Eine Gruppe junger Soldaten liegt im Wald. Sie halten Rast, sitzen um ein Lagerfeuer herum, reinigen ihre Waffen, singen anzügliche Lieder über ihren Penis und eine Frau. Gelächter. Schnitt.
Mehrere alte Männer spielen im Wald eine Gefechtsszene nach: einer der Männer gestikuliert den Gebrauch seiner MP, zwei Männer gehen zu Boden. Der Schütze kniet sich zu den am Boden liegenden Körpern. Einer tot, der andere noch lebend. Er nimmt den Oberkörper des Verletzten in seinen Schoß, versucht seine Wunde zu versorgen, doch dieser Mensch stirbt. Der Schütze schließt ihm die Augen und legt ihn zurück auf den Boden. Junge Männer betrachten das Schauspiel der Alten. Dann stehen sie nach und nach auf und tauschen mit den alten Männern die Rollen. Schließlich liegen zwei tote Männer, die kaum aus dem Teenager-Alter raus sind, am Boden und ein junger Schütze steht neben seinen Opfern. Schnitt.
Zwei Sequenzen aus zwei höchst unterschiedlichen Dokumentationen, die doch auf irritierende Weise miteinander in Kommunikation treten. Die Filmemacherin Lola Arias stellt uns in ihrem TEATRO DE GUERRA (Theatre of War) Veteranen des Krieges um die Falkland-Inseln vor. Ehemalige britische und argentinische Soldaten, welche durch den 72 Tägigen Krieg um die Inselgruppe nachhaltig geprägt wurde, treten dabei in Dialog miteinander. Der Filmemacher Jan Gebert verfolgt in seiner Arbeit AŽ PŘIJDE VÁLKA (When the War Comes) das Treiben slowakische Paramilitärs, den „Slovenskí Branci“ (slowakische Rekruten).
Paramilitärische Einheiten zur Verteidigung eines friedlichen EU-Staats ohne externe Bedrohung – das ist ein Widerspruch in sich. Nicht so für Peter Švrček, den jungen und frappierend charismatischen Gründer und Kopf dieser Truppe, der, dies erweist sich schnell, ein glühender Nationalist ist. Er sieht seine „Heimat“ bedroht – durch den Liberalismus aber vor allem durch Islam und die Flüchtlinge. Wenn der Krieg kommt, von dem man sich stets fragt welchen Krieg er meint und wann der kommen soll, will er mit seinen Truppen die Slowakei, das Volk der Slowaken und selbstverständlich die Demokratie verteidigen. Bis es soweit ist, bildet er in Wochenendkursen im Wald neue Rekruten aus und macht Wehrsportübungen.
Alpha-penisbetonte Ultraheteros
Diese Demokratie, von der er spricht, mag sich derweil von ihm und seinen Männern (natürlich sind es ausschließlich Männer, die Frauen dürfen bei den „Slovenskí Branci“ Stullen schmieren) ungern verteidigen lassen. Deshalb hat Peter Švrček seine „Brigaden“ auch nirgendwo als Zusammenschluss oder Verein offiziell registriert, außer auf Facebook. Nach dem Gesetz kann man ihrer nicht habhaft werden, solange sie keine echten Waffen oder hoheitlichen Symbole des Staates verwenden. Auch die Medien reagieren auf die Umtriebe dieser Truppe kritisch.
Wenig überraschend, dass Peter Švrček für sie nur Verachtung übrig hat. Doch zugleich ist er auf sie angewiesen und benutzt die ihm zu teil werdende Aufmerksamkeit, um neue Mitglieder zu werben. Eine erfolgreiche Strategie, wie sich im Verlauf der Dokumentation erweist. Wir sehen einen selbstbewussten Medienprofi, der sich in der Rolle des Bad Boys sichtlich gefällt. Filmemacher Jan Gebert ist dort mehr als willkommen und wird bereitwillig überall eingelassen.
Doch Geberts Kamera sieht mehr als Peter Švrček glauben mag. Seine konzentrierte, zurückgenomme Erzählweise setzt das Tun von Švrček und seine Gefolgsleute in Kontext zur Realität, legt deren ganze Widersprüchlichkeit frei. Wir sehen die Freiheit verteidigen wollende Demokratie-Freunde, die am Ende des Tages lieber mit ultrarechten und Kreml-treuen russischen Motorradgangs Bier trinken.
Wir sehen Schwulen-Witze reißenden Kerle, alpha-penisbetonte Ultraheteros und drahtige, noch etwas picklige Jungmänner, die sich zugleich im Wald verbergen, um sich heißblütig anzubrüllen. Sich lustvoll Befehle ins Ohr zu schreien und noch viel lustvoller, ja fast verliebt diesen Befehlen zu unterwerfen. Dabei schinden sie gegenseitig mit Inbrunst und viel Schweiß ihre Körper bis zur Erschöpfung. Hyper-masochistisch ist das hier alles, und letztendlich auch episch schwul. Die „Slovenskí Branci“ sind keine paramilitärische Vereinigung, sie sind ein Club zur Ergötzung am Manneskörper.
