vonsaveourseeds 13.07.2010

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Die heute von der EU-Kommission vorgestellte Änderung der EU-Gesetze zum Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen wird seit Monaten von Freunden wie Feinden der Gentechnik auf dem Acker höchst kontrovers diskutiert.  Das ist vielleicht schon ihr wichtigster Erfolg. Die Botschaft der Kommission: Die Mitgliedsstaaten haben jetzt die Freiheit den Gentechnikanbau selbst zu regeln. Inhaltlich ist der Vorschlag eine Leer-Nummer, es sei denn die Regierungen der Mitgliedsstaaten und das Parlament machen daraus in den kommenden Monaten eine tatsächliche Veränderung.

Während die New York Times schreibt, die Kommission haben offensichtlich gegenüber dem anhaltenden Widerstand gegen die Agro-Gentechnik das Handtuch geworfen, sehen Greenpeace und Freunde der Erde darin einen gefährlichen Anschlag auf die Gentechnikfreiheit Europas. EuropaBio, der Verband der Gentechnikfirmen, klagt über Rechtsunsicherheit und Frankreich hält den Vorschlag für unausgereift. Was ist los?

Die Kommission schlägt im Kern eine nicht unbedeutende Änderung der EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18 vor,  in der die Grundlagen der europäischen Gentechnikpolitik festgelegt sind: Während nach wie vor die gesundheits- und Umweltrisiken von GVOs zentral und in erster Linie durch die umstrittene Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA bewertet und daraufhin zugelassen oder verboten werden sollen, würden in Bezug auf den Anbau (nicht aber den Einsatz in Lebens- und Futtermitteln) künftig die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU das letzte Wort haben. Sie sollen den Anbau auf ihrem Gebiet ganz oder teilweise verbieten können; allerdings nicht aufgrund von wissenschaftlichen Risikobedenken.

John Dalli (rechts) und Kollegen bei Muammar Gaddafi
Taktisch geschult: EU-Kommisar John Dalli (rechts) und Kollegen bei Muammar Gaddafi

Die Risikobewertung soll nach wie vor EU weit einheitlich geregelt bleiben. Sollten einem Mitgliedsstaat neue Erkenntnisse vorliegen, die den Anbau zu riskant erscheinen lassen, kann er vorläufige Verbote aussprechen. Diese müssen dann jedoch nach einem bereits heute festgelegten Verfahren EU weit geprüft und entweder bestätigt oder verworfen werden. Nach dieser sogenannten Schutzklausel haben Österreich, Deutschland, Griechenland, Frankreich, Ungarn und Luxemburg die bisher zum Anbau zugelassenen GVOs verboten. Als jedoch die EU aufgrund einer notorisch negativen Bewertung der Sicherheitsbedenken durch die EFSA eine Aufhebung der Verbote forderte, scheiterte sie regelmäßig an einer Zweidrittelmehrheit des Ministerrates der Mitgliedsstaaten.

Als dies zum letzten Mal vor anderthalb Jahren geschah, gab das besonders gentechnikfreundliche Holland zu Protokoll: So gehe es nicht weiter. Wenig später machte es zusammen mit dem besonders gentechnikkritischen Österreich erstmals einen Vorschlag zur Güte, den die Kommission jetzt umsetzen will: Wer einen zugelassenen GVO bei sich zu Hause nicht anbauen will, kann ihn national verbieten ohne dafür wissenschaftliche Gründe angeben zu müssen und damit immer wieder die wissenschaftliche Kompetenz der EFSA in Frage zu stellen.

Genau dies schlägt die EU-Kommission nun vor. Allerdings soll aus ihrer Sicht auch die Sicherung der sogenannten Koexistenz, also der Schutz gentechnikfreier Landwirtschaft vor ungewollter Verunreinigung mit GVOs, nicht als Begründung für ein Verbot zulässig sein. Denn dafür gibt es bereits eine Regelung in der EU-Richtlinie, die es Mitgliedsstaaten freistellt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das „ungewollte Auftauchen von GVOs in anderen Produkten“ zu verhindern.

