vonlottmann 03.12.2008

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Jetzt, nach drei Tagen, muß man konstatieren: das ist ja total enttäuschend. Das Beste ist noch immer das Grußwort von Oliver Pocher, ja, das ist genau so, wie der ganze Blog sein könnte und sollte. Pocher sagt es selbst: es geht im Grunde um die Einlösung der Reich-Ranicki Forderung nach einer Fernsehkritik. Die einzige Fernsehkritik in Deutschland ist ja die Schmidt & Pocher Sendung, sowie, im Print Bereich, Stefan Niggemeier. Dessen ‚Bambi‘-Bericht ist dann auch das einzig Lesenswerte außer Pochers Grußwort. Aber wie wenig Mühe gibt er sich! Nach zwanzig Zeilen ist schon Schluß. Trotzdem bleiben die zwanzig Zeilen noch lange im Gedächtnis. Er erzählt sehr schön, wie verrottet das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist, das zugunsten der erbärmlichen ‚Bambi‘-Burda-Dauerwerbesendung sogar den Brennpunkt zum Terror-Massaker in Bombay ausfallen läßt. Heißt: Elke Heidenreich hatte natürlich vollkommen Recht mit ihrem Aufstand gegen die halbstaatlichen Bonzen.
Da fallen mir aber, bei Elke Heidenreich, noch zwei kleine Anmerkungen ein. Erstens: Selbst bei meinem Idol Niggemeier fällt mir auf, daß er zwar süffisant über Machtmißbrauch und Medien-Kungelei schreibt, aber die tatsächliche Scheußlichkeit (also genau die, die Reich-Ranicki am eigenen Leibe erfuhr) nicht beschreibt. Das wiederum habe ich in einigen Reportagen für die Süddeutsche Zeitung und den SPIEGEL vor zwei, drei Jahren getan. Meinen SPIEGEL-Bericht ‚Der große Charity Schwindel‘ hatte ich Elke Heidenreich, mit der ich befreundet bin, geschickt, und zwar, weil es Ärger dabei gab. Das Hamburger Nachrichtenmagazin bekam kalte Füße, es war zu deutlich, nämlich so deutlich, wie Heidenreich und Reich-Ranicki später selber wurden. Ich erhoffte mir Unterstützung von Heidenreich, die mir jedoch angewidert zurückschrieb, sie sei not amused über den Artikel, und vor allem hätte ich das Wort ‚Bob Geldof‘ falsch geschrieben.
Tja, so ist das nämlich, wenn man / frau noch auf der anderen Seite des Schreibtischs sitzt, also noch dabei ist beim großen Spiel. Jetzt, von außen, sieht es alles anders aus. (Zur Überprüfung stelle ich den Text nochmal hier ins Netz. Er erschien dann noch in derselben Woche ohne die geringsten Änderungen in der in jeder Hinsicht ehrenwerten ‚taz‘):

‚Cinema for peace award‘
DER GROSSE CHARITY SCHWINDEL
Joachim Lottmann über den Blödsinn der Preis-Verleihungen im Kulturbetrieb
Als ich zurückfuhr, spät um halb zwei, hatte ich zwei Galgenvögel im Wartburg, die Crack geraucht hatten. Erst überredeten sie mich, noch ins ‚Kitkat‘ zu fahren, einem Sado-Maso-Club am Ende der Stadt. Das wirre, aggressive Geschnatter des einen, und vor allem sein häßliches, stoßweises Lachen setzte mir so zu, daß ich anhielt und die beiden Verbrecher aus dem Auto zerrte. Sie ließen es geschehen, waren überrascht. Die Ampel schlug um auf Rot, ich trat das Gas durch, der Blechhaufen schoß nach vorn. Hinter mir war ein Polizeiauto, das mich sofort an den Rand drängte und mir den Führerschein abnahm.
