vonlottmann 16.11.2009

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Ich schreibe das jetzt hier in einer Stunde runter, keine Minute mehr, es soll ruhig so etwas wie LOSLABERN sein (der Titel des neuen Buches von Rainald Goetz), aber aus anderen Gründen. Nämlich weil inhaltliche Entgegnungen in Deutschland seit geschätzt 1848 das Peinlichste überhaupt sind. Wer denkt nicht sofort an Ralph Giordano oder wie der heißt, diese lebenslange Entrüstungsbacke, oder jetzt Richard David Precht im neuen SPIEGEL. Ich liebe Precht, jedenfalls sein Buch ‚Lenin kam nur bis Lüdenscheid‘, das ich für die beste Biographie seit ‚Anton Reiser‘ halte, und das ist ja wohl das größte Kompliment. Aber seine Beteiligung an irgendeiner Debatte über Sloeterdjik – reiner Schrott. Und eben vor allem deswegen so peinlich, weil der Autor sich so erkennbar viel MÜHE bei seinem intellektuellen Scheitern gegeben hat. Also einmal das Gehirn an die Wand fahren ist schon schlimm, aber dann auch noch soviel Energie dabei verschleudert haben, das ist ärgerlich, nicht nur aus ökologischen Gründen. Mit Prechts Energieaufwand für den verkorksten SPIEGEL-Essay hätte man eine moderne Doppelhaushälfte im Bergischen Land (bei Köln) vierzehn Tage lang heizen können, mit Einspeicherungen für den Hybrid in der wärmegedämmten Garage inklusive. Daher meine Begrenzung auf 60 Minuten Schreibakt. Wie alle inhaltlichen Debattenbeiträge wird auch dieser Mist sein, ein unschöner Wurmfortsatz einer eigentlich schönen Sache, nämlich lebendiger Literatur, aber: lieber Leser, glauben Sie mir, der Aufwand war nur gering. Ich werde gleich danach etwas anderes machen, etwas Sinnvolles, vielleicht mit meinem Bruder einen Herbstspaziergang. Und mit meinem Bruder ist Harmonie pur steter Familienauftrag.
Worum soll es gehen, ach ja, der neue Goetz, mein Epilog zum alten eigenen Blog, der nun überraschenderweise nötig wird, eben durch dieses Buch. Mein Blog hier in der taz hat ja im Untertitel den Namen ‚Der Anti-Goetz‘, und so war es logisch, daß mit dem Ende des von Rainald geführten Blogs ‚Klage‘ auch meiner endete. Was ich nicht ahnen konnte: der Mann hat heimlich einfach weitergeschrieben. Und jetzt ist das Ergebnis draussen, und ich kann mich, denkt der Autor, nicht mehr wehren. Nun hat aber der taz Blogwart Matthias Broeckers, aufgrund des jahrelangen herzlichen bis wechselvollen Verhältnisses, das wir digital hatten, eine Ausnahme zugelassen und den schon toten Blog ‚Auf der Borderline nachts um halb eins‘ noch einmal für einen EPILOG geöffnet. Der Sarg wurde exhumiert, was mich besonders deswegen freut, weil ja Goetzens Blog ‚Klage‘ nicht mehr gegenhalten kann, definitiv nicht: die ihn betreibende Zeitung ist pleite und existiert nicht mehr. Da ist kein Blogwart mehr, den er nachts verzweifelt anrufen könnte, hey buddy, ich hab da noch was in der pipeline, eine letzte Gemeinheit, bitte mach mir nochmal die Vanity Fair…
Ich verzettele mich. Jetzt schnell mein Anliegen und dann Schluß. Das neue Buch ‚Loslabern‘ ist eines der drei guten und großen Bücher, die dieser Tage auf den Markt gekommen sind, neben ‚Der Geldkomplex‘ von mir selbst und Tex Rubinowitzens ‚Ramses Müller‘. Ich habe mein Leben lang ausschließlich aus der Ich-Perspektive geschrieben, bis auf eine Phase während der Borderline Zeit, das war in Kuba, und da schrieb ich plötzlich in der Er-Form. Goetz verfolgte das aufmerksam, fand es ehrenwert, kam dann aber doch zu dem Schluß, daß es im Blog eigentlich nur um das ‚Loslabern‘ gehen dürfe. Ich habe dann bald wieder in der Ich-Form geschrieben, weniger gesetzt und weniger staatstragend also. Soviel zum Titel. Im Buch selbst geht es wieder darum, daß ich so ein böser Mensch sei, und daß er, Goetz, wohl auch so sei. Er trage das gewissermaßen ‚Böse‘ vielleicht ebenso in sich, spiegelverkehrt oder so, unbewußt, den ewigen Lottmann, und er kann das alles nur erkennen, weil er es auch habe, das Virus. Er habe Angst vor mir, und deswegen auch Angst vor sich selbst, und so weiter. What the fuck meint er da immer? Schon vor zehn Jahren hat er dieses Thema angeschlagen. Ich habe darauf nie reagiert, weil es dazu nichts zu sagen gibt, dachte ich. Sowas erledigt sich von selbst, oder? Offenbar nicht. Der Mann quält sich immer noch damit.
