Jan Mohnhaupt ist einer der Teilnehmer des zweiten Workshops der taz-Akademie
Ein Teilnehmer des ersten Workshops schrieb in seinem Kommentar 30 Jahre und kein bisschen radikal, dass die taz ihrem Anspruch, jeden Tag eine radikale Zeitung zu machen, nicht mehr gerecht werde. Sie sei zwar professionell geworden aber nur noch selten radikal, da sie mittlerweile im gesellschaftlichen Mainstream angekommen sei.
Warum denn auch nicht? Nahezu alle revolutionären, radikalen Bewegungen haben das Ziel, im sogenannten Mainstream beachtet zu werden, ihn zu verändern, ihn umzugestalten, im Endeffekt also dort „anzukommen“. Sowohl inhaltlich als auch räumlich. Hätten etwa die noch heute omnipräsenten 68er kein Interesse gehabt, in der Gesellschaft beachtet zu werden bzw. diese zu verändern, indem sie dafür – im wahrsten Sinne des Wortes – auf die Straße gehen, dann würden Rainer Langhans und seine Kommune I wahrscheinlich noch heute am Stutti zwischen Zigarettenstummeln und Schimmelpilzen sitzen und sich an ihrer alternativen Wohngemeinschaft erfreuen. Und niemand – außer den Nachbarn und dem Vermieter – würde sie je in ihrer Nischen-WG bemerken.
Fehlt es der taz nun an Radikalität? Radikalität meint laut Duden „bis auf die Wurzel gehend, vollständig, gründlich und ohne Rücksichtnahme.“ In diesem Sinne hat die taz sogar ihr eigenes Erscheinungsbild überarbeitet und dafür Lob, aber auch viel Kritik einstecken müssen. So mancher mag darin eine Schwerpunktverschiebung von Inhalt zu Hülle gesehen haben. Doch was nützt einem das beste Essen, wenn der Teller dreckig ist? Ein optisch ansprechendes und professionell gestaltetes Layout und Design ist nur die logische Konsequenz aus dem radikalen Anspruch der taz an sich selbst.
Die taz hat sich etabliert in der deutschen Medienlandschaft, was nichts Fragwürdiges ist, sondern eine beachtliche Leistung. Sie hat sich angepasst, nicht der journalistischen Konkurrenz oder den Gegnern, sondern den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen. Bestes Beispiel dafür sind die über 8.000 Genossinnen, die der Zeitung ein krisenloses Wirtschaften sichern. Sie hat sich etabliert und angepasst – und zwar radikal. Von Grund auf, sich selbst hinterfragend und weiterentwickelnd. Würde die taz noch genauso funktionieren und erscheinen wie vor 30 Jahren, wäre sie nie so alt geworden. Ohne Radikalität wäre sie nämlich nie über ein „Wurzeldasein“ hinaus gewachsen.