„Aus der Pollerforschung,“ schreibt der Photograph Peter Grosse zu diesem Photo eines japanischen Hinweisschildes, das der Herstellung eines friedlichen Miteinanders von Rauchern und Nichtrauchern dient.
taz: Herr Wroblewsky, Sie haben kürzlich Ihren Briefwechsel mit dem Kreuzberger Bezirksamt wegen des Rauchverbots in Ihrem „Café Jenseits“ als Buch veröffentlicht. Finden Sie die Bürokratie lustig?
Clement de Wroblewsky: Nein, die Bürokratie ist etwas Mühseliges. Wenn ich aber innerhalb von sechs Wochen vom Ordnungsamt fünf Bußgeldverfahren übergebraten bekomme, bleibt einem nur Galgenhumor. Existenzielle Bedrohungen sind nicht lustig. Und das war hier, nach dem Karlsruher Urteil über die Rauchergaststätten, der Fall. Die Senatsverwaltung hat hartnäckig versucht, das Urteil umzufrisieren, Kellner, Gäste und Wirte in Haftung zu nehmen, und ich durfte monatelang Einspruch auf Einspruch an das Amt schreiben. Das endete in einem Schlagabtausch, der grotesk, literaturwürdig und über weite Strecken erheiternd ist. Man kann bitter, man kann auch lustig dazu sagen. Von einem Goliath erwartet man kaum eine intellektuelle Leistung, von einem David schon. Der muss Witz haben.
Sie hätten das Café doch einfach als Rauchercafé weiterbetreiben können …
Ja, aber eben nur unter den restriktiven Bedingungen, die das Stadtparlament nachträglich beschloss, um die eigene gesetzeswidrige Situation zu heilen. Niemand kann erklären, warum es in den übriggebliebenen Raucherkneipen null Komma null zu essen geben darf. Das ist vielleicht ein Lacher, das Gesetzeswerk dazu aber ist ein Brüller, das geht weit über die Realsatire hinaus und hat mit gehaltvoller Gastronomie kaum noch was zu tun.
Und das wollten Sie mit Ihrem Buch öffentlich machen?
Das Buch ist eine Dokumentation, wie Verwaltung hier funktioniert: nämlich inkompetent und gestaltend zugleich. Ein Staat im Staate, undemokratisch, aber mit einem ungeheuren Erziehungsimpetus, der nur von der eigenen Empörung getragen wird. Und das hat einen makabren, einmaligen Humorwert.
Sie haben das Café Jenseits Ende 2009 geschlossen. Wegen des Rauchverbots?
Auch. Eines Tages fuhren zwei 25-jährige, schwarz beanzugte Jüngelchen in einer schwarzen Limousine vor, stiegen aus und überreichten mir schwarze Visitenkarten mit Goldaufdruck. Das waren die Repräsentanten der neuen Eigentümer des Hauses. Sie fragten mich: „Herr Wroblewsky, wie stellen Sie sich die Zukunft vor?“ Ich antwortete: „Na, so wie jetzt. Ist doch alles prima hier.“ Aber die Herren hatten offensichtlich andere Pläne mit dem Haus. Sie erhöhten die Miete um mehr als 100 Prozent. Ich versuchte zu verhandeln, schließlich habe ich in all den Jahren immer pünktlich meine Miete bezahlt, mein Café hatte Bestand. Aber das interessierte die alles nicht.
Was hat das Café Jenseits eigentlich für eine Geschichte?
