vonDaniel Erk 01.03.2010

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Es gibt, zumindest aus einer eher oberflächlichen Betrachtung, natürlich geschicktere Orte als ausgerechnet ein „Hitlerblog“, um den weiter um sich greifenden Hitler-Fetischismus anzuprangern.

Bevor genau dies aber in wenigen Sätzen nichtsdestotrotz geschehen soll, einige Anmerkungen in eigener Sache (die Sie getrost auslassen können, wenn Sie nur an den aktuellen „News“ interessiert sind): Als dieses Projekt hier vor mehr als 3½ Jahren seine Grundformen annahm, da gab es weder ein wirkliches Konzept noch eine wie auch immer geartete Theorie hinter diesem Blog. Es gab lediglich die Beobachtung, dass der Umgang mit Adolf Hitler, der NSDAP, dem Dritten Reich und dem Holocaust auch 60 Jahre nach deren Ende ein komplexe, Komplex behaftetes und – freiwillig wie unfreiwillig – in einer eher eigenartigen Art von Witz und Humor resultierte. Dieser Witz bestand entweder darin, sich wie die Vertreter der Neuen Frankfurter Schule, also der Titanic etc., über die Gleichzeitigkeit von Samthandschuhen, Tabuisierung und düsterer Faszination zu belustigten. Beispiele fanden und finden sich bis heute im Dutzend. Über die Zeit zeigten sich Muster und Kategorien, in welche die Fundstücke eingeordnet werden konnten; allerdings so komplexe, dass die hiesigen Rubriken bis heute nicht mehr als sehr grobe Himmelsrichtungen angeben.

Seitdem hat sich wirklich viel verändert. Hitler et al. sind als Thema immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, sei es in der Werbung, im Humor (wobei sowohl Harald Schmidt sowie Dani Levys leider eher nicht komischer Film hier Sonderrollen einnehmen), in der Politik (Stichwort Herta Däubler-Gmelin) und in den Medien sowieso.

Nun sollte man vermuten, dass eine leichthändiger Umgang mit dem Dritten Reich, mit seinen Verbrechen und Verbrechern, auch immer leichtsinnig sein müsse – und eine im Auftreten seriöse und ernsthafte Herangehensweise sofort richtig, aufklärerisch und gut wäre. Mir scheint, dass genau dies nicht der Fall ist – und am Beispiel der aktuellen Titelgeschichte „Hitlers Verwandte“ des österreichischen Magazin „News“ kann man fast exemplarisch darlegen weshalb und inwiefern.

Nun ist es kein Novum, dass die bislang auch „Boulevard“ genannte Knallpresse nicht von der Moral, sondern vom zum Fressen vorwerfen lebt. Vielleicht auch noch von der Lautstärke. Hier also gräbt ein österreichisches Bumsblatt eine faktisch zwei Jahre alte Meldung aus, macht ein irrsinnige Bohai und verkauft die alten Neuigkeiten in neuen Kleidern. Zur Rekapitulation: Wie der FAZ, dem Berliner Kurier und Bildblog zu entnehmen ist, hat diese Geschichte einen Bart, der deutlich über das hinaus geht, was man im Zusammenhang mit Adolf Hitler erwarten würde.

Sie geht im Groben so: Um herauszufinden, was an den Legenden um Hitlers Vaterschaft dran ist, hatte der Journalist Jean-Pierre Mulders behauptet, habe er DNA-Test von diversen der Verwandtschaft zu Hitler Verdächtigten ermittelt und überprüft und in der belgischen Zeitung „Het Laatste Nieuws“ das Ergebnis veröffentlicht. Darunter fanden sich die mit Hitler offenbar nue weitläufig verwandten Österreicher Andreas und Walter Hüttler. Das war 2008. Die Geschichte wurde im Frühjahr 2009 vom Berliner Kurier neu aufgelegt und von Bild.de, bazonline.ch, oe24.at und anderen Knallblättern im September des letzten Jahres. So weit, so banal.

Dass sich der „News“-Reporter David Pesendorfer nun tatsächlich vor eine Kamera setzt und nicht nur diesen alten Wein als heißen Scheiß anpreist, sondern auch noch seine eigene „journalistische Integrität“ anpreist – das ist schon ein Teufelsstück, aber nur am Rande Thema. Und natürlich entblödeten sich „Bild“ und „20 Minuten“ nicht, diesen Schwachsinn nochmals zu veröffentlichen.

Interessanter ist an dieser Stelle nämlich, warum aus dieser alten Fliege plötzlich ein Elefant wurde. Es ist ganz einfach: Hitler sells. Ich nehme mir immer wieder vor, beim „Spiegel“ anzurufen und zu fragen, ob Hitler-Ausgaben statistisch besser verkaufen – ich vermute, ganz ohne Beleg, bloß aus dem Bauchgefühl: ja. Und da kommt nun ein Faktor in die mediale Aufbereitung, die nichts mehr mit Humor oder Ernsthaftigkeit zu tun hat. Es ist ein fast vergessener Bekannter, das aufklärerische Interesse.

Das nämlich ist deutlich häufiger in der Titanic zu finden, die mit ihren gemeinen Witzen über Hitler und die Deutschen ohne Umwege den Finger in die Wunden der Doppelmoral von Medien und Gesellschaft legt. Auch wenn der „Spiegel“ mit seinen sehr gut recherchierten und sehr gut geschriebenen Hitler-Himmler-Eva-Braun-Titelgeschichten journalistisch nichts mit dem Bumsblatt „News“ am Hut hat, es ist ein ähnlicher Effekt, der sich da wiederfindet. Und bei allem Respekt: Er hat mit einem ernsthaften Interesse an der Materie so wenig zu tun wie eine zahnärztliche Promotion über die Mundhygiene Adolf Hitlers.

Ian Kershew sagte der FAZ zur obigen Causa: „Es ist, wie auch immer, schwer zu erkennen, wie dies beitragen könnte zu einem besseren Verständnis der dramatischen Geschichte von Hitlers Aufstieg zur Macht in Deutschland, der Ausweitung seiner Macht über den deutschen Staat und das Volk, sowie der Expansion, des Kriegs, des brutalen Kriegs und des Völkermords, mit denen sein Name für immer unauslöschlich verbunden sein wird.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

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