vonlottmann 01.08.2009

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Ich sitze gerade im Flugzeug und sehe den schönen neuen Vierfarbfilm ‚Lucky by chance‘ (Indien 2009). Mein Englisch ist nicht besonders, aber zum Glück sind die indischen Filme inhaltlich sehr klar. Eigentlich ist alles schon im Titel gesagt. Ein junger Mann ist sehr arm, aber sympathisch, und er möchte gern Kino-Superstar werden. Seine Freundin sieht ein bißchen dicklich und miesepetrig aus, möchte aber auch Filmstar werden. Auch sie ist arm. Leider schafft sie es nur zu EINEM Kassenschlager. Danach macht sie den Fehler, sich für TV-Serien verramschen zu lassen. Ihre Freunde schaffen nicht einmal das. Sie müssen es mit immer neuen Castings versuchen, oft vergebens. Kleine Nebenrollen fallen nur ab, leider. Wahrscheinlich, weil sie die Sache falsch angehen. Alle 1,154 Milliarden Inder wollen Filmsuperstar werden, aber viele gehen mit der falschen Philosophie heran und kriegen es nicht gebacken, vorerst. In diesem Film aber wird gezeigt, wie es geht: „Du mußt an dich glauben! Dann hört der Weg, den du gehst, dir zu! Dann bewegt sich die Welt, die alles ist und alles hat, Üppigkeit und Glück und Reichtum, in deine Richtung! Nur wenn du aufhörst an dir zu zweifeln, wirst du der Bollywood Superstar werden!“ Und genauso kommt es dann. Der arme Schauspieler wird Indiens größter Superstar, und später macht es ihm die kleine Freundin nach.
Toll. Diese Message wird allerdings ein paarmal zuviel und zu direkt ausgesprochen. Eigentlich wird kaum etwas anderes gesagt. Immer nur diese aller Vernunft widersprechende Aussage ‚Alles geht, wenn du an dich glaubst‘. Mit ‚alles‘ ist ja nicht ALLES gemeint (Unternehmer, Bäcker, Sportler, Berufspolitiker), sondern explizit immer Filmstar. Ein anderes Berufs- oder Lebensziel scheint in Indien unbekannt zu sein. Wer es nicht verwirklicht, ist ein Loser. Die entscheidende dramatische Szene geht folgendermaßen:
„Er (zu seinem besten Freund): Ich sag dir jetzt mal was!
Freundin: Nein, nein!
Er: Doch, ich sag‘ es ihm jetzt!
Freund: Na, dann sag es doch.
Freundin: Tu es nicht, oh mein Gott!
Er: Doch! Ich sags dir: Du wirst nie ein Filmsuperstar werden. Du hängst nur ab. Du pumpst deine Freunde an.
Freundin: Oh je oh je oh je!
Freund: (Schluck! Würg!) Nur weil du die Rolle bekommen hast, kannst du doch nicht… und ich habe mir nur EINMAL Geld von dir geliehen… (geht weg)
Freundin: Was hast du getan!
Er: Es ist nun mal so. Er hat es nicht drauf. Er wird niemals ein großer Schauspieler werden.“
Tja, und wißt Ihr was? Am Ende wird er es DOCH! Weil er irgendwann in einer furchtbaren Krise begreift, daß er AN SICH SELBST glauben muß. Von da an fliegt ihm alles zu, wie Millionen und Milliarden anderen Bollywood-Celebrities auch. Denn auch in allen anderen Bollywoodfilmen wird diese frohe Botschaft verbreitet. Und so haben jetzt alle das Erfolgsrezept umgresetzt und fahren im dicken Maybach zum Set, drei very european lookin Groupies auf dem Schoß, ein Bündel tausend-Dollar-Noten in der rechten, das neue apple i-phone in der linken Hand.
Aber es gibt noch eine weitere interessante Figur in dem Film, und das ist die hübsche Tochter des Großen Filmproduzenten (und gleichzeitigen Stahlmagnaten). Sie muß ja gar nicht an sich glauben, weil sie ohnehin schon alles hat. Natürlich sorgt Dad dafür, daß sie die weibliche Hauptrolle in allen seinen Super-Filmen spielt. Und sie sieht auch noch um soviel niedlicher aus als die doch arg speckige arme erste Mimin! Diese, das Fettklößchen, ist wohl der einzige Beleg dafür, daß viele Inder NOCH keine Filmsuperstars sind, sondern hungern. Warum sonst sollten sie sich nach so einer Speckrolle von Frau sehnen? Die Produzententochter sieht dagegen überhaupt nicht indisch aus, ist schlank und rank wie Keira Knightly. Ach, mehr als die: verglichen mit diesem coolen Teenie-Hüpfer würde Keira Knightly wie eine Matrone aus Kalkutta wirken. Nun gut, welche Ideologie ist dann die richtige für die ‚Ich-habe-schon-alles‘-Figur? An wen oder was glaubt sie? Muß sie überhaupt an etwas glauben, hat sie DAS nötig? Nein, und vor allem ist sie ja der Leckerhappen für den ehemals armen, immer noch sympathischen, nun die Hauptrolle spielenden Helden! Oder etwa nicht?
Ich werde es hoffentlich noch herauskriegen. Denn ich habe diese Handlung gerade anhand der ersten Filmstunde (von insgesamt dreien, mit ‚Intermission‘) hochgerechnet und abgerundet, weil ich jetzt erstmal ein Nickerchen einlegen möchte, mit Schlaftablette & Michael-Jackson-Mundschutz, wg. Schweinepest-Viren im Billigflieger. Also, vielleicht wache ich ja in der letzten halben Stunde noch auf. Irritierenderweise fangen diese Schauspieler zwischendurch immer an zu singen, und weil sich Songschreiber und Drehbuchschreiber offenbar nicht abstimmen, enthalten die Songs gänzlich konträre Ideologien und Steuerbefehle fürs Alltagsverhalten. In den Liedern heißt es immer – wenn ich die english subtitles richtig verstehe – , man solle auf das Schicksal vertrauen. Immer nur das Schicksal machen lassen. Gebe dich dem Schicksal hin, und das Glück wird zu dir kommen. Wir alle sind nur Staub und Windstoß, aber das Schicksal fügt alles ins rechte Licht zusammen. Und so weiter. Wie es wohl ausgeht, mit den widerstreitenden Steuerbefehlen? Ob man BEIDES kann, sich selbst anbeten UND das Schicksal dazu?
In Helsinki bei der Zwischenlandung gebe ich aber den kleinen Indienvorbericht ins wireless Net. Notfalls, wenn die Finnen das nicht haben, schicke ich es an den Blackberry von Holm Friebe, und der friemelt die Zeilen dann in Handarbeit in den heimatlichen Blog.

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