Eine ebenso beliebte wie dumme Floskel in Debatten über den Holocaust lautet, man solle endlich mal einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen. Dumm unter anderem deshalb, weil die Vergangenheit noch heute weit in die Gegenwart hineinreicht. Mal eben den Massenmord zu vergessen, kann eben nur der dreist fordern, dessen Onkel, Tanten, Großeltern nicht im Konzentrationslager umgekommen sind.
Ein emotional aufwühlendes Aufleben der Geschichte ist am Samstag in Amersfoort geschehen. Da übergaben zwei Mitarbeiter der Stichting Oktober 44 das Eigentum von 35 im KZ Neuengamme ermordeten Niederländern an ihre Verwandten. Gefunden hatten sie vor allem Brieftaschen, Fotos, mutmachende Briefen von Kindern der Toten und weitere Dokumente, wie jetzt unter anderem das NRC Handelsblad berichtete. Und zwar im Archiv des Internationalen Suchdienstes (ITS) in Bad Arolsen, das nach langem Hickhack erst seit gerade gut zwei Jahren für Forschung und persönliche Anfragen offensteht.
Die Stiftung, die in Arolsen als erste niederländische Organisation recherchieren durfte, kümmert sich um die Erforschung und die Erinnerung an eine große Vergeltungsaktion der Deutschen in Putten, einer Stadt von heute 23.000 Einwohnern in der Grenzregion Gelderland. Nach einigen Sabotageaktionen und einem Überfall auf Wehrmachtsoffiziere wurden am 1. und 2. Oktober 600 Puttener Männer über das Lager Amersfoort nach Neuengamme verschleppt. Die Stadt selbst sollte dem Erdboden gleichgemacht werden, 110 Häuser fielen der Brandstiftung durch deutsche Soldaten zum Opfer. Von den deportierten Puttenern kamen ca. 540 in Neuengamme oder anderen KZ ums Leben, nur 48 kehrten zurück.