Ihre Sicht wie dieser Artikel 26 (a) zu interpretieren sei hat die EU Kommission im Jahre 2003 in sogenannten „Leitlinien“ erstmals veröffentlicht und dabei die Auffassung vertreten, dass derartige Maßnahmen nur dann „angemessen und proportional“ seien, wenn sie garantieren, dass die Verunreinigung der konventionellen und biologischen Nachbarfelder und ihrer Produkte einen Grenzwert von 0,9% nicht überschreitet. Ein Bisschen Gentechnik müsse man also im Interesse der Koexistenz schon akzeptieren. Allerdings haben diese Leitlinien keinerlei rechtliche Bedeutung: Sie sind lediglich die Meinung der Kommission, an die sich niemand zu halten braucht. Als zunächst österreichische Bundesländer und dann auch Bulgarien Koexistenz-Gesetze erließen, die jede Verunreinigung der Nachbarfelder verbietet, zog die Kommission dagegen zwar verbal zu Felde, vermied es aber, den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, weil sie dort mit Sicherheit gescheitert wäre.

Jetzt hat die Kommission diese rechtlich bedeutungslosen Leitlinien mit großem Tamtam geändert und darin anerkannt, dass „unter bestimmten Umständen“ auch niedrigere Verunreinigungen als 0,9% einen wirtschaftlichen Schaden darstellen und deshalb verhindert werden dürften. Diese überarbeiteten Richtlinien präsentiert sie heute als ersten Schritt zur nationalen Souveränität bei der Entscheidung über den GVO-Anbau. Ein offensichtlich plumper Trick, um den Eindruck zu erwecken, dass sie den gentechnik-kritischen Mitgliedsstaaten heute wesentlich entgegenkommt. Im Klartext sagt sie lediglich: „Wir werden Euch nicht verklagen, wenn ihr durch Koexistenz-Gesetze den Anbau verhindert, so wie wir dies auch bisher nicht getan haben.“

An diesem Punkt drängt sich allerdings die Frage auf, aus welchen Gründen die Mitgliedsstaaten denn überhaupt den Anbau verbieten sollen, wenn dies auf keinen Fall wissenschaftliche und auch auf keinen Fall wirtschaftliche sein dürfen. Ein Gutachten, das Greenpeace und Freunde der Erde zu dieser Frage bei einem der führenden Rechtsexperten auf diesem Gebiet in Auftrag gegeben hat, sieht nur noch „ethische“ Beweggründe als legitime Verbotsgrundlagen und warnt davor, dass diese so schwer zu definieren seien, dass Unternehmen, die dagegen klagen, vor dem Europäischen Gerichtshof gute Chancen hätten, solche Verbote wieder zu kippen.

Über den von der Kommission vorgeschlagenen Artikel 26 (b) zu diskutieren bleibt freilich noch viel Zeit. Weil eine Änderung der Richtlinie vom Ministerrat und Parlament gemeinsam beschlossen werden muss, kann sie erfahrungsgemäß frühestens in 2 Jahren in Kraft treten. Außerdem kann das Europäische Parlament bei dieser Gelegenheit nicht nur den vorgeschlagenen neuen Artikel sondern auch alle anderen Bestimmungen der Richtlinie in Frage stellen und hierzu Veränderungen vorschlagen. Das könnte durchaus von der Kommission gewollt sein. Denn sie arbeitet gegenwärtig ohnehin an einer vollständigen Neu-Bewertung der bisherigen Erfahrungen mit der europäischen Gentechnikgesetzgebung.

Woran sie dagegen nicht arbeitet, obwohl sie dazu vom Ministerrat bereits vor anderthalb Jahren aufgefordert wurde, ist eine Überarbeitung der Sicherheitskriterien und der Zusammensetzung des wissenschaftlichen Komitees der EFSA. Die offensichtlichen Mängel bei der Bewertung von GVOs sollen also nicht zur Debatte stehen. Ebenso wenig will die Kommission die sogenannten sozio-ökonomischen Auswirkungen des Anbaus von GVOs auf die europäische Landwirtschaft bewerten, obwohl auch dies von den Ministern gefordert wurde.

