Der Schweizer Hanfbauer Bernard Rappaz aus Saxon im Kanton Wallis ist einer der Hanfpioniere der Schweiz. Sein Unternehmen produzierte Hanfduftkissen, was er im Sommer 1996 der Kantonspolizei mitteilte. Der Anbau, Besitz und Handel mit Hanf war seinerzeit in der Schweiz nicht illegal. Man inspizierte seinen Betrieb, schritt aber nicht ein. Dann im Dezember 1996 wurde er doch verhaftet. Er ging für 42 Tage in einen Hungerstreik, bevor er aus der Haft entlassen wurde. Im November 1997 nahm Rappaz mit seiner Züchtung »Walliser Queen« am Cannabis Cup der US-Zeitschrift »High Times« in Amsterdam teil. Im Januar 1999 gewann er damit den ersten Preis beim »Canna Swiss Cup« in Bern. Rappaz ist Gründer und Geschäftsführer der Hanf-Kooperative Valchanvre (deutsch: Hanftal). Über 100 Polizeibeamte führten in der Kooperative eine Razzia durch und konfiszierten 50 Tonnen Cannabis. Rappaz wird beschuldigt, Hanf anzubauen, das mehr als die erlaubten 0,3 % THC enthält.
Am 14.11.2001 wurde Rappaz erneut verhaftet und kam in Untersuchungshaft. Wieder nahm Rappaz einen Hungerstreik auf. Am 56. Tag wurde er aufgrund gesundheitlicher Probleme in ein Krankenhaus eingeliefert. Er protestierte mit seiner Aktion gegen die Verfolgung von Cannabisbauern. Am 25. Januar 2002, dem 73. Hafttag, hob das Gericht die Haftanordnung auf. Ausschlaggebend sei gewesen, das keine Verdunklungsgefahr bestehe. Die Wochenzeitung »Die Weltwoche« zitierte Rappaz am 31. Januar 2002 unter dem Titel »Der Alpen-Gandhi« mit den Worten: »Ich bevorzuge einen langsamen und bewussten Tod, für den schweizerischen Hanf und für eine bessere Welt.«
Dieser vor fast zehn jahren ausgesprochenen Satz bereitet derzeit der helvetischen Justiz großes Kopfzerbrechen. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde Bernard Rappaz, der Walliser Hanfbauer, im Oktober 2008 wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und anderem zu einer Gefängnisstrafe von 5 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Im April 2009 wurde das Urteil vom Schweizerischen Bundesgericht bestätigt. Am 20. März 2010 wurde Rappaz verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Dort begann er mit einem Hungerstreik. Aufgrund von Hungerstreiks gewährte man ihm zwei Haftunterbrüche. Der zweite für die Dauer von 15 Tagen datiert vom 7. Mai dieses Jahres, damit Rappaz sich von den Strapazen seines Hungerstreiks erholen könne. Danach wurde Rappaz wieder inhaftiert und wegen eines neuerlichen Hungerstreiks wurde der 57-jährige Rappaz in der Gefangenenabteilung des Genfer Universitätsspitals verlegt. Da Rappaz jedoch eine Patientenverfügung verfasst hat, in der er ausdrücklich eine Zwangsernährung ablehnt, haben die Ärzte in Genf aus ethischen Gründen von einer Zwangsernährung abgesehen. Darauf hin wurde Rappaz am 12. Juli 2010 in das Inselspital in Bern zwangsverlegt.
Zwangsernährung ethisch vertretbar?
Ob eine Zwangsernährung im Falle Rappaz ethisch vertretbar ist, darüber streiten sich derzeit Juristen und Ärzte in der Schweiz auf das allerheftigste. Der Anwalt von Hanfbauer Bernard Rappaz, Aba Neeman, hat am Montag, 19. Juli 2010, beim Walliser Kantonsgericht gegen den Entscheid von Regierungsrätin Esther Waeber-Kalbermatten protestiert. Diese hatte einer Zwangsernährung zugestimmt. Das Berner Inselspital, in dem sich der Hanfbauer zurzeit aufhält, will sich nicht dazu äußern. Laut Anwalt Aba Neeman, geht Regierungsrätin Esther Waeber-Kalbermatten über die Richtlinien des Bundesgerichts und des Europäische Menschenrechtshofs betreffend einer Zwangsernährung hinaus. Zumal sein Klient noch immer bei Bewusstsein sei. Neeman weiß jedoch nicht genau, ob der Hanfbauer bereits zwangsernährt wird oder nicht. Das Berner Inselspital gibt mit Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht darüber keine Auskunft.
Laut den Richtlinien der Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) muss der Entscheid des Häftlings »medizinisch respektiert werden, selbst im Falle eines großen Risikos für die Gesundheit.« Voraussetzung dafür sei jedoch, dass seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung von einem unabhängigen Arzt bestätigt worden sei. In diesen Richtlinien heißt es zudem weiter: »Fällt die Person im Hungerstreik in ein Koma, geht der Arzt nach seinem Gewissen und seiner Berufsethik vor, es sei denn, die betreffende Person habe ausdrückliche Anordnungen für den Fall eines Bewusstseinsverlustes hinterlegt, auch wenn diese den Tod zur Folge haben können.«
Gemäß einer Meldung von »swissinfo.ch« vom 18. Juli 2010 darf der Staat Bernard Rappaz sterben lassen. Staat und Ärzte müssen den Willen des Walliser Hanfbauers, der sich aus Protest gegen seine Gefängnisstrafe notfalls zu Tode hungern will, respektieren, sagt Ruth Baumann-Hölzle von der Nationalen Ethikkommission. »Sei eine Person urteilsfähig und gehe von ihr keine Gefahr für Dritte aus, sei deren Recht auf Abwehr von Zwangsmassnahmen höher zu gewichten als die Fürsorgepflicht des Staates«, sagt Ruth Baumann-Hölzle im Interview. Das Schicksal des hungerstreikenden Rappaz liegt derweil in den Händen der Ärzte des Berner Inselspitals. Ihnen liegt seit Freitagnachmittag der Entscheid der Walliser Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten vor, Rappaz solle zwangsernährt werden.