So endete der Abend. Er begann mit dem Brüllen der Fotografen beim Eintreffen der ‚Prominenten‘. Für mich war das alles neu, denn eine Charity Gala zu besuchen paßte zu meiner linken Sozialisation so wenig wie Swinger Fuck und Houellebecq-Lesen zum bayerischen Ministerpräsidenten. Dachte ich. Aber längst haben sich alle Fronten verdreht. Das Klischee sei trotzdem nochmal skizziert: der Feind, das war für mich, als ich 17 war, Ute Ohoven, die ‚Queen of Charity‘. Das war für mich Amerika, dieses Land, das den Planeten ruinierte und von einer Schicht skrupelloser Fettsäcke regiert wurde, die sich auf Wohltätigkeits-Galas selbst feierten, mitsamt ihren alten, faltigen, schrecklichen Ehefrauen in Abendkleidern. Ich war definitiv Europäer und setzte auf das Potential des Geistes, der zum Widerstand, zur Tat drängte. Nicht die Almosen der Reichen, die sich als Gutmenschen inszenierten, könne die Welt retten. Dachte ich.
Der Cinema for Peace Award versammelte nun nicht nur Reiche und Alte samt Gattinnen. Alt waren sie zwar, und reich auch, und ohne Gattin kam niemand. Aber das alles sagte nichts. Wie werden solche Worte dürr, wenn Bob Geldorf vor einem steht und sagt:
„Where is Stefan?“
Seine Haare sind silbern und fein geschnitten, die Haut wirkt gesund und von südafrikanischer Sonne gebräunt, und der teure dunkle Abendanzug glitzert geheimnisvoll.
„Stefan who?“
Er fixiert mich. Bin ich blöd? Stefan Aust natürlich. Bevor ich antworten kann, kommt dieser Mensch von den ‚Skorpions‘ dazwischen und textet ihn zu. Dann geht Geldorf weg, und ich stehe mit dem Geschmacks-Satan alleine da. Ich kenne Leute, die hätten sich vor zehn, zwanzig Jahren eher die Hand abgehackt, als ein Skorpions-Konzert zu besuchen. Und ich häte sie verstanden und im Krankenhaus besucht. Nun erzählt mir der Mann (Krokoleder-Jackett, gelbe Haare, Snoopy-Rennfahrerbrille) über ihr Konzert bei Gorbatschow im Kreml.
„Gorbatschow sagte uns damals, der Rock hat den Kommunismus aufgeweicht und so weiter, und so ist das auch heute, also wenn steter Tropfen den Stein höhlt…“
Er meint wohl, wenn jeder jeden Tag ein kleines bißchen mehr Gutes tut, indem er spendet, ließe sich die Zerstörung und Ausbeutung der Erde rückgängig machen. Zum Glück kommt Helmuth Karasek vorbei, einer der zehn Gerechten in dieser Ansammlung. Ich mache einen Satz auf ihn zu.
„Herr Karasek, wie kommen denn SIE hierher?“
„Wieso, ist doch eine gute Sache?“
„Letzte Woche noch diese schöne Sendung mit Reich-Ranicki im Literarischen Quartett über Heinrich Heine, und jetzt erwische ich Sie hier neben der Busenwitwe Tatjana Gsell und BILD-Luder Jenny Elvers, und auf der Bühne singt Berufs-Pornograph Rolf Eden ‚Imagine‘ von John Lennon!“
„Na, wenn’s für einen guten Zweck ist?“
„Sie halten ‚Charity‘ also für eine sinnvolle Idee…“
Ich erzählte von dem Spekulanten George Soros, der ganze Volkswirtschaften ruinierte, und dennoch als Gutmensch und Wohltäter durch die Medien spazierte, da er ab und zu ein Waisenhaus finanzierte. Karasek wurde verlegen:
„Jetzt haben Sie mich doch in eine ziemliche Zwickmühle gebracht.“
„Sehen Sie! Und die 200 Milliarden Dollar für zusätzliche Kampfjets, die niemand braucht im Zeitalter von Al Kaida, die sind – “
„Moment! Das ist ein gutes Beispiel. Kein einziger Kampfjet weniger würde gebaut, wenn die Rüstungsindustrie KEINE Dollar auf Wohltätigkeitsveranstaltungen spendete.“
Ich sagte, da gebe es sehr wohl einen Zusammenhang. Seit Jahrhunderten sei der kritische Geist die einzige Waffe gegen Machtmißbrauch und Kriegstreiberei. Spätestens seit dem Tsunami-Spendenwahnsinn sei das kritische und kreative Potential der Menschheit aber in der trüben Suppe des Gutmenschentums versunken. Die Folgen seien verheerend, vor allem für Künstler, die diese Bezeichnung noch verdienten…
Wir diskutierten lebhaft. Schließlich sah Karasek sich um, nickte mir beschämt zu. Minuten später war er gegangen.
