Ein kurzer Rundgang durchs Berlinale Panorama: Kleine Entdeckungen, aseptischer Edelkitsch und ärgerliche AIDS-Rührstücke.
GRÜSSE AUS FUKUSHIMA: Eine junge Deutsche, Marie, flüchtet Hals über Kopf nach Japan. Sie schließt sich einer Clownerie-Kompanie an, die frühere Bewohner Fukushimas unterhalten soll, welche seit der Evakuierung in einem provisorischen Camp leben. Sie merkt schnell, dass dieser Job nicht das Richtige für sie ist, trifft allerdings auf eine verschlossen wirkende Dame, der sie hilft in ihr altes Haus umzuziehen, welches in der Sperrzone liegt und als letztes Gebäude in ihrem alten Viertel vom Tsunami stehen gelassen wurde. Unschlüssig wo hin mit sich, schließt sich Marie der alten Dame an und hilft ihr.
Die höchst unterschiedlichen Frauen sind bald mehr aufeinander angewiesen, als sie sich selber eingestehen wollen, denn die traumatischen Erlebnisse der Vergangenheit holen sie ein. Gleichwohl GRÜSSE AUS FUKUSHIMA im Kern zu hölzern ist, um überzeugende Lebendigkeit zu entwickeln, gelingen Doris Dörrie in ihrem Film einige sehr warmherzige und emotional kluge Momente, die diese Geschichte einer sonderbaren Freundschaft zweier ungleicher Frauen länger nachklingen lassen.
UNCLE HOWARD: Der Filmemacher Howard Brookner erregte in den 1980er Jahren Aufmerksamkeit mit seinen Dokumentationen über den Schriftsteller William S. Burroughs und den Theatermacher Robert Wilson. Das Debüt seines ersten Spielfilms erlebte Brookner jedoch nicht mehr, er starb 34-jährig noch vor dem Kinostart an den Folgen seiner AIDS-Erkrankung. Aaron Brookner, der Neffe des Verstorbenen, wurde durch seinen Onkel als Kind maßgeblich beeinflusst.
Umso stärker war für ihn als Erwachsener der Drang, das filmische Erbe seines Onkels zu bewahren. Doch dies erwies sich als gar nicht so einfach. UNCLE HOWARD ist insbesondere zu Beginn eine faszinierende Reise in einen fast vergessenen Teil der Geschichte des amerikanischen Independentkinos. Leider gelingt es Brookner nicht, das Niveau bis zum Schluss durchzuhalten, weshalb sich UNCLE HOWARD letztendlich zu einem Tränen heischenden filmischen Aids-Memorial verebbt.
STRIKE A POSE berichtet zunächst, wie der aufstrebende Popstar Madonna 1990 für die „Blond Ambition“-Tour Tänzer suchte, die sich mit dem Stil des Vogueing auskannten. Sie wurde bei einem halben Dutzend vornehmlich schwuler Männer fündig, die mit ihr die Choreografie der Bühnenshow entwickelten und der Sängerin während der Tour und für Musikvideos als Backgroundtänzer zur Seite standen. Aus der Zusammenarbeit entstand zudem ein dokumentarischer Konzertfilm, welcher vor allem ob der ungehemmten Darstellung von (schwuler) Sexualität Schlagzeilen machte, zugleich aber eine ganze Generation junger schwuler Männer maßgeblich half, zu sich selbst zu stehen.
Die Verheerungen der Hochphase der AIDS-Epidemie, so lernen wir aus STRIKE A POSE, lagen über dieser Tour und dem politischen wie musikalischen Schaffen Madonnas wie ein Schatten. Sie nutze ihre Popularität, um über HIV aufzuklären und gegen Diskriminierung Positiver wie schwuler Männer zu kämpfen. Zugleich gab es in ihrer Tanzkompanie gleich mehrere verdeckt lebende HIV-Infizierte, von denen nach der Tour einer infolge seiner AIDS-Erkrankung starb, was die eng miteinander vertraute Mannschaft nachhaltig traumatisierte. Genauso wie ein Rechtsstreit zwischen Madonna und einigen Tänzern ob der Veröffentlichung des Konzertfilms.
STRIKE A POSE von Reijer Zwaan und Ester Gould lässt die heute noch lebenden Tänzer zurückblicken und ihre Sicht der Erlebnisse erzählen. Formal konventionell inszeniert gerinnt der dokumentarische Film trotz seines hoch-spannenden Sujets zu einer tränenreichen Posse. Pathetik verdrängt die Herausarbeitung des Vorgefallenen, aus der Dokumentation wird letztendlich ein ärgerliches AIDS-Rührstück.