Ruth Baumann-Hölzle sagte weiter im Interview: »Heute gilt jede medizinische und pflegerische Handlung als Körperverletzung. Nur die Einwilligung der urteilsfähigen Patientin oder des urteilsfähigen Patienten lässt die lebenserhaltende Maßnahme zu. Wir haben die Freiheit der Selbstschädigung, und das Abwehrrecht wird normalerweise höher gewichtet als die Fürsorgeverpflichtung des Staats zur Lebenserhaltung bei Urteilsfähigen. […] Die Besonderheit der Situation besteht darin, dass er sich in Haft befindet. Da hat der Staat eine erhöhte Fürsorgepflicht. Aber auch in diesen aussgewöhnlichen Situationen wie beispielsweise auch in der Psychiatrie dürfen Zwangsbehandlungen nur in Notsituationen vollzogen werden. Das ist dann der Fall, wenn ein Patient nicht urteilsfähig ist. Das Abwehrrecht erlischt auch beim Gefangenen nicht. Man darf bei Zwangsbehandlungen nur soweit gehen, dass man bei Betroffenen die Fremdgefährdung außer Kraft setzt. Eine Inhaftierung bedeutet also nicht, dass man den Gefangenen auch zwangsbehandeln darf. […] Herr Rappaz hat eine Verfügung verfasst, dass er in dieser spezifischen Situation nicht zwangsernährt werden will. Weil er diese Situation antizipiert, müsste man sich an die Verfügung halten und man darf ihn nicht zwangsernähren, auch wenn er nicht mehr urteilsfähig sein sollte.«
Die Zürcher SonntagsZeitung berichtete am 19. Juli 2010 in ihrer Onlineausgabe unter dem Titel »Anwalt von Bernard Rappaz protestiert gegen Zwangsernährung«, das andere Experten eine Zwangsernährung für legitim ansehen. Das Bundesgericht habe letzte Woche eine Zwangsernährung Rappaz‘ indirekt gestützt und komme damit den Ärzten bei ihrer Entscheidung zu Hilfe. So sah es auch die Zürcher Strafrechtsprofessorin Brigitte Tag in der Sendung »Rendez-vous« von Schweizer Radio DRS. Das Bundesgericht eröffne mit seinem Urteil dem verantwortlichen Arzt die Möglichkeit zu sagen: »Ich kann zwangsernähren, wenn ich es mit meinen Gewissen vereinbaren kann«, sagte die Professorin. Es sei hier jedoch angemerkt, dass des Arztes Gewissen in diesem Fall gegen die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften agieren müsste.
Cannabis und Freiheit
Esther Waeber-Kalbermatten studierte Pharmazie in Bern und erlangte im Jahr 1979 das eidgenössische Diplom als Apothekerin. 1993 wurde sie als Mitglied der Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) in den Großen Rat des Kantons Wallis gewählt und hatte dort bis 2005 Einsitz. Von 1997 bis 2009 war sie zudem Gemeinderätin von Brig. Am 4. März 2009 wurde sie in den Staatsrat gewählt und steht seither dem Departement für Sicherheit, Sozialwesen und Integration vor.
Aufgrund ihres Studiums der Pharmazie weiß Waeber-Kalbermatten sehr genau, dass Rappaz mit seiner Behauptung aus wissenschaftlicher Sicht recht hat, Alkohol sei viel gefährlicher für die Gesundheit des Einzelnen und für die Gesellschaft als Ganzes als berauschende Cannabisprodukte. Im Kanton Wallis werden sehr viele alkoholische Getränke hergestellt. An den von der Sonne verwöhnten Hängen auf der Nordseite des Rhonetals herrscht im Unterwallis (flächendeckend) und im Mittelwallis (teilweise) Rebbau vor, stellenweise auch in den Seitentälern. Neben der Leitsorte Fendant wird in neuerer Zeit wieder vermehrt auf alte, ortstypische Sorten wie Humagne (weiß und rot), Arvine oder Malvoisie zurückgegriffen. In Visperterminen befindet sich der höchste Weinberg nördlich des Alpenhauptkamms. Zudem werden in der Rhonetalebene in großem Stil Früchte angebaut, vor allem Aprikosen und Williamsbirnen, die zu Schnaps verarbeitet werden. Die Walliser produzieren alkoholische Getränke in großem Stil und von diesen Getränken geht eine weitaus größere Gefahr aus als von den von Rappaz produzierten Hanfpflanzen. Rappaz will mit seinem Hungerstreik auf die unerträgliche Ungerechtigkeit des Hanfverbotes aufmerksam machen, was ihm bis jetzt sehr gut gelungen ist.
Bernhard Rappaz ist ein Freiheitskämpfer, er kämpft für die freie Wahl der Rauschmittel und insbesondere gegen das Hanfverbot. Rappaz wird in der Schweiz auch als Wilhelm Tell oder Arnold Winkelried der Jahrtausendwende bezeichnet. Andere nannten ihn schon den »Gandhi der Alpen«. Rappaz hat wie kaum ein anderer Schweizer den Satz »gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht« aus der Präambel der Schweizer Bundesverfassung verinnerlicht. Im urschweizerischen Sinn ist Bernard Rappaz ein vorbildlicher Schweizer. Möge er noch lange in Freiheit leben!