man hat ihn oder man hat ihn nicht. Anfang der der 80er Jahre fand sie ihr Figuren im Randmiljö des Sozialismus, meist proletarische Dropouts.

Die etwa postkartengroßen, farbigen fünf Abzüge hatte sie in irgend einem Fotogeschäft abziehen lassen, dort, wo Urlauber ihre Fotos abgeben, und strahlend mit einer prall gefüllten Tüte sonniger Eindrücke nach Hause gehen. Diese billigen kleinen Abzüge für viel Geld unter die Leute zu bringen, subsumierte ich unter dem Begriff „originell“

Ich erfuhr, dass sie nach dem Fall der Mauer sofort ihre Koffer packte, einige Monate in den Staaten verbrachte, und dann für mehrere Jahre in Ägypten hängen blieb. Die Kairoer Pyramiden hatten es ihr besonders angetan und ich hörte, dass sie manchmal tagelang auf der Spitze einer Pyramide saß, um Töne und Zeichen zu empfangen. Als ich durch einen Zufall wieder die Pyramiden besuchte, und die Fotografin davon erfuhr, machte sie den Vorschlag, ich solle am Eingang ihren Namen nennen, das bringe Glück und würde den einen oder anderen dort erfreuen. Vor ein paar Jahren hatte sie ihren Standort gewechselt und lebt nun die meiste Zeit in Chile. Auch im Norden von Chile befinden sich Pyramiden und diese habe sie vor allem angezogen. Ab und zu kommt sie nach Deutschland, um ihre Geschäfte zu klären, Ausstellungen zu bestücken und Kontakte zu stabilisieren.

Mancher Kontakt oder näherer Bekannter bekam von ihr ein Paket CD’s geliehen, auf der sie singt, immer in der Nähe einer Pyramide oder direkt auf der Spitze einer Pyramide. Auch ich wurde mit dieser Gratifikation bedacht, hörte mir jedoch die Gesänge nie an. Die Übergabe der CD’s begleitete sie immer mit esoterischen Ausführen, die mich erst Recht nicht interessierten und ihre Monologe gingen über in eine fahrige Kritik unserer Gesellschaft, in deren Mittelpunkt Habgier und Geld standen. Wir hatten uns in großen Abständen regelmäßig getroffen. Es gab vor allem zwei Gründe dafür. Zum einen vertraute sie mir einige Fotos an, die ich für sie verkaufen sollte und zum anderen benutzte sie, wenn sie in Deutschland war, regelmäßig meine Dunkelkammer, um ihre Fotos abzuziehen. Sie war im Verkauf clever und der Absatz funktionierte. Mein Verkauf ihrer Fotos lief nur am Rande und ich belieferte auch nur zwei Mal im Jahr zwei Auktionshäuser. Ab und zu verkaufte ich einige Fotos von ihr, ohne dafür ein Honorar zu nehmen. Sie gab mir zu verstehen, dass sie es als freundschaftliche Geste sehe und ich ließ es dabei. Jetzt waren zehn Jahre vergangen, sie hatte inzwischen eine andere Dunkelkammer gefunden und wir wollten einen Schlussstrich und Bilanz ziehen.

Als ich die nicht verkauften Fotos aus dem Grafikschrank holte, verklemmte sich ein Foto so unglücklich, dass am rechten unteren Rand ein Stückchen des Fotos abgetrennt wurde. In diesem Augenblick wusste ich instinktiv, dass dunkle Gewitterwolken aufzogen. Bei diesem Foto handelte es sich thematisch um ein Foto einer Demonstrationsserie, auf denen Politiker wie Honecker am 1. Mai zu sehen sind. Auf dem beschädigten Foto küsste eine Frau am Rand einer Demonstration einen DDR Soldaten. Dieses und einige andere aus der Serie der DDR Demonstrationen hatte sie mir einmal im Konvolut gegeben, mit der Hoffnung, dass ich sie losschlagen könne. Es wurde jedoch keines verkauft, besser: Ich hatte keines angeboten, weil nur ihre veristische Serie der Dropouts immer wieder gefragt war.

Bei unserem Treffen erzählte sie über die Schönheit der chilenischen Pyramiden und die Kälte der Menschen in Berlin und Deutschland. Dann ging sie minutiös die Liste der Rückgaben durch, kritisierte einen Posten, auf den sie noch zurückkommen wollte und schaute die Fotos durch. Beim Betrachten der küssenden Frau sah sie die abgetrennte Ecke und sagte, „Du hast das Foto kaputtgemacht, du musst es mir ersetzen.“

„Du kannst in meine Dunkelkammer gehen und einen neuen Abzug machen, ich gebe dir das gleiche Papier und schon ist es fertig,“ antwortete ich.

