vonDominic Johnson 28.11.2010

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Nur noch wenig Aufmerksamkeit erfährt international die Lage in den ostkongolesischen Kivu-Provinzen. Vorbei die Zeiten, als ein Rebellenführer Laurent Nkunda von Nord-Kivu aus die Welt in Atem hielt. Verblaßt die Aufregung über sexuelle Kriegsverbrechen der ruandischen Hutu-Miliz FDLR. Dabei hat sich die Situation der Menschen keineswegs verbessert, und auch die politisch-militärische Lage bleibt unübersichtlich und verworren. Statt einzelnen überschaubaren Kriegsfronten herrscht ein Klima der allgemeinen Unsicherheit. Die bewaffneten Fraktionen stehen sämtlich sowohl inner- als auch außerhalb der Regierungsarmee FARDC, so daß kein Mensch mehr weiß, wer wer ist. Üble Gerüchte ersetzen politische Analyse, allgemeines Mißtrauen tritt an die Stelle politischen Handelns. Eine allgemein traumatisierte und verelendete Bevölkerung, die sich von der Welt alleingelassen fühlt, greift inzwischen nach jedem Strohhalm und jedem noch so absurden Erklärungsmuster für ihre Lage, und kein Anlaß ist zu klein für den Ausbruch erschreckender Gewalt und tödlichen Hasses.

Zwei Beispiele der letzten Woche, die die taz in den letzten Tagen erreicht haben:

1. In Butembo, dem großen Handelsknotenpunkt im Norden der Provinz Nord-Kivu und Zentrum der Nande-Händlerschicht und der katholischen Kirche, wundert sich eine Marktverkäuferin, daß ihre gerösteten Heuschrecken, traditionelle Delikatesse in dieser Region, von lauter Fliegen umschwirrt sind. Sie hat ihre Ware am kongolesisch-ugandischen Grenzposten Kasindi-Mpondwe eingekauft, über den ein Großteil des regionalen Handels läuft. Die Leute wundern sich: was sind das für komische Heuschrecken, die Fliegen anziehen als seien sie Tierkadaver? Sofort macht das Gerücht die Runde: Da verkauft eine Frau vergiftete Heuschrecken aus Uganda. Ein neuer Beweis für die These, der heimtückische böse große Nachbar wolle die Kongolesen umbringen. Es versammelt sich eine wütende Menschenmenge um die arme Marktfrau.

Ein Tierarzt wird gerufen. Er wirft einen kurzen Blick auf die Heuschrecken und verkündet: Die kann man nicht essen, die verbreiten Cholera. Man muß sie verbrennen. Aus Vorsicht kaufen die Leute jetzt überhaupt keine Heuschrecken mehr. Man weiß ja nicht, was drin ist. Und das Mißtrauen gegenüber dem ugandischen Nachbarn ist weiter gewachsen.

2. Auf der Insel Idjwi, die mitten im Kivu-See zwischen Kongo und Ruanda liegt und zum Kongo gehört, erschießt ein betrunkener Polizist im Ort Bugarula zwei Schüler nach einem Fußballspiel. Die Stadtbewohner greifen zur Selbstjustiz: Sie zünden die Häuser aller 12 Polizisten des Ortes an, bringen zwei von ihnen um und errichten Straßensperren. Zwei durchreisende Mitarbeiterinnen einer Hilfsorganisation aus Goma, die Opfer sexueller Gewalt betreut, stoßen unglücklicherweise auf die Straßensperre. Weil sie keiner kennt, werden sie für Ehefrauen von Polizisten gehalten und verprügelt. Einer tönt, man solle sie mit Benzin übergießen und anzünden. Ein Verwaltungsmitarbeiter, der die Menge zur Räson bringen will, wird selbst zu Tode gehackt.

Der Motorradfahrer, der die beiden Frauen transportiert hatte, eilt zur nahen Klinik und holt den Arzt, weil der die beiden kennt. Während er mit der Menge streitet, können dieFrauen fliehen und ihren Weg zurück nach Goma finden. Man würde von diesem Vorfall sonst wohl nie etwas gehört haben.

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