vonsaveourseeds 05.07.2011

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Queen of the day: Corinne Lepage

Die Diskussion war voller Wenns und Abers als sich das Europäische Parlament heute mit der Frage befaßte unter welchen Umständen, aus welchen Gründen und auf welcher Rechtsgrundlage die Regierungen der EU-Staaten künftig auch zugelassene Gentechnikpflanzen für den Anbau auf ihrem Hoheitsgebiet verbieten können. Doch das Abstimmungsergebnis war ein voller Erfolg für jene, die eine möglichst weitgehende Lösung wollten, die zudem gegen Klagen vor nationalen Gerichten oder auch bei der WTO unzweifelhaft abgesichert ist. Für die Berichterstatterin des Europäischen Parlamentes, Corinne Lepage und die Gentechnik-KritikerInnen aller Länder war heute in Strassbourg ein sonniger Tag.

Der unscheinbaren aber streitbaren Anwältin aus Frankreich nahm heute keiner die Butter vom Brot. Monatelang hatte sie in der eigenen Fraktion (zu der auch die deutsche FDP gehört, der die ganze Richtung überhaupt nicht paßte) aber vor allem mit den Christdemokraten, die in Strassbourg die größte Fraktion stellen gefeilscht und gepokert, hatte Kompromissanträge zur Änderung des eigenen Berichts formuliert und Rechtsdienste mit ungewöhnlich präzisen Anfragen genervt. Jetzt fuhr sie schließlich doch die Ernte ein: Das Europäische Parlament stimmte für eine Regelung möglicher Verbote von GVO-Anbau in den Mitgliedsstaaten, die sowohl Umweltrisiken als auch volkswirtschaftliche Schäden als Gründe anführen können und sich dabei auf den Artikel 192 der EU-Verfassung zur Regelung von Umweltfragen bezieht und nicht auf Artikel 114 zur Regelung des Binnenmarktes für Produkte. Das Parlament fordert zudem verbindliche Koexistenzgesetze in allen Mitgliedsstaaten und nicht zuletzt eine Reform der zentralen Zulassung und Risikobewertung durch die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA.

Mit den Sozialdemokraten (ausser den gentechnikverliebten Spaniern) , Grünen, Linken, Teilen der Rechten und einem kleinen Teil der Christdemokraten und der eigenen liberalen Fraktion hatte Lepage letztlich eine solide Mehrheit für ihren Bericht hinter sich gebracht.

Gegen die wichtigsten Vorschläge von Lepage stimmte vor allem die grosse Mehrheit der Christdemokraten, von deren Fraktionsdisziplin allerdings 50-60 Abgeordnete abwichen, namentlich auch aus der CSU und CDU.  Die deutschen FDP-Abgeordneten hielten der Fraktionskollegin Lepage dagegen die Treue. Scheinbar wider Willen. Eine besonders drollige Rolle spielte dabei der FDP-Abgeordnete Holger Krahmer: „Das ist ein schwarzer Tag für den Binnenmarkt“, sagte er AFP und bedauerte „dass wir für Anti-Technolgie-Reflexe den Binnenmarkt aufgeben“, was er in seiner Rede gar mit den Grenzkontrollen Dänemarkts gleichsetzte. Er stimmte allerdings, zumindest in allen namentlichen Abstimmungen, für eben diesen Bericht.

Eine Mehrheit der Bürger hatte Lepage allemal auf ihrer Seite.  66.000 Menschen hatten sich allein in Deutschland innerhalb von fünf Tagen an ihre Abgeordneten gewandt und klare Kante verlangt. Auch in vielen anderen EU-Ländern, das wissen die Abgeordneten, wäre der Verzicht auf nationale Selbstbestimmung in der Gentechnikfrage bei der Mehrheit der Wählerschaft nicht gut angekommen.

John Dalli mit ipod

John Dalli, der EU-Kommissar, der selbst den Vorschlag gemacht hatte, die Mitgliedsstaaten künftig selbst entscheiden zu lassen, zeigte sich bemerkenswert aufgeschlossen für die konkreten Verbotsgründe, die das Parlament nun nachliefert und die in seinem Vorschlag fehlten. Nur die Änderung der Rechtsgrundlage, so las er es von seinem ipod, finde nicht die Zustimmung der Kommission.

Hier eine vollständige Liste der Gründe, die nach Ansicht des Parlamentes zu einem Verbot führen können:

(i) entsprechend gerechtfertigte Gründe im Zusammenhang mit lokalen oder regionalen Umweltauswirkungen, die sich aus der absichtlichen Freisetzung oder dem Inverkehrbringen von GVO zusätzlich zu den Umweltauswirkungen ergeben könnten, die bei der gemäß Teil C dieser Richtlinie durchgeführten wissenschaftlichen Bewertung der schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt geprüft wurden, oder Gründe im Zusammenhang mit dem Risikomanagement; diese Gründe können Folgendes umfassen:
– die Verhinderung einer Resistenzbildung bei schädlichen Pflanzen und Tieren gegenüber Pestiziden;
– das Invasionspotenzial oder die Persistenz einer GVO-Art bzw. die Möglichkeit der Kreuzung mit heimischen Kultur- oder Wildpflanzen;
– die Verhinderung schädlicher Auswirkungen auf die lokale Umwelt, die durch die Änderung der landwirtschaftlichen Verfahren im Zusammenhang mit dem Anbau von GVO verursacht werden;
– die Beibehaltung und die Entwicklung landwirtschaftlicher Verfahren mit einem größeren Potenzial dafür, die Erzeugung und die Nachhaltigkeit der Ökosysteme in Einklang zu bringen;
– die Erhaltung der lokalen biologischen Vielfalt, einschließlich bestimmter Lebensräume und Ökosysteme, sowie bestimmter Natur- und Landschaftselemente;
– fehlende oder unzureichende Daten zu den potenziellen schädlichen Auswirkungen der Freisetzung von GVO auf die lokale oder regionale Umwelt, einschließlich der biologischen Vielfalt, eines Mitgliedstaats;
(ii) Gründe im Zusammenhang mit den sozioökonomischen Auswirkungen; diese Gründe können Folgendes umfassen:
– die Tatsache, dass Koexistenzmaßnahmen undurchführbar oder mit hohen Kosten verbunden sind oder aufgrund der vorherrschenden geografischen Bedingungen (z. B. kleine Inseln oder Berggebiete) nicht umgesetzt werden können;
– die Notwendigkeit, die Vielfalt der landwirtschaftlichen Produktion zu schützen oder
– die Notwendigkeit, die Reinheit des Saatguts zu gewährleisten;
(iii) andere Gründe, die die Bodennutzung, die Stadt- bzw. die Raumplanung oder andere zulässige Faktoren umfassen können;

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https://blogs.taz.de/durchmarsch_fuer_gentechnikverbote_in_europa/

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