Inmitten der sich verschlechternden Sicherheitslage im Ostkongo bahnt sich ein handfester Skandal rund um die UN-Mission an. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat sich „empört“ über die Massenvergewaltigung von mindestens 154 kongolesischen Frauen durch Kämpfer der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) und die mit der FDLR verbündete kongolesische Miliz Mai-Mai-Tcheka geäußert. Er schickt den Chef seiner Abteilung für Friedenssicherung, Atul Khare, in den Kongo und beauftragt die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten, Margot Wallström, mit der Koordinierung der weiteren UN-Reaktion auf „diesen Vorfall“.
Eigentlich unterhält ja die UNO im Kongo ihre weltgrößte Blauhelmmission (Monusco), die so etwas durchaus selber untersuchen können müßte. Wenn also höchstrangige Emissäre aus New York stattdessen mit der Sache befasst sind, ist etwas gewaltig faul.
Faul ist vor allem die Monusco selber, die es bis dato immer noch nicht für nötig gehalten hat, auf die anschwellenden Vorwürfe gegen sie offiziell zu reagieren. Der Vorwurf ist der, dass UN-Blauhelme in der Nähe der Tatorte nicht eingegriffen hätten, als die Massenvergewaltigungen geschahen – in flagranter Missachtung ihres Mandats.
Ganz von der Hand zu weisen ist der Vorwurf nicht, und doch trifft er nicht den Kern der Sache. Die Fakten: Vom 30. Juli bis 3. August hielt die FDLR Luvungi und umliegende Dörfer des Verwaltungsbereiches Mpofi besetzt. Einige Zeit später, als die FDLR sich wieder zurückgezogen hatte, tauchten immer mehr Vergewaltigungsopfer im Gesundheitszentrum von Luvungi auf und berichteten von grausamen Gruppenvergewaltigungen durch jeweils zwei bis sechs Täter, teils vor ihren Kindern und Ehemännern. Die FDLR und die Mai-Mai-Tcheka wurden dafür verantwortlich gemacht. Zeugenaussagen sammelte die US-Hilfsorganisation „International Medical Corps“ (IMC) und das Hilfswerk „Heal Africa“, das in der Provinzhauptstadt Goma das wichtigste Krankenhaus zur Behandlung von Opfern sexueller Gewalt unterhält.
Nach einem Lagebericht von „Heal Africa“ wurden in den 13 betroffenen Dörfern 165 „Überlebende sexueller Gewalt“ sowie drei männliche Folteropfer identifiziert und zum Teil medizinisch versorgt. IMC spricht von 179 betsätigten Vergewaltiungsfällen. Der Heal-Lagebericht datiert vom 18. August, IMC gab seine Erklärung am 19. August heraus und der UN-Rundfunksender „Radio Okapi“ berichtete darüber am 20. August. Wie der Sprecher des UN-Generalsekretärs in New York erklärte, wurde die Monusco in Goma bereits am 12. August informiert, schickte ein „Joint Protection Team“ in das fragliche Gebiet vom 13. bis 17. August und beschloss am 18. August, eine volle Untersuchung zu starten. Auch die Stationierung kongolesischer Regierungseinheiten sei „erbeten“ worden.
Doch erst als ein Reporter der „New York Times“ in Goma den Fall aufgrund eines Gespräches mit der humanitären UN-Abteilung OCHA aufgriff und die Zeitung am 23. August darüber berichtete, gab es offizielle UN-Reaktionen in New York. Demnach sei die nächste UN-Blauhelmbasis nicht 16 Kilometer von den Vergewaltigungsorten entfernt gewesen, sondern 30, weil die Vergewaltigungen sich nicht in Luvungi ereignet hätten, sondern in Bunangiri. Womit sich der Vorwurf, die Blauhelme hätten praktisch untätig danebengestanden, als die Milizen wüteten, relativiert – wenn man die Topographie der schwer zugänglichen Bergwälder des Distrikts Walikale kennt. Allerdings ist diese UN-Erklärung perfide, denn auf der Liste der 13 betroffenen Dörfer stehen Luvungi und Bunangiri, dazu das größere Mpofi und noch weitere Orte. In einer anderen Stellungnhme wird darauf verwiesen, dass nur 25 Blauhelme überhaupt in dem Gebiet stationiert gewesen seien.
Es geht insgesamt nicht um die Frage der geogaphischen Entfernung zwischen Blauhelmsoldaten und Vergewaltigungsopfern. Es geht darum, wie es sein kann, dass die FDLR 13 Dörfer vier Tage lang besetzt halten kann, entlang einer immer wieder zum Objekt von Wiederaufbaumaßnahmen erklärten Fernstraße, ohne dass irgendjemand interveniert – ob UN-Soldaten oder kongolesische Armee. Was genau spielte sich Anfang August in diesem Gebiet ab, das auch in der Nähe eines wichtigen FDLR-Hauptquartiers von Nord-Kivu liegt? Offiziell bleibt diese Frage unbeantwortet. Watch this space.