Mein Café war nach dem Krieg „Toddy’s Eisladen“. Der war während der Hausbesetzerzeit zu schickimicki. Toddy wurde bekämpft – und bekam vom Senat einen neuen Laden neben dem Steglitzer Bierpinsel. Ihm gehörte auch das Haus, 22 Jahre habe ich da Ruhe gehabt. Seine Spiegelpalme, alles habe ich so gelassen, wie es 1946 von Herrn Schulz alias Toddy eingerichtet worden war. Ich habe das immer als Dorfkneipe betrachtet, als ich den Laden am 1. Mai 1987 übernahm – von einem jungen Türken, Abdulkerim Gündogdu. Den Abstand, den ich ihm dafür zahlen musste, hatte ich mit meinem Buch „Wo wir sind, ist vorn. Der politische Witz in der DDR“ verdient. Ich beschreibe darin unter anderem das Café „Espresso“ im Lindenkorso Friedrichstraße Ecke Unter den Linden – und ziehe Vergleiche zu einigen Cafés in den Zwanzigerjahren wie das „Romanische Café“. Diese Orte waren sublimierte ideologische Aussagen ihrer jeweiligen Zeit.
War das Café Jenseits auch so eine lokale Verdichtung des Zeitgeistes?
Auch im „Jenseits“ verkehrten Autoren, Maler, Komponisten, Intellektuelle, die dort ihren Arbeitsplatz hatten und teilweise schon fast zum Inventar gehörten. Wie zum Beispiel die junge norwegische Autorin Marianne Kielland oder der Berliner Historiker Richard Hess und viele andere. Man lebt da und ist Teil einer Geschichte, ist sich aber dessen nicht bewusst, weil man zu sehr drinsteckt. Im Westberliner „Jenseits“ war jedoch eine andere Situation als im Ostberliner „Espresso“. Das waren dort Leute, die mitten im Leben standen – gestandene Leute. Hier im Jenseits haben wir fast nur vakante Intellektuelle gehabt. Also Leute, die sofort als Lektoren oder sonst was arbeiten könnten, mit denen die Gesellschaft jedoch nichts anzufangen weiß. Man muss aber dazu sagen, dass die Intelligenzia in der DDR ständig ungebetenerweise Dinge produziert hat, die die Gesellschaft auch nicht unbedingt haben wollte.
Poller-Ensemble am Heinrichplatz vor dem „Café Jenseits“
Im „Jenseits“ wurde viel über Religionsgeschichte geredet, interessiert Sie das besonders?
Meine Mutter ist 1919 aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten. Das war ihr alles zu mittelalterlich, und die Schrecken des Ersten Weltkriegs hatten sie ein anderes Denken gelehrt. Sie ist später in die KP eingetreten und 1950 von Paris aus mit mir und meinem Bruder nach Ostberlin gezogen. Die DDR hat sie dann enttäuscht. Sich als Atheist mit Religion zu beschäftigen, ist nicht das Schlechteste, was man tun kann. Ich habe mich über Ostern gerade wieder mit der Thora beschäftigt. Ich versuche bestimmte Dinge rauszukriegen, die die Bibelforschung mir übriggelassen hat. Im Übrigen hatte ich auch einige Gäste, die das mit der Religionsgeschichte noch forciert haben. Wir haben aber oft auch hochsatirisch Presseschau veranstaltet und die Zeitläufte durchgehechelt.
Hat der Name des Café Jenseits etwas mit dem Religionsinteresse zu tun?
Für Juden gibt es kein Jenseits. Abdulkerim Gündogdu hatte den Laden von seinem Vater spendiert bekommen, und der wollte, dass er „Paradies“ heißt – damit sein Vater sich freut. Irgendwer hat ihm das türkische Wort für „Paradies“ ins Deutsche übersetzt mit „Jenseits“. Und weil ich nach Zahlung der Abstandssumme kein Geld mehr hatte, um auch noch den Namen zu ändern, ist es dabei geblieben.
Sie waren aber nicht immer Wirt, oder?
Ich habe von früh an auf der Bühne gestanden. In der DDR war ich zunächst Musiker, habe Sänger mit Gitarre begleitet, und dann als „Clown Clemil“ gearbeitet. Geschminkt, wir waren sehr traditionsbewusst, deswegen keine Pappnase. Meine Kollegin, Anke Gerber, das Ankeblümli genannt, war Balletttänzerin und Pantomimin, und Helga, meine damalige Frau, Sängerin. Als „Clemils Clown Circus“ machten wir zusammen auch literarisches Kabarett.
