Geahnt hatten wir es schon lange, behauptet noch länger, bleibt also nur noch, es jetzt auch zu beweisen: Der ganze Energieverbrauch der Welt läßt sich auch ohne Öl, Atom und Kohle decken. Alles was wir dazu brauchen ist eine „4. Revolution“. Die präsentiert der gleichnamige Film von Carl Fenchner mit einem drive, schönen Bildern und anrührenden Geschichten wie sie in dem aufsteigenden Genre des Dokumentarfilms mit Botschaft noch selten sind. Finanziert von Hunderten von Menschen und Unternehmen, unterstützt von einer wachsenden Gemeinde von „Event-Partnern“ ist die 4. Revolution zudem ein fortgeschrittenes Beispiel von Medienaktivismus: Energie-Autonomie ist machbar, Herr Nachbar. Der perfekte Film zum ausbrechenden Frühling.Es war kein roter, sondern ein gelber Teppich, gesäumt von Elektro-Rollern, der zur Premiere ins gute alte Kino International führte. Sein einfühlsam restaurierter sozialistischer Optimismus passte gar nicht schlecht zum Thema. Der Saal war voll, die Stimmung prima, der Regisseur war stolz wie Harry und piepste, heiser von all seinen Interviews, Bedeutendes ins Auditorium, das seinem Film standing ovations offerierte. Eine lange Reihe von Macherinnen und Machern umarmte sich und bei den Häppchen danach konnte man feststellen, dass Verleih-Partner Detlev Buck gewaltig abgenommen hat und der geistige Vater des Filmes, Herrmann Scheer, sich einfach nicht unterkriegen läßt.
Die Stories des Films wollen wir hier nicht im einzelnen verraten. Sie reichen von Mali bis auf die Schwäbische Alb, von Bangla Desh bis nach Hollywood und erzählen vor allem eines: Es sind keineswegs technische Probleme, sondern eine Mafia von fossilen Energie-Konzernen, die den überfälligen Umbau unserer Stromversorgung verhindert. Denn regenerative Energien, wenn sie nicht gerade die Diemnsionen des Desert-Tec-Wahns annehmen, sind eine mittelständische bis kleinbäuerliche Veranstaltung. Eine halbe Million Solar-Panele installiert die Grameen Solar vonMuhamed Yunus mittlerweile pro Jahr. 2 Milliarden Menschen haben überhaupt nur eine Chance an Strom zu kommen, wenn der eben nicht aus der Steckdose durch teure Überlandleitungen, sondern direkt vom Dach, aus dem Stall oder vom Windrad nebenan kommt. Stromrebellen in einer kleinen Gemeinde im Schwarzwald haben in Deutschland die Tür zur lokalen Selbstversorgung aufgestossen und sich zu einer der führenden Stromalternativen gemausert.
Der Haken dieses Modells für den globalen Kapitalismus, aber auch für Gerhard Schröders und Joschka Fischers neue Arbeitgeber (von den früheren Wirtschaftsministern Werner Müller und Wolfgang Clement ganz zuschweigen) ist, dass bei der Gelegenheit das weltweit grösste Monopolgeschäft, die Mutter aller Marktmacht, zu Bruch ginge. Die Vorfreude darauf vermittelt die 4. Revolution so wohlig, dass man schon fast wieder misstrauisch wird.
Einen eher peinlichen Auftritt der Nachhaltigkeits-Diva Bianca Jagger im brasilianischen Regenwald hätten sich die Macher sparen können. Al Gore, den man daraufhin als Nächsten befürchtet, bleibt einem dagegen glücklicherweise erspart. Stattdessen: Eine Batterie-Spezialistin, eine Hebamme, die beschreibt welcher Fortschritt es ist, Entbindungen nachts nicht mehr mit einer wie ein Telefon am steifen Hals eingeklemmten Taschenlampe durchziehen zu müssen, der Erfinder von Paypal, der jetzt Solar-Sportwagen für Edel-Ökos baut und ein Altmeister aus Dänemark, der seit der Energiekrise 1973 einfach dran geblieben ist und die Probleme beschreibt, die seine Gemeinde mit dem Export der überschüssigen Wind-Energie hat, die Mieter eines 50-ger Jahre Hauses, das gerade auf 0-Energie umgestellt wird und ein chinesischer Unternehmensboss der kaltblütig vorrechnet, wie er die westlichen Fossile nass machen wird. Dazwischen das was Herrmann Scheer am besten kann: Einfache Wahrheiten in böse Sprüche kleiden wie „Der Fisch stinkt vom Kopf. Das Problem, das wir haben ist das der Eliten“.
Selten sah diese Branche so lächerlich aus, wie in Gestalt des Chefökonomen der Internationalen Energiebehörde (der seine Sporen bei der OPEC verdiente), der zwischen den mitreissenden Beispielen real existierender Energie-Autonomie immer wieder mit den alten Sprüchen, den Märchen von den „Brückentechnologien“, der CO2-Verpressung und der klimafreundlichen Atomenergie dazwischenlabert. Er erinnerte mich stark an Jung von Matts grünen Lügen-Riesen von RWE, den ich tags zuvor im Zoo-Palast zwischen der Eiswerbung sah. Passend dazu meldet heute der Spiegel was Vattenfall ihm vorrechnet: Solarstrom macht deutsche Stromkunden arm. (Notabene lobt er auch den Film zu zeigt sogar paar Ausschnitte.)
Dass dieser Film von einem eindrucksvollen Netzwerk von Klein-Energieunternehmen und Einzelspendern finanziert wurde, ein pfälzer (kein schwäbischer wie ursprünglich behauptet) Unternehmer sich dafür sogar eine halbe Million Euro bei der Bank geliehen hat und die offiziöse Filmförderung ihm keine Chance gab, macht das Projekt auf seine Art besonders sexy. Der in Sachen „social marketing“ beschlagene Delphi-Filmverleih hat damit, so meine Prognose, gute Chancen seinen Erfolg mit „We feed the world“ noch zu übertreffen.
Natürlich verändern Filme nicht die Welt. Aber manchmal können Sie, anstatt Kino- und Traumwelten als Surrogat zu bieten, doch dazu animieren, selbst an der Wirklichkeit ein Bisschen rumzufummeln: Umsteigen, mitmachen, loslegen! Wenn Sie sich dazu entschließen landen Sie übrigens direkt bei der charmanten Revolutionsführerin auf unserem Titelbild.
Eine Frage beantwortet der Film leider nicht: Was war die erste, zweite und dritte Revolution? Sachdienliche Hinweise nehmen wir gerne entgegen.