vonlottmann 10.06.2009

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Es gibt seit einiger Zeit so eine neue Instanz beziehungsweise Organisation, die mit Hilfe wohl neuester technischer und vor allem digitaler Methoden ermittelt, wie viele Freunde man hat, und die den Namen ‘Facebook’ trägt. Davon hört man jetzt immer häufiger. Ich selbst habe vor ungefähr zwölf Monaten davon zum erstenmal gehört, und vor einem halben Jahr dann, noch 2008, hat mich ein Familienangehöriger dort angemeldet, nämlich mein älterer Bruder, der auch in den Printmedien tätig ist (er schreibt, aber nur nebenberuflich). Jedenfalls war ich dann Kunde von ‘Facebook’, wußte aber mein Passwort nicht und verstand die ganze Geschichte auch nicht, also allein schon technisch. Wie wollten die Mitarbeiter von denen herausbekommen, wer mit mir befreundet war? Aber ich glaube, sie schafften das ganz gut, auf lange Sicht. Nach mehreren Monaten kam die Meldung, daß ich KEINE Freunde hätte. Im April 2009 schrieb mir – via ‘Facebook’ – der asiatische Schriftsteller Christian Y. Schmidt in ähnlicher Weise: “Joachim, Du hast keine Freunde. Aber Du KÖNNTEST womöglich einen haben, und sogar in Peking, nämlich mich…” Er deutete dann an, was ich dafür tun müsse, und ich überlegte es mir. Peking? So weit weg? Ich zögerte, leider. Denn nun passierte ein Vierteljahr wieder gar nichts mehr. Ich registrierte nur, daß andere Kunden von ‘Facebook’, etwa Maxim Biller oder Carlotta Klein, sehr wohl Freunde hatten, die Frauen meist mehrere auf einmal.
Ende Mai 2009 bekam ich das erhoffte Schreiben. Der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Claudius Seidel* fragte mich in aller Form, ob er mein Freund werden dürfe. Ich überlegte da nicht lange, wußte aber nicht, was nun zu geschehen sei. Klar wollte ich gern einen Freund haben. Wie oft mußte man sich dann treffen, und worüber sprach man? Ich sagte also zu, und wir verabredeten uns an der Neuen Wache in Berlin, Unter den Linden. Es regnete, aber ich hatte einen Schirm dabei. Es war wirklich sehr nett, muß ich sagen. Wir gingen einfach geradeaus in Richtung Brandenburger Tor, noch weiter, aber nicht zum Reichstag, sondern Speers Ostwestachse entlang, etwa 100 Meter, bis wir lieber umkehrten. Hier wurde die Straße etwas reizarm, und den aufgestellten Panzer kannten wir schon. Also gingen wir denselben Weg wieder zurück, bis zum Dom, gingen in den heinein und beteten. Der Feuilletonchef meinte, er sei Atheist, wolle aber die Rituale des Ortes akzeptieren. Wieder draußen, machte er mit seinem teuren Handy Bilder von mir, die er mir später – via ‘Facebook – zuschickte, und die ich gern hier den taz-Lesern zeige (siehe Fotos). Ich brachte meinen neuen Freund noch zu seiner Redaktion in der Mittelstraße, denn ich hatte mein Auto unweit des Berliner Doms abgestellt. So wie ich sein teures Handy (3,8 Millionen Pixel) bewunderte, so er mein neues japanisches Kompaktauto.
Das hat also ziemlich gut geklappt. Ich weiß allerdings immer noch nicht, wie die ‘Facebook’-Leute ermittelt hatten, daß ich keine Freunde habe oder hatte. Ob sie sich ein bißchen umgehört hatten? Wahrscheinlich.
Inzwischen, es ist Mitte Juni 2009, haben sich, wohl dem Beispiel von Claudius Seidl folgend (unsere vollzogene Freundschaft wurde in ‘Facebook’ feierlich bekanntgegeben), weitere Männer und Frauen gemeldet, die ebenfalls behaupten, sie strebten eine Verbindung mit mir an, ja, sie seien FREUNDE von mir, im Geiste schon lange, ich müsse es nur bestätigen. Das tue ich dann natürlich immer sofort, was für eine Ehre, überschwenglich stimme ich zu, nach dieser schönen Erfahrung zögere ich nicht mehr länger, und fast ist es mir schon eine gewisse Routine geworden…
Super, oder?



* (Name geändert. Der Blogwart.)

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