Die Tafel war vom Feinsten. Soviel Prunk und fünf-Sterne-Küche war selbst für eine europäische Hauptstadt außergewöhnlich. Unter 14 haushohen Kronleuchtern mit je 100 Kerzen verspeisten die Parvenues und ‚Neuen Bürgerlichen‘ des Landes einen Großteil der Spendengelder, die doch angeblich Millionen Kinder vor dem Hungertod retten sollten. Es waren gar nicht einmal alte Leute, die hier den feinen Herr mit Begleitung gaben, gar nicht diese Grosz-Karikaturen und Klischee-Bonzen alter Elite-Herrlichkeit, sondern eine Art Pop-sozialisierter Mittelbau. Leute, die ‚Rock‘ oder auch ‚Rock-Kultur‘ im Kopf hatten und sich für jung hielten, für unspießig, für ‚locker‘. Und natürlich für revolutionär, weil sie das Gutsein zur „größten Bürgerrechtsbewegung aller Zeiten“ gemacht hatten, wie ein Filmchen zwischen den Performances behauptete. Sie glaubten allen Ernstes, Bob Geldorf sei ein Popstar.
Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich spaßeshalber die zur Zeit besten 20 Popgruppen auflistete und mir überlegte, ob auch nur ein einziger Musiker davon hier auftauchen könne. Pete Doherty und Baby Shambles? Maximo Park? Kaiser Thief? The Strokes? Arctic Monkees? Block Party, Razorlight, Al Green? Niemand! Selbst von den deutschen Stars mied jeder, der noch nicht völlig out war, den Benefiz-Schwindel. Tokio Hotel neben Marie Luise Marjahn beim candle light dinner – niemals! Auch nicht Harald Schmidt im intimen Plausch mit Bärbel Schäfer. DIE moderierte nämlich den Abend. Und die angekündigten Superstars, die all die betuchten Spießer anlocken mußten – kamen natürlich nicht. Wie immer. Richard Gere – kam nicht. George Clooney – kam nicht. Das alte Spiel. Wer fiel darauf nur noch rein? Und dann die immer und ewig gleiche peinliche Oscar-Verleihung-Imitation, mit George-Lucas-Fanfaren und Star-Wars-Gedröhn. Mit englischen Ansagen vom Tonband. Mit zu Tränen gerührten Preisträgern, die ihren Managern, Produzenten, dem Team, den Eltern und so weiter danken. Und deren Stimme dann plötzlich fest und männlich wird, wenn es ums Thema ‚Gutes tun‘ geht: mit Tremolo-Stimme und von sich selbst überwältigt, dabei dunkel ahnungsvoll wie Joacqin Phoenix in ‚Walk the Line‘ spricht Preisträger Richard Curtis Worte wie crying children… social responsibility… deeply thankful… great honour… do something for others… et cetera. Wer ist dieser Mann? Ein Verwandter von Tony Curtis? Wofür wird er geehrt? Egal.
Eine Tibeterin im Himalaya-Trachtenkleid singt Folklore, wahrscheinlich irgend ein Friedenslied aus dem alten Tibet. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn auch mal Hansi Hinterseer im Gegenzug auf der Veranstaltung in Los Angeles deutsches Liedgut für den Frieden schmachten dürfte, in Sepplhosen wie alle Deutschen. Da wäre das Ausland doch sicher auch gerührt.
Ich renne wieder in den umtriebigen Bob Geldorf hinein, der mich sogar wiedererkennt und wenig freundlich ansieht, fragend. Was soll ich sagen?
