Die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) veröffentlichte heute eine echte Neuigkeit: erstmals sind sich Mitglieder der wissenschaftlichen Gremien der Behörde nicht einig über die möglichen Risiken von Gentechnik-Pflanzen. Dabei geht es um die Frage, ob gentechnisch eingeschleuste Resistenzen gegen bestimmte Antibiotika in Gentechnikpflanzen die menschliche Gesundheit gefährden oder nicht. „Höchstwahrscheinlich nicht“, sagt die Mehrheit, „nicht zu sagen“ meint die Minderheit. Der auffälligste Vertreter Deutschlands in dem Gentechnik-Gremium wird übrigens ab Juli nicht mehr dabei sein. Bei Joachim Schiemann sah das Auswahlgremium der Behörde mögliche Interessenskonflikte.
Der Streit um die Antibiotika-Resistenzgene ist nicht neu. Benutzt werden sie in der Gentechnik als sogenannte Marker und werden mit dem eigentlichen Gentechnik-Konstrukt zusammen in die Pflanzen übertragen. Das ermöglicht es, schnell jene Pflanzenzellen zu identifizieren, bei denen der Transfer geklappt hat: Antibiotikum drauf und nur wer überlebt ist erfolgreich gentechnisch verändert.
Antibiotika werden zur Bekämpfung von Bakterien eingesetzt und derer beherben Mensch und Tier und Boden unzählige. Im Unterschied zu höheren Lebewesen haben Bakterien relativ wenig Erbgut, sind dafür aber in der Lage, sich bei Bedarf schnell Gene zu „beschaffen“ und in ihr schlankes Genom zu integrieren. Die Attacke eines Antibiotikums ist für sie der Ernstfall und so verbreiten sich in Krankenhäusern antibiortika-resistente Bakterienstämme schnell. Aber auch Schweineställe, wo Antibiotika prophylaktisch und zur Mastoptimierung verabreicht werden, sind Brutstätten der Resistenz. Wer Antibiotika verschrieben bekam muss zur Vermeidung von Resistenzbildungen sie auch dann zu Ende essen, wenn die Symptome vorher verschwinden. Die Antibiotika-Resistenz ist mittlerweile eine ernste Herausforderungen für die Medizin. Die Entdeckung der Antibiotika (das erste war Penicillin) gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der modernen Medizin und erfolgreichsten Lebensrettern des vergangenen Jahrhunderts. Weil es sich bei ihnen um Kampfstoffe handelt, mit denen Mikroorganismen und Pilze sich seit Millionen Jahren gegenseitig das Leben schwer machen, ist ihre Wirksamkeit stets bedroht.
Die Übertragung von Antibiotika-Resistenzen vom Gentech-Produkt auf Mensch oder Tier kann theoretisch auf verschiedenen Wegen geschehen. Der entscheidende Pfad, um den der Streit tobt, geht so: Bakterien im Mund oder Verdauungstrakt nehmen die Antibiotika-Resistenz von der Pflanze auf und benutzen sie entweder selbst bei Bedarf oder transferieren sie an andere Bakterien.
Die Wissenschaftler waren nun mehrheitlich der Auffassung, dass trotz grundsätzlicher Unsicherheiten aufgrund dieser Transfer zwischen Pflanze und Bakterium im Falle der Resistenzgene (nptII und aaDA) nicht nachweisbar und ausgesprochen unwahrscheinlich sei. Dagegen seien Resistenzen gegen die betroffenen, medizinisch ausgesprochen wertvollen Antibiotika Streptomycin, Kanamycin und Neomycin in der Umwelt weit verbreitet, und zwar v.a. in Bakterien, die bedeutend austauschfreudiger sind als pflanzliches Material.
„Unbeschadet dieser Unsicherheiten, legt der gegenwärtige Stand des Wissens nahe, dass schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt aufgrund des Transfers dieser beiden Antibiotikaresistenz-Gene von GV Pflanzen auf Bakterien im Rahmen ihrer Nutzung unwahrscheinlich sind.“ schreibt deshalb die Mehrheit der Wissenschaftler.