Gemeint sind damit z.B. die offensichtliche Begünstigung von Grossunternehmen sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Saatgut-Branche; aber auch wirtschaftliche Vorteile für Monokulturen und Pestizideinsatz. Eine Diskussion darüber, ob diese den Zielen der europäischen Agrarpolitik entspricht, fürchtet die Kommission gerade angesichts der jetzt anhebenden Diskussion um die Neuformulierung der gemeinsamen Agrarpolitik der Union wie der Teufel das Weihwasser. Ausschließlich wissenschaftliche Erwägungen, so die Ideologie, die vor allem auch von der Industrie vertreten wird, dürften für die Bewertung des Gentechnik-Anbaus herangezogen werden. Gemeint ist damit letztlich die aufs Äußerste verkürzte Frage: Können Umwelt- oder Gesundheitsschäden naturwissenschaftlich bewiesen werden?

Die heutigen Vorschläge der EU-Kommission sind also zum einen kosmetische Änderungen an einem rechtlich irrelevanten Positionspapier und ungedeckte Wechsel auf ein künftiges Gesetzgebungsverfahren, das frühestens 2014 zum Abschluss kommen wird.

Sie sind allerdings der Auftakt zu einem Feuerwerk von Zulassungsvorschlägen für neue GVOs sowohl für den Anbau als auch für die Verwendung als Lebens- und Futtermittel. Noch vor der Anbau-Saison 2011 sollen mindestens drei Gentechnik-Maissorten (Monsantos Mon810, Sygentas Bt11 und Pionieers 1507) das grüne Licht für den EU weiten Anbau bekommen. Alle bisherigen nationalen Anbauverbote, einschließlich des deutschen Mon810-Verbotes, würden bei dieser Gelegenheit erst einmal außer Kraft gesetzt und die Industrie spekuliert natürlich darauf, dass bis zur nächsten Aussaat neue Verbote, sei es aus wissenschaftlichen, sei es aus Koxistenzgründen, nicht verabschiedet wären. Endlich könnte in Brandenburg dann wieder Gentech-Mais blühen. Aber auch in Polen, Rumänien, vielleicht sogar Frankreich und Italien – so die Hoffnung – wäre ein neuer Anlauf denkbar.

In ihrer „roadmap“ begründet die EU-Kommission ihren heutigen Vorstoß unmissverständlich: Nur so könne die gegenwärtige Blockade überwunden werden. Ob die Regierungen der Mitgliedsstaaten, wie von der EU-Kommission erhofft, sich ihre bisherige Ablehnung des Anbaus und ihre bisherige Blockade der Aufhebung nationaler Anbauverbote von der Kommission für dieses Nasenwasser abkaufen lassen, ist die entscheidende politische Frage, die sich im Herbst zunächst stellen wird. Die deutsche Haltung zu dieser Frage wird dabei eine entscheidende Rolle spielen. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung nämlich steht einerseits, man werde das von Ilse Aigner noch unter schwarz-rot erlassene Verbot von Mon810 nicht kippen. Andererseits steht dort auch, dass man künftige Zulassungen auf EU Ebene zügig verabschieden wolle. Wie das aussehen soll, hat Frau Aigner bereits vor drei Wochen gezeigt: Erstmals stimmte Deutschland für sechs neuen GVO-Zulassungen. Gut möglich also, dass sich die CSU künftig darauf reduziert, die Abstände zum nächsten Gentechnikfeld in Bayern etwas grösser zu ziehen als in Mecklenburg und Sachsen-Anhalt.

Wenn die EU-Kommission dann noch, wie bereits geplant, als nächstes den Abschied von der sogenannten „Nulltoleranz“ bei der gentechnischen Verunreinigung von Saatgut vorschlägt, ist der heiße Herbst in Sachen Agro-Gentechnik perfekt, den ihr neuer Gentechnik-Kommissar John Dalli mit seinen heutigen Vorschlag eigentlich verhindern will.

Eine Übersicht über das EU-Dickicht findet sich zu diesem Thema bei Euractiv.

Details auf Englisch und Französisch bei GMO-Free-Regions

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/eu-kommission_waescht_sich_den_gentechnik-pelz/

aktuell auf taz.de

kommentare