Zum letzten Mal, bevor sich die neue Regierung bildet und eine neue EU-Kom-mission das Ruder in Brüssel übernehmen wird, war sich heute der Agrar-Ministerrat nochmal herzlich uneins über die Zulassung neuer gentechnisch veränderter Produkte aus den USA. Weil dort keine 2/3 Mehrheit für oder gegen die Zulassung von drei (nicht wirklich) neuen Gentech-Maissorten von Monsanto und DuPont zustande kam, kann jetzt die Kommission frei darüber entscheiden – wenn sie kann.Marianne Fischer-Boel hat es diesmal sichtlich eilig. Die scheidende Agrarkommissarin steht unter massivem Druck der Futtermittel-Industrie. Weil in letzter Zeit Spuren von nicht zugelassenen Gentechniksorten in den Lieferungen aus den USA aufgetaucht waren mußten ein paar 40.000 Tonnen-Frachter wieder nach Hause geschickt werden (bzw. in Länder, die es mit der Gentechnik nicht so genau nehmen). Eine Lösung für dieses Problem, die sie seit Monaten propagiert, wird sich wohl so schnell nicht realisieren lassen: Einfach ein Bisschen illegale Gentechnik im Futtermittel zulassen. Dafür macht die Gentechnikbranchen zusammen mit Bauernverbänden und der Futtermittel-Mischer der EU seit einem Jahr Stimmung.Die „Null-Toleranz“ müsse weg, sonst ginge Europas Billig-Schweinen und -Hähnchenbrüsten demnächst das Futter aus.
Die Alternative dazu ist, die bisher nicht zugelassenen Gentechnik-Konstrukte als Futter- und Lebensmittel eben einfach zuzulassen. V.a. der heute nicht durchgewunkene Mon 88017 von Monsanto (er hat keine neuen Eigenschaften, sondern nur die alte Resistenz gegen das Herbizid „Roundup“ und die „Bt“-Giftigkeit gegen Insekten in einem) war bei Proben (vor allem auch in Sojabohnenlieferungen) in der Vergangenheit immer wieder gefunden und moniert worden.
Jetzt fragt sich, ob die alte EU-Kommission sich noch dazu durchringen kann, die Zulassungsentscheidung zu treffen bevor sie die das Licht ausmacht. Umweltkommissar Stavros Dimas, der ebenfalls wohl scheidende Gegenspieler von Frau Fischer-Boel, könnte ihr zum Abschied noch einen letzten kleinen Strich durch die Rechnung machen. Der konservative Grieche, dem die Gentechnik grundsätzlich suspekt ist, hatte sich in den letzten Jahren als Meister der Verhinderung durch Verzögerung erwiesen.
Entsprechend massiv wird der Druck der Industrie, anderer EU-Kommissionen (einschließlich des bereits designierten Präsidenten Barroso und seiner im Kabinett dafür zuständigen resoluten Gentechnikfreundin Catherine Day) und einiger Mitgliedsstaaten sein, den neuen Umwelt-Kommissar auf eine gentechnikfreundlichere Linie einzuschwören bzw. auch nach diesem Kriterium auszuwählen. Sozialdemokraten wie Margot Walström erwiesen sich in dieser Hinsicht in der Vergangenheit politisch formbarer und könnten Gentechnik-Willigkeit möglicherweise gegen Zugeständnisse in der Klima- oder auch konventionellen Gift-Fragen handeln.
Deutschland hatte sich heute bei der Abstimmung über die drei Gentechniksorten noch einmal enthalten. Das dürfte sich unter schwarz-gelb zügig ändern. So knifflig der Streit um den Anbau hier in Deutschland noch sein mag: In Europa, wo auch Bayern der Regierung kaum auf die Finger schauen, stehen die Zeichen auf Durchmarsch: Alles zulassen was Beine hat, dürfte hier die neue Regierungslinie werden. Das wird die Mehrheitsverhältnisse in Brüssel wanken lassen. Bisher war dort noch nie eine 2/3 Mehrheit für die Zulassung eines GVO zustande gekommen. Zwar ist eine Enthaltung unterm Strich so gut bzw. schlecht wie eine Zustimmung, denn nur 2/3 gegen die Zulassung könnten diese tatsächlich verhindern. Aber der EU-Kommission, die sich in der Rolle des Entscheiders gegen die (wenn auch nur einfache) Mehrheit der Ländern nicht wohl und vor allem schlecht legitimiert fühlt, wäre endlich mal eine „saubere“ Zulassung sicherlich ein innerer Reichsparteitag und würde sie künftig zu forscherem Zulassungstempo ermutigen.
Auf die gentechnikfreie Landwirtschaft kommen im nächsten Jahr härtere Zeiten in Brüssel und Berlin zu.