War das auch ein politisches Kabarett?
Das war nur politisch. Unsere kleine Truppe wurde jedoch 1983 kaltgestellt. Es kam heraus, dass wir in der DDR nie wieder hätten arbeiten können. Bis dahin hatten wir viele Radio-Musiksendungen und die Fernsehserie „Clemils Clowns Circus“ gemacht, und zwar sehr erfolgreich. All das wurde gelöscht. Wir haben schließlich als Gruppe einen Ausreiseantrag gestellt. Abgelehnt. Ich habe dann eine Verfassungsklage gegen Honecker eingereicht. Ich stamme aus einer berühmten Familie, die in Frankreich einige Bedeutung hat. Ein Vorfahre von mir war General in der Pariser Kommune, meine Eltern waren Widerstandskämpfer. Wir gehörten also quasi zur linken Elite. Auch meine Mutter schrieb an Honecker. Zwei Tage später bin ich dann von einem Tag auf den anderen aus der DDR rausgeschmissen worden.
Als „IM Ernst“ sollen Sie Berichte über Udo Lindenberg verfasst haben.
Ich war 1983 bei Lindenbergs Konzert im Palast der Republik, die Eintrittskarte hatte ich von ihm selbst bekommen und nicht etwa von der Stasi, wie dann später behauptet wurde. Alles, was ich denen über Udo Lindenberg erzählt habe, war Blabla. In dem Milieu, in dem wir verkehrten, hatten wir, ganz im Gegensatz zu dem, was man im Westen so glaubt, keine Angst und auch keinen Respekt vor der Stasi. Ich hatte sogar meine Kollegen detailliert über diese von der Stasi gesuchte Verbindung informiert. Die Stasi, die versucht hat, mit mir ein doppeltes Spiel zu spielen, hat mit uns, das heißt mit der ganzen Gruppe, durchaus Unzucht mit Abhängigen getrieben. Unser sozialer Untergang war schon längst beschlossen, und die gingen allen Ernstes davon aus, ich würde ihnen irgendwelche relevanten Informationen liefern.
Mit dem literarischen Kabarett sind Sie nicht nur in der DDR aufgetreten.
Wir waren in 22 Ländern, in Schweden, Frankreich, allein insgesamt anderthalb Jahre in der Schweiz, in Kasachstan und Kirgisien. In Taschkent sollten wir bei vier Grad auftreten, die zentrale Heizung der gesamten Stadt war kaputt. In der DDR hatten wir, das heißt die Gewerkschaft Kunst – Gruppe Artistik, eine Mindestauftrittstemperatur von 16 Grad durchgesetzt gehabt. Wir sind dann aber trotzdem in Taschkent aufgetreten. In Tblissi kam es während der Aufführungen zu Schlägereien im Publikum. Engagiert hatte uns dort die staatliche sowjetische Konzertagentur – und viele Georgier wollten keine Kultur aus Moskau, schon gar nicht aus der DDR. Ähnlich war es 1968 in der Tschechoslowakei, der Studentenclub der Humboldt-Universität hatte uns zu einem Auftritt im Prager Studentenclub mitgenommen, das war noch vor den Panzern. Aber die Studenten wollten auch da schon nichts von uns wissen, wir waren Stalinisten für die. Hinzu kam: Alle Länder rings um Deutschland konnten die Nazizeit nicht vergessen. Unsere Sängerin, Helga, meine damalige Frau, hatte sich jedoch zuvor am Fuß verletzt und trat mit Krücke auf. Da hatte das Publikum Mitleid mit uns. Wir empfanden die Tschechen damals als arm und bedrückt, sie fühlten sich von der Geschichte schlecht behandelt, wie zwischen die Mahlsteine der Geschichte gekommen. Ähnlich deprimierend war es in Polen.
Multifunktionspoller (Verkehrsabweiser plus Aschenbecher) in einer Budapester Amüsiermeile.
