vonDetlef Guertler 08.08.2011

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Verkäufersprech ist bekanntlich meist eine stark eingeschränkte, zu häufig eine dröge Teilmenge des Deutschen, die wenig von der möglichen grammatischen Vielfalt unserer Sprache nutzt. Es richtet sich an den typischen Interessenten der jeweils angepriesenen Ware und gehorcht in seiner Entwicklung strikten Erfolgsprinzipien: Wer nicht verkauft, darf nicht sprechen. Daher wirkt es in seinem spezifischen Umfeld in der Regel eloquenter als das durchschnittlich gesprochene, geschwatzte und gegrunzte Deutsch. Wird Verkäufersprech seinem Umfeld entnommen, dann wirkt es jedoch meist fad und abgeschmackt.

Meine Tanzpartnerin (ausschließlich „Standard“, also Walzer, Slowfox, Quickstep, Tango und Wiener Walzer) ist Geschäftsführerin eines Fachgeschäftes für Tanzschuhe und Zubehör. Sie überraschte mich vor zirka zwei Wochen mit einem Wort, das ich a) für ein Neuwort halte und das ich b) der sprachlichen Schöpfungskraft eines Verkäufers niemals zugetraut hätte!

Wenn Damen Schuhe kaufen, dann wird Begehrlichkeit geweckt, weil der Schuh schick ist (nicht aus profanen Erwägungen, etwa, weil er gut tragbar ist).
Und wenn der Schuh nicht genau zum Fuß passt (alternativ: wenn der Fuß nicht zum Schuh passt), was sagt meine kluge Tanzpartnerin?

Nicht etwa „Sie werden den Schuh ‚eintragen’“.
Sie sagt auch nicht: „Sie müssen sich an den Schuh gewöhnen!“
Und schon gar nicht: „Der Schuh wird sich an den Fuß anpassen!“

Nein! Sie erklärt ihrer Kundin, daß sie den Schuh „einleiden“ müsse.

Und das, finde ich, ist ein großartiges Wort.

Es appelliert an den Ehrgeiz der Trägerin: Nur wer wirklich leidet, kann Großes erreichen! Nur wer das Tal der Tränen durchschreitet, hat es verdient, diesen Schuh zu tragen!

Gleichzeitig beschränkt das Verb die Leidensphase, denn das Ende der Schmerzen, mithin die Erreichbarkeit des hehren Ziels wird schon mit der Vorsilbe markiert: Es wird nur „eingelitten“.

Das Wort ist gleichwohl ehrlich: Der Adressat spürt die Schmerzen bereits, wenn das Wort das Ohr erreicht!

“Einleiden” verankert die Initiative beim Träger des Schuhs, nicht beim Schuh, auch das finde ich sehr aufrichtig: Da weiß moan doch gleich, wer hier die Arbeit zu verrichten hat!

Meine Suche bei google ergab: zwar diverse Tippfehler von „einleiten“, aber keinen Treffer in dem Sinne, wie das Wort von meiner Tanzpartnerin verwendet wird. Insofern würdige ich an dieser Stelle eine gelungene Wortprägung.

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