vonSchröder & Kalender 12.03.2010

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

***
Der Bär flattert in östlicher Richtung.
***

Heute, am 12. März 2010, ist Ernst Herhaus in Kreuzlingen (Schweiz) im Alter von 78 Jahren gestorben. Die Beisetzung findet am Donnerstag, den 18. März, um 14:00 Uhr in Kreuzlingen statt.
***
1970 erschien Ernst Herhaus‘ ›Notizen während der Abschaffung des Denkens‹ im März Verlag, wir haben auf das Buch in unseren März-Zitaten im letzten Jahr hingewiesen.

Im Jahr 1972 erzählte ich Ernst Herhaus den ›Siegfried‹. Dass es überhaupt dazu kam, verdankt sich einem Sportunfall und Ernsts Beharrlichkeit.


Fotomontage: links: Ernst Herhaus als Vierzigjähriger, rechts: Jörg Schröder mit fünf als Preuße in Garmisch
***
Zur Erinnerung: Im März Verlag ging es damals turbulent zu, ich wollte das Grundstück in Niederflorstadt verkaufen, um mit dem Erlös den Verlag zu sanieren. Im Herrenhaus arbeiteten zwei Maler: der Bruder von Horst Peisker, der andere hieß Fleck, ein röchelnder Nitroschnüffler. Den hatte ich unterschätzt, als ich eines Mittags nach dem Fortschritt der Arbeit sehen wollte, kickten die beiden Maler in der Mittagspause auf der Wiese unter den Kastanien. Es gab dort einen großen Park, auf der Parkwiese bolzten sie, und ich machte mit, es wurde ›Zweie auf ein Tor‹ gespielt. Die Kondition der beiden war besser als meine, als mir die Puste ausging, hielt ich mein Bein hin und foulte. Bis es Fleck zuviel wurde, er machte die Blutgrätsche und trat gegen mein ohnehin ramponiertes Bein.

Es war damals auch die Rede von einem ›Verlegerkochbuch‹, das ich erzählen sollte. Otto Jägersberg hatte es Diogenes angeboten, aber Daniel Keel meinte: »Ich möchte nicht die Katze im Sack kaufen, sondern vorher das Manuskript lesen.« Ich dachte: Na, dann mache ich es eben selber. Aber über dem Kampf um die Wechselspitzen vergaß ich es wieder. Jetzt lag mir Ernst Herhaus in den Ohren: »Du bist doch ein großer Erzähler …« Bei Komplimenten ist man bekanntlich unersättlich, ich hörte es nicht ungern. Vermutlich, wenn Daniel Keel mir geschrieben hätte: »Wir machen das Buch, ich schicke Ihnen einen Vertrag«, wäre es nie zustande gekommen. Ich hätte dann wohl gesagt: »Ich habe etwas anderes zu tun, als ein Buch zu erzählen für fünftausend Vorschuss. Es geht jetzt um das Schicksal des März Verlags, also um fünfhunderttausend Mark!« Doch weil ich das Gefühl hatte, Daniel Keel traut mir ein Buch nicht zu, löckte es wider den Stachel.

Kairos! Wegen der Knochenhautentzündung musste ich liegen, und Ernst Herhaus setzte sich an mein Bett. Er brachte ein klappriges Philips-Tonbandgerät mit, wer kennt die noch? 1972, Philips-Recorder, ein Blechding, so scheppernd hat der auch abgespielt. Ernst sagte in seiner apodiktischen Art: »Jetzt musst du mal erzählen.« Er hatte damals ein Mantra, er arbeitete an seinen ›Apathie‹-Notizen, wollte nur Zuhören, Erzählungen sammeln, eine neue Form von Literatur schaffen. Ich lag da, machte mir Sorgen über meine Wechsel und Gedanken über diesen und jenen Immobilieninteressenten für Niederflorstadt. Und Ernst sagte: »Bitte erzähle.« Und wie das immer ist, wenn ich eine neue Geschichte beginne, die Zuhörer sitzen da mit erwartungsvollen Gesichtern, aber mein Kopf ist wie leergeblasen, kein schöner Zustand. Und dann fing ich doch an zu reden,Ernst hörte gespannt zu und lachte viel, das motivierte mich.

Und ich sagte: »So, nun wollen wir mal richtig anfangen. Geh doch mal hinten in die Bibliothek, da stehen ein paar Aktenordner.« Meine Mutter hatte ein Fotoalbum angelegt auf Kartonblättern, wie sie ihr gerade in die Finger kamen, die ersten drei blau, dann ein gelbes, dann ein grünes, ein rotes, alle nicht auf Register gelocht, kreuz und quer die Fotos. Aber die Legenden standen säuberlich darunter: »Rewahl bei Kolberg 1940«, »Misdroy 1941«, »Garmisch 1942« … Und ich fing an: »Mit Säbel und Uniform, das war in Garmisch …« So beginnt ›Siegfried‹, an den Fotos entlang begann ich meine Geschichte zu erzählen, aber bald legte ich den Ordner weg. Die ›Siegfried‹-Erzählung entstand in zehn Tagen.

Sofort setzte sich Ernst an die Transkription der Bänder. In drei Wochen war das Manuskript fertig. Seine große Leistung war, dass er den Text – mal abgesehen von einigen Redundanzen – so aufs Papier brachte wie es erzählt worden war. Ich kann mir keinen zweiten Autor vorstellen, der so selbstlos hinter der Erzählung eines anderen zurückgetreten wäre. Für diese Haltung habe ich Ernst Herhaus bewundert und werde ihm immer dankbar bleiben.

(BK / JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/ernst_herhaus_ist_gestorben/

aktuell auf taz.de

kommentare