Gab es einen Unterschied zwischen dem Publikum in Ost und West?
Also historisch ist es so, dass im Zirkus meist drei Entree-Clowns auftreten: der August, der Weißclown und der Stallmeister. Deren Hierarchie entsprach früher in der Landwirtschaft der Hierarchie von Landarbeiter, Verwalter und Gutsbesitzer. In der Lebenserfahrung des städtischen Publikums waren das Fabrikarbeiter, Meister und Fabrikant. Im DDR-Kinderfernsehen waren wir zu viert: drei Clowns und eine Märchenfigur, die Tuba geblasen hat und sehr naiv war. Die Kinder mochten sie. Sie waren im Studio mit dabei – das waren Live-Aufzeichnungen. Im Westen war das dann anders: Das Kinderpublikum begann hier langsam, sich gegen uns zu verwirklichen. Die „Kids“, wie man damals schon Neudeutsch sagte, waren immer weniger in der Lage, etwas aufzunehmen, das für sie produziert wurde. Sie kannten immer weniger die normalen Konventionen eines Bühnengeschehens, dass also zur Rezeptionsfähigkeit eines Spektakels Erwartung und Konzentration gehören. Es gab jedoch schon damals Schüler, mit denen die Lehrer einfach nicht mehr klarkamen. Und es waren auch schon Kinder dabei, die kaum Deutsch konnten – und nichts verstanden und nicht mehr willens waren, irgendeine Konvention einzugehen. Das ist jetzt 24 Jahre her.
Statt mit Kindern arbeiten Sie nun mit Spatzen.
Das kann man so sagen. Am Heinrichplatz füttere ich sie seit 1995 täglich. Es gibt da in der Mitte einen Baum, eine Flatterulme, den die Spatzen sehr mögen, weil er so dicht wie ein Gebüsch ist, und dann gab es an meinem Café bis zur Renovierung im vergangenen Jahr noch eine Rankpflanze, einen Knöterich, in dem sie sich ebenfalls gern aufhielten. Meine Freundin Katrin und ich, wir wohnen in Schöneweide, und da erforsche ich nun die Spatzen seit 2005 systematisch. Ich habe da einen großen Futterplatz für sie gebaut, aber nicht nur für sie, auch für Elstern, Grünfinken und einige Meisenarten. Die Elstern kriegen Katzenfutter und die Spatzen Hirsekolben von mir. Der Spatzenhorde hat sich einmal auch ein Kanarienvogel angeschlossen. Je mehr die Spatzen gefüttert werden und je mehr sie einer stabilen Ernährungssituation vertrauen, desto öfter brüten sie im Jahr. Sie haben ihre festen Zeiten: In Schöneweide streue ich schon nachts Sonnenblumenkerne. Am Heinrichplatz sahen sie mich schon, wenn ich aus dem Auto stieg. Um 16.45 Uhr, haben wir uns geeinigt, kam ich, um sie dort zu füttern. Aber bereits um 10 Uhr tapperten sie in den Laden, um zu sehen, ob es schon was gibt. Abends, bis zum Einbruch der Dunkelheit, hüpften sie dann noch einmal kurz herein und reklamierten einen Nachschlag.
Was wird jetzt wohl mit dem Café Jenseits passieren?
Die Schickimicki-Jungs haben das Haus gekauft, die Fassade gestrichen und den Knöterich umgehauen, aber der Laden steht nach wie vor leer, sie wollen zu viel Miete. Kürzlich haben einige Linke ihn besetzt und darin einen Umsonstladen eingerichtet, die Polizei hat sie aber mit Gewalt rausgeschmissen. Eine Woche später haben sie dann da demonstriert. Fand ich toll: So ein kleines Café und neun Polizeiwannen davor.
(Das Interview führten Nina Apin und Helmut Höge)
„Schiffbruch mit Poller“, zur Illustration eines fast gleichnamigen Buches von Hans Blumenberg. Photo: Peter Grosse