KATER: Ein arriviertes, mittelaltes schwules Paar aus der Wiener Szene der klassischen Musik, lebt ein idyllisches wie harmonisches Leben mit schönem Haus, Garten und Katze. Ein unvermittelter Gewaltausbruch stellt plötzlich alles bisher dagewesene infrage und das Paar vor eine kaum zu meisternde Zerreisprobe. Erst durch einen tragischen Unfall finden die beiden Männer allmählich wieder zueinander zurück.
Händl Klaus’ zweiter Langfilm KATER lebt von der nuancierten und fesselnden Arbeit seiner beiden Hauptdarsteller, die zusammen mit der zärtlichen und zurückgenommenen Kameraführung von Gerald Kerkletz ein wirksames Gegengewicht zum erzählerischen Übereifer des Drehbuchautors und Regisseur Hendl Klaus aufzubauen wissen.
JONATHAN: Ein 23-jähriger Landwirt muss sich zugleich um den idyllischen Hof und seinen schwer krebskranken Vater kümmern. Die Mutter ist vor langer Zeit bei einem Autounfall gestorben. Der Vater Burghardt wünscht in Würde zu sterben, was seinen Sohn Jonathan zunehmend überfordert. Jonathans Tante, die ebenfalls auf dem Hof lebt und zu ihrem Bruder auf Distanz bleibt, heuert eine junge Hospizpflegerin an, in die sich Jonathan alsbald verliebt. Alles scheint sich wieder zu sortieren und der Wunsch des Vaters erfüllbar, bis ein weiterer Mann auftaucht, der Jugendfreund und die große Liebe von Burghardt. Der Mann, Ron, beschließt seinen Liebhaber bis zum Ende zu begleiten, was Jonathan schwer erträglich scheint. Filmemacher Piotr J. Lewandowski gelingt mit JONATHAN ein sehr zärtliches und warmherziges Stück Kino. Neben klug gezeichneten Figuren und überzeugenden Darstellern vermag der Film vor allem durch Lichtsetzung, Ton und Musik zu überzeugen. Eine Entdeckung.
INDIGNATION: Der aus New Jersey stammende Marcus Metzner, Sohn eines jüdischen Metzgers, entkommt dem Militärdienst in Korea dank eines Studienplatzes in Ohio. Der kluge, junge und idealistische Mann legt Wert auf seine Unabhängigkeit und gerät daher alsbald mit den Normen und Pflichten an der christlich patriarchal geprägten Universität in Konflikt. Die Zuneigung zu einer gleichermaßen irritierenden wie schönen Kommilitonin verstärkt sein Hadern mit der Situation genauso, wie der aufbrechende Konflikt zwischen seinen Eltern.
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Philip Roth, inszeniert der langjährige Filmproduzent James Schamus sein Regiedebüt INDIGNATION als Erzählung von einem eitlen, wie eigenbrötlerischen jungen Typen voller emotionaler Verwirrungen. Schamus vermag es zu keinem Zeitpunkt, der arg überkonstruierten Geschichte (er hat das Drehbuch selbst geschrieben) irgendwie Lebendigkeit zu verleihen. Die Konflikte wirken genauso behauptet, wie die DarstellerInnen blass bleiben. INDIGNATION gerinnt zu aseptischem Edel-Trash.
DON’T BLINK – ROBERT FRANK: Der Fotograf und Filmemacher Robert Frank kann auf ein erfolgreiches wie auch von Schicksalsschlägen geprägtes Leben zurückblicken. Er arbeitete mit William S. Burroughs und den Rolling Stones, seine fotografischen Arbeiten erzielen heute Höchstpreise bei Kunstauktionen, zugleich sind beide seiner Kinder bereits tot. Seine langjährige Mitarbeiterin Laura Israel gelang es nun, den eigenbrötlerischen, anarchischen Künstler davon überzeugen, dieses Leben in einem dokumentarischen Film zu verarbeiten.
DON’T BLINK entwickelt genau dann seine stärksten Momente, wenn sich das kreative Schaffen des immer noch produktiven Künstlers mit dem Ansinnen des dokumentarischen Films mischt, wenn die allzu konventionell angelegte Erzählweise aufgebrochen wird – meistens vom Hauptprotagonisten selbst. Der Verdienst dieser Dokumentation ist jedoch ohnehin schon damit erreicht, dass sie uns diesen vielschichtigen, faszinierenden Charakter näher bringt und ihn somit dem drohenden Vergessen entreißt.
Titelbild: UNCLE HOWARD – Aaron Brookner mit dem früheren Kameramann von Howard Brooker: Jim Jarmusch | (c) Ryan Muir