Ich hätte damals gern begütigend auf ihn eingesprochen, aber seine Angst vor mir ließ das nicht zu. Wenn ich ihn zufällig auf der Straße traf, rannte er regelrecht in Panik vor mir weg. Ich machte es irgendwann zu einem sportlichen Spiel, ihn doch zu erwischen und verfolgte ihn über mehrere Blocks – umsonst. Seine Angst, die sich nach einigen Minuten erkennbar zu Todesangst steigerte, verlieh ihm scheinbar Flügel, zumindest (noch) schnellere Beine. „Jetzt holt mich der Lottmann!“ stand in seinen verzerrten Gesichtszügen, dabei wollte ich ihm wirklich nur helfen. Nämlich die Wahrheit sagen, die gänzlich banale. Seine Angst vor mir war so verständlich wie erklärbar und mußte keineswegs ins Irrationale verschoben werden.
Ich setze voraus, dass jeder, der bis hierher gelesen hat, ein profundes Vorwissen über den Schriftsteller Rainald Goetz hat, diesen interessantesten und widersprüchlichsten Autor, den wir in Deutschland neben Maxim Biller haben, wobei Biller ebenso unversiegbar anregend ist wie Goetz, ohne dessen latent schizoide Veranlagung mitbringen zu müssen. Wer Goetz nicht seit vielen Jahren liest und liebt, wird hier nur Bahnhof verstehen. Erklären will ich so einem aber auch nichts. Ich mache also einfach weiter im Insider Talk. Her mit der Erklärung! Wovor fürchtet sich der Mann? Ist es einfach schlechtes Gewissen, weil er ein Verbrechen begangen hat, oder viele? So klingt es doch irgendwie, nicht wahr? Bekanntermaßen haben wir alle drei – Goetz, Biller, ich – durch unser Schreiben die Gefühle anderer verletzt. Schriftsteller tun das ja angeblich immer, sagen manche. Bei uns dreien waren die Verletzungen aber besonders massiv. Womöglich gab es in den 20er Jahren noch schärfere Beobachter von Mitmenschen, aber für unsere Zeit ist es sicher beispiellos. Ich muß nicht erwähnen, daß Maxim dieser Tage eine Schadenersatzklage in fünfstelliger Höhe abzuwehren hat; das Urteil wird gerade gesprochen. Was bei ihm offensichtlich ist oder war, geschieht bei Rainald durch die Präzision der Sätze. Sie zerschneiden die läppischen ‚Persönlichkeitsstrukturen‘ der Zeitgenossen zu übelriechendem Hackfleisch. Man verzeihe den schlechten Vergleich. Doch Goetz glaubt, dies allein im Dienste der Wahrheit zu tun. Er ist scheinbar ein Opfer seiner unbedingten Wahrheitsliebe. Wenn es um die Wahrheit geht – und gemeint ist immer die Wahrheit der Ideen – kennt er keine Freunde mehr. Wahrscheinlich würde er dem Satz zustimmen, daß ich ein pathologischer Lügner sei und er ein pathologischer Wahrheitssager. Und so wie ich dabei immer die beschriebenen Menschen verletzt habe (Dirk Scheuring: „Die Menschen wollen nicht, daß Lügen über sie verbreitet werden.“), so Rainald mit seiner unbedingten Wahrheitsliebe. Theoretisch müßten seine Verletzungen sogar mehr schmerzen als meine. Ich kann beweisen, daß ich von meinem fünften Lebensjahr an strikt darauf geachtet habe, die wahren Schwächen der Menschen tunlichst zu verschweigen. Ich könnte gar nicht anders, es wäre mir sterbenspeinlich. Biller war da das Gegenteil und Goetz ist es das noch. Während es bei Biller prompt sanktioniert wurde und seine berufliche Existenz vernichtet