vonHeiko Werning 28.05.2011

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Mit welchem Unfug Menschen sich beschäftigen! Sie schnüren irgendwelche Finanzpakete zusammen, lassen sie ein paarmal um den Globus kreisen, und wenn sie sie dann wieder auspacken, stellen sie fest, dass nur Luft drin war. Sie erfinden USB-Staubsauger. Sie lesen Magazine, in denen andere Menschen ihnen erzählen, wie sie sich kleiden sollen. Kurzum: Sie brummen wichtigwichtig durch ihr Leben, tun und machen, und doch ist alles nur heiße Luft.

Dabei ginge es auch anders. Sie könnten der Wahrheit, dem Leben und der Welt in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen nachspüren. Indem sie beispielsweise Regenwürmer erforschen. Oder Schwebfliegen. Also: Sie könnten Sinnvolles anfangen mit ihrer Zeit auf Erden.

Von solchen Menschen handelt „der Rosinenkönig“, eines der schönsten und anrührendsten und sinnstifendsten Bücher, das mir je unterkam. Sein Autor Fredrik Sjöberg hat sich schon als Kind den Schmetterlingen seiner schwedischen Heimat gewidmet. In seinem Verlangen, seltene Exemplare mit mottenlockendem UV-Licht anzuziehen, legt er die gesamte Straßenbeleuchtung seines Heimatdorfes lahm. Oder lässt den Garten seines Elternhauses in der Nacht in hellem Schein erstrahlen. Später wechselt er auf Schwebfliegen, von denen es eine erstaunliche Vielfalt gibt. Seinen Seelenfrieden findet er aber erst, als er sich ganz und gar einer einzigen Gattung dieser Insekten verschreibt, der Callicera. Von denen gibt es nur rund ein dutzend Arten, die dafür aber verteilt über die ganze Welt vorkommen, und die Chance, sie tatsächlich einmal zu finden, tendiert stark gegen null, denn diese Fliegen sind extrem selten, einzelgängerisch und durch keine bekannte Methode gezielt aufzuspüren oder gar anzulocken. Erst, in dem Sjöberg sich dieser praktisch aussichtslosen Suche mit ganzer Seele verschreibt, findet er seinen Sinn im Leben und kann die Welt entspannt und amüsiert betrachten. Und anderen Sinnsuchern nachspüren.

Etwa dem schwedischen Ausnahme-Naturforscher Gustaf Eisen. Ein Mann, der bis heute berühmt ist. In der Szene der Regenwurmsystematiker. Und bei Glasperlenforschern. Auch bei Jägern des Heiligen Grals. Und, nicht zu vergessen, bei Rosinenanbauhistorikern. Ein Mann, der sich sein Leben lang mit unterschiedlichsten Dingen befasst hat – immerhin die Hälfte davon mit Regenwürmern, bis er offensichtlich eines Tages einfach durch war mit ihnen –, immer mit ganzer Hingabe, mit Leidenschaft, mit unerschöpflichem Wissensdurst, mit dem Wunsch, alles genau, sehr genau, exakt zu durchdringen. Und zu sammeln. Zu systematisieren. Einzuordnen. Sein Leben lang hat Eisen gesammelt, hauptsächlich für die California Academy of Sciences, und dann ging alles beim großen Erdbeben in San Francisco von 1906 in Flammen auf. Eisen zuckte mit den Achseln, so stellt Sjöberg es sich vor, und wendet sich einem neuen Forschungsgegenstand zu.

Sjöberg verwebt seine eigene Biographie mit der von Eisen, dem er nachspürt, so wie er seine Schwebfliegen sucht: mit Akribie und Hingabe. Mit dem Wissen, dass es nichts Wichtigeres gibt als die Sache, der man sich widmet. Und erfährt dabei mehr von der Welt als alle Herumbrummer, Windmacher und Wichtigtuer zusammen.

In gewisser Weise ist „Der Rosinenkönig“ der präziseste Gegenentwurf zum Typus Guttenberg und seinem Fan-Mob. Hier der dem Wahrhaftigen verpflichtete Mann mit der Leidenschaft für die Sache, dort der nach öffentlicher Bedeutung, dem schönen Schein und der hübschen Fassade Strebende, dem im Kern alles gleichgültig ist.

Jedem aber, der wirkliche Leidenschaft kennt, der im Leben mehr sucht als das Herumgegockel in den Verwertungsketten, der einen Sinn hat für die wahren Dinge, für Regenwürmer und Schwebfliegen und Rosinen, uns also, uns macht „Der Rosinenkönig“ glücklich. Und bekommt seinen Ehrenplatz bei den ganz Großen: neben „Die letzten ihrer Art“ von Douglas Adams, neben der „Reise mit der Beagle“ von Charles Darwin, neben „Western Reptiles and Amphibians“ von Robert Stebbins.

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