Das, meint der Epidemiologe und Veterinärmediziner Ivar Vågsholm von der Universät Uppsala, könne man so nicht sagen. Da die Nachweismögichkeit in den Versuchen beschränkt, die Gelegenheiten zum Transfer dagegen gewaltig sind, müsse man von einer Wahrscheinlichkeit „zwischen niedrig und hoch“ sprechen, die gegenwärtig nicht abzuschätzen sei. Sein Kollege Christophe Ngyuen-Thé vom französischen Agrarforschungsinstitut INRA, meint zwar, dass die Übertragung unwahrscheinlich sei. Sollte sie dennoch stattfinden, seien Auswirkung auf Gesundheit und Umwelt jedoch nicht abzuschätzen und ihre Geringschätzung „nicht weise“.
Es geht also letztlich um die Einschätzung anerkannter Ungewissheiten und den Umgang mit ihnen. Vågsholm betont in seinem Votum, dass der Einsatz von Antibiotikaresistenzen bei der Genmanipulation nicht nötig ist.Tatsächlich existierten beispielsweise von den Gentechnik-Kartoffeln der BASF (Amflora), um die es bei dem Streit unter anderem und aktuell geht, sogar Versionen ohne Antibiotikaresistenz, die allerdings vor Jahren nicht ausgewählt und angemeldet wurden. Man sollte zudem erwähnen, dass die einschlägige Freisetzungsrichtlinie der Europäischen Union schon seit Jahren den Einsatz von Antibiotikaresistenz-Genen ausschließt; dafür allerdings Ausnahmen zulässt.
Die beiden Abweichler, die nun für mehr Vorsorge plädierten, sind Mitglieder des Ausschusses für biologische Gefahren, der sich mit Lebensmittelsicherheit befasst. Die Mitglieder des Ausschusses für genetisch veränderte Organismen hatten dagegen keine Bedenken. Sie verkündeten deshalb auch unverzüglich, dass sie ihre bisherigen, durchweg positiven Risikobewertungen der betroffenen Gentechnik-Produkte bestätigt sähen und aufrecht erhalten.
Wer sich noch tiefer in die Materie einarbeiten will, kann hier die Zusammenfassung und hier das ganze Dokument samt Minderheitsmeinung lesen.
Interessenskonflikte?
Am gleichen Tag, an dem die EFSA diese erstmals kontroverse Stellungnahme der beiden Ausschüsse bekannt gab, verkündete sie auch die routinemässige Neubesetzung des Gentechnik-Ausschusses. Eine der profiliertesten Figuren des Gremiums, Joachim Schiemann, Leiter der Gentechnikabteilung des Julius-Kühn-Institut (ehemals BBA), wird dem Ausschuss nicht weiter angehören. Schiemann kann man, ohne ihm zu nahe zu treten, wohl als den umtriebigsten Gentechnik-Aktivisten der Republik bezeichnen. Der kürzlich von den Grünen veröffentlichter Bericht Kontrolle oder Kollaboration? Agro-Gentechnik und die Rolle der Behörden erwähnt ihn 81mal und kann nur noch grafisch das ganze Netz seiner Projekte und Verstrickungen darstellen. Schiemann sagte auf der Leib- und Magenwebseite dieses Netzes, biosicherheit.de, auf der von den möglichen Interessenskonflikten die Rede ist: „Ich bedauere die Entscheidung der EFSA-Hierarchie sehr, ich hätte gerne für weitere drei Jahre dort mitgearbeitet.“
Die Arbeit wird ihm auch ohne diesen Posten kaum ausgehen. Schon am 29. Juni präsentiert er in Berlin als Leiter des von der EU und dem Forschungsminsiterium geförderten Kommunikations-Projektes „biosafeNet“, Präsident der International Society for Biosafety Research und Mitglied des internationalen Gentechniklobby-Vereins PRRI gemeinsam mit der Gentechnik-Agentur Genius der Presse und Öffentlichkeit die Erkenntnisse der Biosicherheitsforschung. Wir tippen mal auf „alles palletti, bis auf irrationale Ängste der Bevölkerung“.
Deutschland bleibt trotzdem in dem Gentechnik-Ausschuss der EFSA besser als jedes andere Mitgliedsland vertreten. Neben Schiemanns langjährigem Partner in vielen seiner Netzwerke, Prof. Detlef Bartsch vom Bundesamt vom Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (43 Einträge bei den Grünen) sind Dr. Annette Pöting vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Prof. Flachowsky vom Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit und Prof. Christoph Tebbe von der Bundesforschungsanstalt für ländliche Räume hinzugekommen, denen zumindest kein vergleichbares Sendungsbewußtsein zu unterstellen ist.