wird, konnte Goetz sich immer auf die ‚Ideen‘ herausreden. Er habe gewissermaßen nicht die Leute persönlich angegriffen, sondern nur offengelegt, von welchen (falschen) Ideen sie gesteuert werden. Dieser Vorgang der Offenlegung der Ideen (heute könnte man sagen der ‚Steuerbefehle‘) ist ein wunderbarer Vorgang, und genau dafür muß man Goetz lieben und für immer verteidigen. Nur werden ihn die enttarnten Zeitgenossen dafür hassen. Sie sind die Leichen in seinem Keller, vor denen sich sein Unbewußtes fürchtet. In einer kindlichen Übertragung verschiebt es diese Ängste Richtung ‚der Lottmann‘. Warum aber gerade auf den? Warum nicht auf Spinnen, die böse Luzi, den real existierenden Diedrich Diederichsen oder auf die Juden? Nun, weil ich in einer dummen pubertären Laune einst sein Verfolger geworden war. Prominente haben zu Menschen, die sie kannten, noch bevor sie prominent wurden, ein anderes Verhältnis als zu denjenigen, die sie erst im Status der öffentlichen Person gegenübertraten und –treten. Goetz und ich kennen uns leider schon aus Schul- und Studententagen. Daher hatte ich keine Skrupel, ihn, den Kameraden, zu triezen und zu ärgern, eben zu ängstigen. Ich will diese Streiche nicht erzählen.Täte ich es, hätte ich die Lacher auf meiner Seite und es wäre, als hätte ich das alles nur getan, um später erzählerischen Profit daraus zu schlagen. Mein Handeln war aber unschuldig. Und völlig bescheuert, das schon. Ich will, lediglich um die Gedankenführung nicht zu verwischen, ein Beispiel nennen, das zudem den Vorteil hat, überhaupt nicht lustig zu sein. Einmal besuchte ich Rainald, der sich in seiner Geheimwohnung in der Auenstraße verschanzt hatte und mit der Welt nur per Fernrohr kommunizierte, und sagte, ich müsse mal ins Badezimmer. Er dachte, ich wolle seine Toilette benutzen. Doch ich nahm ein ausgiebiges Bad, mehrere Stunden lang, und als ich frischgewaschen wieder rauskam, war er mit den Nerven vollkommen fertig. Er weinte fast, das Fernrohr baumelte nutzlos um seinen dünnen Hals. Furchtbar, heute schäme ich mich dafür, aber ich war eben blutjung & blöd. Aber ich war nicht Heinrich Himmler. Es war eher dieser Fluxus-Zusammenhang. Zur selben Zeit steckte sich Kippenberger eine Bild Zeitung in den Hintern, zündete sie an, auf dem Tresen stehend. Yoko Ono… nein, ich will nicht ins Detail gehen.
Daniel Kehlmanns Rede in Salzburg gefiel mir, weil sie so persönlich war. Er erzählte, wie ihm sein Vater die Scheinwerfer hinter der Bühne erklärt hatte und das Lichtmachen. Als es später um Karl Krauss und so weiter geht, wird es sofort alles wirkungslos. Deshalb cancele ich jetzt meine Ankündigung der inhaltlichen Debatte. Ich spare mir die Theorie über Goetz, belasse es bei einer schlappen These: Er, der die software der Gehirne lesen kann, ängstigt sich davor, daß das einmal einer bei ihm macht. Aus gutem Grund. Anders als zum Beispiel ich, kennt er seine eigene Prägung nicht. Sie ist ihm ein völliger Blinder Fleck, ja er weiß noch nicht einmal, daß er eine hat, und daß sie so starr und eindimensional ist, daß sie das Wichtigste im Bewußtsein eines Intellektuellen verhindert, nämlich ein Geschichtsbewußtsein.
