Manchmal scheint es so, dass wenn Beamte fahrlässig, grobfahrlässig oder kriminell zum Schaden Dritter handeln, so lange ermittelt wird, bis die Tat verjährt ist: Fahrlässiges Handeln verjährt nach fünf Jahren. Ermittelt die Staatsanwaltschaft nur wegen Fahrlässigkeit, dann kann sie nach fünf Jahren die Ermittlungen einstellen und die Verantwortlichen müssen sich nicht vor Gericht verantworten. Einen solchen Fall gibt es in Bremen.
Arzt verletzte Sorgfaltspflicht
Die Bremer Richter hatten 2008 einen Mediziner freigesprochen, weil sie ihm keine fahrlässige Tötung nachweisen konnten. Sie bescheinigten ihm völlige Überforderung. Vergleiche TAZ-Bericht vom 5.12.2008.
Die Leipziger Bundesrichter bewerten die Vorgänge anders. Aus deren Sicht hatte der Arzt seine Sorgfaltspflichten verletzt, weil er das Opfer wegen Verständigungsschwierigkeiten nicht über die Risiken eines solchen Eingriffes aufgeklärt hatte. »Er hätte als approbierter Arzt wissen müssen, dass er ohne Aufklärung eine solche Zwangsbehandlung nicht durchführen durfte«, sagte der Vorsitzende Richter Clemens Basdorf. »Über Fahrlässigkeit und Verschulden wird stärker nachzudenken sein«, ergänzte er. Vergleiche TAZ-Bericht vom 29.04.2010.
Der erstmals mit einer derartigen Aufgabe konfrontierte Mediziner hatte 2004 dem mutmaßlichen Dealer über eine Sonde zwangsweise Wasser und Brechmittel eingeführt, damit er verschluckte Kokainkügelchen erbricht. An der Prozedur starb das 35-jährige Opfer. Vergleiche TAZ-Bericht vom 10.01.2005.
Mit einer Entscheidung der Großen Kammer des Europäischen Gerichtes für Menschenrechte (EGMR) zum Brechmitteleinsatz in Deutschland erfährt eine weitere viel beachtete Frage des deutschen (Strafprozess-)Rechts eine Zwangseuropäisierung. Die deutsche Diskussion hatte sich hinsichtlich der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wie so oft zu einer vergleichsweise jungen Rechtsfrage ein Schweigerecht herausgenommen. Während man im Ausland schon vor dem Urteil den deutschen Brechmitteleinsatz anstößig fand, bei dem – wie auch der EGMR bemerkt – zwei Menschen zu Tode gekommen sind, hat man in Deutschland heute eine Entscheidung auszuwerten, die Deutschlands Verantwortung für eine Verletzung des Folterverbots des Art. 3 EMRK feststellt. Diesen Satz hätte auch ein Ausrufezeichen beschließen können, denn die Große Kammer des EGMR hat mit dem Urteil einem Staat, der sich durchaus als menschenrechtlicher Musterschüler versteht, bei aller nötigen Erörterung der Sachfragen letztlich klar die Verletzung eines der grundlegendsten menschenrechtlichen Verbote durch eine staatlich institutionalisierte Praxis vorgehalten. (Quelle: Online-Zeitschrift HRRS & Rechtsprechungsdatenbank: Entscheidungsrezension zum Urteil der Großen Kammer des EGMR Nr. 54810/00 vom 11.7.2006 zu Art. 3 und 6 EMRK, Heft 7/2006, S. 241 ff.)
Auch der Leipziger 5. Senat des Bundesgerichtshofes (BGH) hat mit seinem Urteil vom 30. April 2010 den Freispruch des Arztes aufgehoben, der im Jahr 2004 zwangsweise einem vermuteten Drogendealer per Magensonde Brechmittel zugeführt und ihn damit getötet hatte. (Quelle: Beck-Blog, Henning Ernst Müller: BGH: Fahrlässige Tötung durch Brechmitteleinsatz, Meldung vom 30.04.2010.)
Im Brechmittelfall ist jetzt der erste Vorwurf verjährt, sodass er strafrechtlich nicht mehr aufgeklärt werden kann. Die Staatsanwaltschaft hatte geprüft, ob sich auch der Chef jenes Arztes verantworten muss, der den Brechmitteleinsatz im Dezember 2004 geleitet hat. Vergl. hierzu: Bernd Schneider: Erste Vorwürfe im Brechmittelfall verjährt, in: Weserkurier vom 12.11.2010.
Hoffentlich wird von der Öffentlichkeit bezüglich der Todesfälle auf der Loveparade in Duisburg hinreichend und genügend Druck gemacht, damit die Staatsanwaltschaften und die Beschuldigten nicht den ganzen Skandal fünf Jahre aussitzen (dann verjährt fahrlässiges Handeln) und die Verantwortlichen dann ohne Gerichtsurteil davonkommen.