vonDetlef Guertler 12.12.2008

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Die Finanzwelt steht sprachlos vor dem grössten Betrugsfall der Geschichte: Vermutlich 50 Milliarden Dollar Schaden hat der ehemalige Nasdaq-Chef Bernard Madoff bei seinen Kunden angerichtet. Sein ganzes seit Jahrzehnten laufendes Investmentgeschäft sei eine „einzige grosse Lüge“, es sei kein Geld mehr da, er insolvent und bereit, ins Gefängnis zu gehen. Und obwohl jetzt natürlich einigen die ganze Firma schon immer komisch vorgekommen ist, hat die ganze Zeit niemand etwas gemerkt.

Und ich stehe ratlos vor einem Loch in der deutschen Sprache. Denn es gab doch jemand, der es gemerkt hat. Dieser Jemand, eine gewisse Erin E. Arvedlund, hat sogar eine grosse Geschichte über die Ungereimtheiten bei Madoff in der führenden US-Anlegerzeitschrift Barron`s geschrieben, und zwar bereits im Mai 2001. Eigentlich hätte damals schon der Rest der Medien plus SEC plus Staatsanwaltschaft eingreifen müssen, und der Schaden wäre sicherlich einige Milliarden geringer ausgefallen. Aber keiner hat sich drum gekümmert.

Wären die anderen darauf eingestiegen, wäre es ein Scoop oder eine Enthüllung gewesen. Wäre es dummes Zeug gewesen, könnte man es Ente oder schlicht dummes Zeug nennen. Wie aber nennt man eine Enthüllung, die keiner bemerkt – und die sich erst viel viel später als korrekt herausstellt, dann nämlich, wenn es zu spät ist? Mein Vorschlag: Endhüllung; aber für bessere Ideen bin ich jederzeit offen. Und sage keiner, das komme zu selten vor, als dass man dafür ein eigenes Wort bräuchte. Ich könnte da Geschichten erzählen, könnte ich.

Ach ja: Wäre das damals ein Scoop geworden, wäre Frau Arvedlund vielleicht reich, auf jeden Fall aber berühmt geworden. So ging der Ruhm an ihr vorbei, sie ging einige Jahre für die New York Times nach Moskau und danach als Hedge-Fund-Analystin ins Büro von Sanford Bernstein in Philadelphia. Diesen September hat sie geheiratet. Herzlichen Glückwunsch nachträglich, und vielen Dank für die Madoff-Geschichte von damals. Wenn sich das nächste Mal jemand beschwert, dass die Wirtschaftsjournalisten alle trübe Tassen sind und alle Skandale verschlafen, erzählt ihm einfach die Geschichte von Erin Arvedlund und Bernard Madoff.

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