Das ist ein kompliziertes Thema. Ich habe es einmal mit sehr viel Mühe ausgeführt und werde es nicht nochmal tun. Es war anläßlich seines Vorgängerbuches, das ich für die WELT am Sonntag rezensieren mußte. Der Redakteur, der monatelang sehr engagiert und menschlich darum kämpfte, daß ich das tat, war ein Freund, ja geradezu ein Fan von mir. Ich bin als Journalist ziemlich problematisch, aber dieser Mann, er hieß Matthias Wulff und ich mochte ihn sehr, verzieh mir jeden, also wirklich JEDEN Fehler. Ich hätte mit dem Auto seine Kinder anfahren können, und er hätte mich trotzdem weiterbeschäftigt. Tatsächlich verdankte ich allein seinem beherzten Eingreifen für mich und meine Art des Schreibens inzwischen neunzig Prozent meines Einkommens. Ich sagte ihm, daß ich über Goetz nicht schreiben wolle, da es wie eine kleinliche persönliche Abrechnung aussehen würde, noch dazu eines kleinen Geistes mit einem großen, was natürgemäß immer peinlich sei. Der Redakteur entgegnete, ich solle es mir überlegen, Goetz würde mich lieben, es sei eine Chance der Versöhnung. Ich überlegte es mir mehrere Monate, immer wieder angetrieben von diesem überaus netten Redakteur, der seinen Beruf offenbar sehr ernst nahm. Zwischendurch gab er mir andere Themen und ich staunte, wie gut er mich immer einschätzte und einsetzte. Alle Texte wurden überdurchschnittlich gut, also gemessen an meinen eigenen Möglichkeiten, sodaß ich mir eines Tages sagte: Nun, der Mann weiß wohl, was er tut, und ich werde den Goetztext schreiben. Inzwischen hatte mir eine Passage in ‚Klage‘ die Idee dazu geliefert. Rainald führt dort leidenschaftlich aus, daß ihn Lob furchtbar quält. Es mache ihn fix und fertig, dieses Schleimen, er wisse nicht, woran er sei, er wachse nicht, er werde nicht angeregt, die Gehirnwindungen verkleben und so weiter, nein, er wolle Kritik, erbarmungslose, kristallklare Kritik, eine, die den Freund nicht schone, im Gegenteil, genau daran würde er den wahren Freund erkennen, den Kamerad im Felde, den Lebensmenschen! Für mich war das wie ein Blankoscheck. Ich wollte ihm wirklich etwas Gutes tun, was nichts Geringeres bedeutete, als daß ich, der krankhafte und zwanghafte Lügner, erstmals und ausnahmsweise etwas Wahres, noch dazu in der Form der nichtironischen Theorie, verfassen mußte. Ich, der ich sonst nie länger als ein paar Mittagsstunden für jede Art von Langtext benötigte, beugte mich nun wochenlang und gramgebeugt über den Laptop. Das Ergebnis war kein Lottmanntext, aber trotzdem gut, also immer noch gut genug. Es war immer noch SPIEGEL Niveau. Erst recht hätte er der Welt am Sonntag zur Ehre gereicht. Der Redakteur brauchte einige Zeit, ehe er reagierte. Anscheinend kam es hausintern zu einer Auseinandersetzung, bevor er mit mir sprechen durfte. Er deutete zunächst nur an, daß er gern mein Freund bleiben wolle. Ich dachte grinsend, er meine unsere ‚Freundschaft‘ bei Facebook, aber die Sache war bitterernst. Ich wurde schließlich gefeuert, ausdrücklich und ausschließlich wegen des Götztextes. Darin würde von der ersten bis zur letzten Zeile nur „Haß gegen einen Autor“ stehen. Und überhaupt sei der Text so schlecht, daß man dafür nicht einmal ein Ausfallhonorar bezahlen würde, „nicht einen einzigen Cent“. Da war wirklich reiner Haß, aber nicht in meiner Rezension, sondern in dem Kündigungsschreiben. Mein Text über Prägung und Geschichtsbewußtsein war eigentlich sehr interessant gewesen, und persönlich nur an den Stellen, wo ich über meine eigene Prägung schrieb, über die langen Kriegs- und Zwischenkriegsgeschichten, die meine Oma mir als Kind erzählte, eine begnadete weil euphorische Geschichtenerzählerin. Aber auch da war kein Haß oder gar Selbsthaß. Die Reaktion der Zeitung blieb kryptisch. Es kam auch nie wieder zu einem Gespräch, weder mit dem netten Redakteur, noch mit anderen, im Laufe der Jahre kennengelernten Kollegen. Kein Honorar für einen bestellten Artikel – ich spürte förmlich, wie sich der greise Axel Cäsar Springer, der mich einst per Handschlag im Paternoster zum Volontär gemacht hatte, im Grabe umdrehte. Aber so war das eben, wenn man geächtet war…
So, die Stunde ist um, der Vorhang ist zu, und alle Fragen offen, wie Reich-Ranicki sagen würde. Aber so hat der Blog doch einen schönen Epilog bekommen! Blog und Anti-Blog gibts nun nicht mehr, aber wer von dieser family soap nicht genug kriegen kann, lese einfach in LOSLABERN weiter oder in DER GELDKOMPLEX!

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