„Don’t know where ‚Stefan‘ is tonight!“ sage ich schließlich.
„Tell him: Cinema for Peace is ‚Oscar with brain‘.“
„Oh! How nice, I’ll do so. Something else… for him?“
Er guckt eine Sekunde sehr nachdrücklich und geht dann an mir vorbei, einfach weg. Ein wichtiger Popstar, der macht das so. Ich verstehe das. Würde ich auch so machen, wenn ich einen Hit in 20 Jahren geschafft hätte.
Und das alles im schönsten Gebäude Berlins, dem prachtvoll weil römisch anmutenden Konzerthaus am Gendarmenmarkt, klassizistisch, gigantisch, schön, zeitlos alt. Furtwängler und Toscanini haben hier gespielt, und alle anderen Genies erst recht. Alles ist hell, quadratisch, im Ebenmaß, von einer Schönheit, die auf Vernunft fußt, rational, anständig, im Preußen der Aufklärung errichtet. Nun sitzen hier laut offizieller Gäseliste Dr. Regina Burda, der Frisör Udo Walz, der unvermeidliche Moritz Bleibtreu, Wim Wenders, Prinzessin Maria Theresia von Thurn und Taxis und der Regierende Partymeister von Berlin Klaus Wowereit. DER ist nun als einziger wirklich locker. Wowi ist Pop. Er wirft sich weg vor Lachen, besonders bei Frauen, und wenn er geht, schäkert und schlenkert er wie Harald Juhnke selig, nach beiden Seiten grüßend, oft eingerahmt von Männern, die seine Nähe suchen. Er trägt auch keinen Smoking und keine Fliege (wie vorgeschrieben), sondern den bekannten Politiker-Anzug aus dem Rathaus. Wenn die ‚Stars‘ ihr Bühnenprogramm machen, mit Rühr-Ansagen, Gutmensch-Reden, Filmchen, Pianogeklimper und einer Versteigerung, liest er völlig ungerührt in mitgebrachten Akten, wie im Plenum während einer Rede der gegnerischen Partei. Am schlimmsten ist der Pianist, ein Chinese, der in die Tasten schlägt wie ein Rummelplatz-Animateur. Zwischendurch soll es sogar Schumann gewesen sein, zarte deutsche Töne, die vom Geklirr des Bestecks der hemmunglos Hungrigen verschluckt wurden. Anschließend klatschen und johlen sie wie Berserker, werfen Messer und Gabel weg und schlagen die groben breiten Hände aufeinander, daß der Lärm wehtut.
Es ist noch immer nicht vorbei, um 23 Uhr. Im Gegenteil. Die After-Show-Party beginnt. Jeder Zweite juckt sich nun an der Nase, die Toiletten sind überfüllt, die Augen sind starr, aufgerissen, euphorisch, und doch abgeschnitten von jedem echten Gefühl. Gruselig, mit einem Wort. Die Leute fühlen sich großartig. Jede Art von schlechtem Gewissen hat aufgehört zu existieren. Auch jedes Schamgefühl. Alles, was immer peinlich an ihnen war, was sie zu kleinen Menschen gemacht hatte. All ihre Laster und schlechten Gefühle, alles wird zu einem durchgehenden weißen Streifen, den sie sich durch die Nase ziehen. Lambada-Stimmungsmusik schallt durch die Säle. Frauen tanzen ’sexy‘ zu Schmierenhits wie ‚It’s raining men‘ oder Michael Jacksons ‚Thriller‘, es sieht aus wie verunglückter Bauchtanz, und die Männer, wie alle Männer in Anzügen, gefallen sich in Abarten von Sirtaki-Bewegungen. Die Gesichter sind aufgerissen und häßlich, die Zunge oft rausgestreckt, und ab und zu erkennt man einen ECHTEN Menschen, und das ist immer eine Angestellte. Man denkt: Richtig, so sehen Menschen aus, die NICHT böse sind. Anti-Gutmenschen im Grunde.
Wie der Abend ausging, erzähte ich ja schon.

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