„Da habe ich eine bessere Idee. Ich gebe dir eine Chance. Ich schreibe für dieses Foto einen neuen Leihvertrag über 1500 Euro und du sagst deiner Versicherungsfirma, dass du einen Schaden hast. Dann zahlt die Versicherungsfirma, und du bist draußen.“

„Also, ich habe gar keine Versicherungsfirma, ich weiß nicht, ob das geht. Das ist ja ein Versicherungsbetrug.“

„ So kannst du das nennen. Eine ganz sichere Nummer, habe ich schon oft gemacht. Ganz nebenbei, du hast ein weiteres Foto, großformatig nicht abgerechnet, da ist der Preis 3000 Euro. Aber wir klären erst den Kuss.“

Um die Diskussion zu beenden, willigte ich ein.

Sie hatte Recht, es fehlte ein Foto. Ich hatte vergessen, es mitzubringen, obwohl es auf meiner Rückgabeliste stand. Ich fand es bei meiner Rückkehr sofort im Grafikschrank. In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich hatte noch nie einen Versicherungsbetrug gemacht und wollte auch eigentlich keinen machen. Ich fühlte mich überrumpelt. Auch in der zweiten Nacht fand ich kaum Schlaf. Sie hatte mir umgehend den neuen Leihvertrag geschickt, tatsächlich mit dem Preis von 1750 Euro, obwohl das Foto höchstens 300 Euro Wert war. Ich ging zu einem Experten und ließ es schätzen. Da der Experte mit mir vertraut war, sagte er, sie solle in ihre Dunkelkammer gehen und einen neuen Abzug machen, Kosten maximal 50 Euro.

Nach der dritten Nacht besucht mich zufällig ein Anwalt, der auch Notar war. Ich komme bald auf meine schlechte Stimmung zu sprechen und bitte um einen Rat.

„Gut, dass du keinen Versicherungsbetrug machen willst. Der lohnt sich auch nicht, eigentlich niemals.“

Der Anwalt setzte mir ein Schreiben an die Fotografin auf, in dem ich den Betrug ablehnte. Der Brief ging als Paket mit dem beschädigten Foto und dem vergessenen per Kurier an die Fotografin.

Nach einer Woche rief die Fotografin an und fragte, wie weit die Sache mit dem Foto gediehen sei. Ich fragte, ob das Paket angekommen sei. Sie verneinte. Ich war sprachlos und forschte nach der Sendung. Die Versandfirma informierte mich umgehend, das Paket sei ordnungsgemäß abgegeben, die Fotografin habe mit ihrem Namen unterschrieben und man habe alles schriftlich, falls ich die Unterlagen benötige. Diese Information beruhigte mich.

Nach einem Monat rief die Fotografin an und fragte, wie weit die Sache mit der Versicherung sei. Ich antwortete, ich mache keinen Versicherungsbetrug und sie könne die Sache vergessen. Wenige Tage später lag ein Brief ihres Anwaltes im Briefkasten, mit dem Inhalt, sofort 1750 Euro zu überweisen. Ich rief meinen befreundeten Anwalt an, drückte ihm gegenüber meine Ratlosigkeit in dieser Sache aus, die eher darin lag, dass ich niemals von dieser Fotografin eine solche Reaktion erwartet hätte.

„Komm vorbei, „ sagte der Anwalt, „aber es kostet was.“

Ich überlegte einen Tag, dann überwies ich die 1750 Euro. Lieber ein Ende mit Schmerzen, als ein Schmerzen ohne Ende.

Zwei Tage später stürze ich mit dem Fahrrad auf einem Fahrradweg. Ein Auto, aus einer Ausfahrt kommend, hatte mir die Vorfahrt genommen, ich musste abrupt bremsen und fiel über den Lenker auf den Boden. Zum Glück wurde ich nicht verletzt. Aber in der Tasche, die ich am Lenker führte lag eines meiner künstlerischen Fotos, eingepackt zwischen zwei stabilen Pappdeckeln. Es war beschädigt. Der Fahrer schaute gab mir auf Nachfrage seine Adresse. Ich rief ihn ein paar Tage später an und sagte ihm, für die zerrissene Tasche und das geknickte Foto erwarte ich von ihm 100 Euro. Dafür würde ich keinen Anwalt einschalten. Er versprach, in Kürze diesen Betrag zu überweisen. Ich warte jetzt schon ein ganzes Jahr. Soll ich einen Anwalt anrufen?

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