Vor einem tatsächlicher Krieg würden diese Typen genauso fliehen wie jene Menschen, die sie auf der Straße beschimpfen. Ihr Anführer, Peter Švrček, will indes mehr. Versicherte er zu Beginn von AŽ PŘIJDE VÁLKA noch allen Politik interessiere ihn nicht, steht er am Ende inmitten seiner Truppe in Mantel und Nadelstreifen. Die Uniform hat er abgelegt, sein Weg soll ins Parlament führen. Der Egozentriker nimmt sein nächstes Ziel in Angriff und lässt seine Truppen allein zurück.
Film trifft Theater trifft Dokumentation
Vergessen und allein gelassen fühlen sich auch viele jener Soldaten, die für ihr Land, Argentinien, 1982 auf den Falklandinseln/Malvinas in den Kampf zogen. In einem 72 tägigen Krieg kämpften das Vereinigte Königreich und der argentinische Staat (unter Kontrolle der Militärjunta) um den alleinigen Zugriff auf das Inselarchipel, nachdem Argentinien die britisch verwalteten Inseln im April des Jahres überfallen hatte.
Argentinien unterlag, um die heimkehrenden Kämpfer kümmerte sich Zuhause niemand. Sie galten vielmehr als Versager, der Staat vermied jegliche Öffentlichkeit bei ihre Rückkehr. Die Männer sollten einfach ihre bisherigen Leben wieder aufnehmen. Die britischen Soldaten kehrten als Helden zurück, doch auch ihnen wurde Zuhause keine wirkliche Nachsorge zuteil. Lola Arias stellt uns in ihrem TEATRO DE GUERRA mehrere Soldaten beider Länder vor, die auf den Falklands/Malvinas im Einsatz waren. Wo Jan Gebert mit den Bildern arbeiten kann die sich ihm bieten, muss Lola Arias eigene Motive entwickeln, an denen sie ihre Erzählung vornehmen kann.
Ihre Erzählung ist dabei weitaus mehr als ein Film, es ist auch ein dokumentarisches Ausstellungs- und Theaterprojekt, welches sie mit Veteranen des Falkland-Krieges realisierte. Der Film TEATRO DE GUERRA bildet den abschließenden Teil und spiegelt dabei gleichermaßen die Geschichten der Protagonisten und den Prozess der Erarbeitung eines Theaterstücks über Erinnerung, nicht nur an den Krieg, wieder. Die Männer sind Darsteller, Autoren und Zeitzeugen zugleich.
Lola Arias erstes Bild zeigt die Ruine einer großen Halle, welche langsam von einer Gruppe älterer Herren betreten wird. Sie blicken sich um, erkunden vorsichtig den Raum, bis sich aus ihrem schlichten Anwesendsein an diesem Ort eine theatrale Handlung herausschält. Einer der Männer erzählt von einer Kampfhandlung.
Erinnerungen nähern sich an
Gebrüll, auf Englisch und Spanisch, angedeutete Schüsse, zwei Männer gehen zu Boden, ein dritter wird entwaffnet. Einer der noch stehenden Männer, der Schütze, beugt sich zu den am Boden liegenden, von denen einer tot, der andere verwundet scheint. Der Schütze nimmt den Oberkörper des Verwundeten in seinen Schoß, versucht seine Verletzung zu versorgen, doch dieser stirbt. Diese Szene, dieser Vorfall aus dem Krieg bildet die Grundlage für die filmische und theatrale Erzählung.
Lola Arias baut darauf die Arbeit an den Erinnerungen der Protagonisten auf, welche wir zunächst getrennt voneinander und protokollartig erleben. Direkt in die Kamera gerichtet geben die Männer Auskunft über ihre Person und ihre damalige Funktion im Krieg. Daran anschließend öffnet sich das Bild, die Männer stehen in einem Studiosetting. Sie stellen allein und scheinbar nur für Kameramann und Tonfrau, Erlebnisse nach welche ihnen im Krieg widerfahren sind. Erinnerungsstücke kommen ins Spiel, schließlich Begegnungen und Kontaktaufnahmen zwischen den ehemaligen Soldaten beider Armeen.
Sie nähern sich an, nicht nur sprachlich, sondern auch in ihren Erinnerungen. Namen fallen: „Goose Green“, „Port Stanley“, „General Belgrano“. Ein Austausch beginnt, Gemeinsamkeiten werden entdeckt. Das Leiden von Soldaten, es ist für alle Nationalitäten gleich: Verwundungen, Verluste, PTSB, kaputte Familien, zerbrochene Seelen. Die Männer beider Konfliktparteien waren kaum 18, 19 Jahre alt, als man sie aufeinander los jagte. Ihre Leben wurden durch den Krieg gezeichnet noch bevor sie je richtig leben konnten. Da macht es keinen Unterschied, ob man in Nordengland oder Buenos Aires Zuhause ist.
Die dokumentarische Erzählung in TEATRO DE GUERRA wird im Verlauf verstärkt von inszenatorisch-theatrale Elemente überlagert. Hinter der Fiktionalisierung bleiben die Erinnerungen und Gedanken der Protagonisten, und sie selbst als reale Personen, stets greifbar. Schließlich bringt Lola Arias junge Altersegos ihrer Akteure ins Spiel, eine neue Generation betritt sprichwörtlich die Bühne der Erinnerung. Man verlässt das Kino und hofft, diese jungen Männer mögen nur durch die Erinnerung der Alten erfahren was Krieg bedeutet und diese Schrecken nie selber durchleben müssen. Welch radikaler Kontrast zu ihren Altersgenossen in Zentraleuropa. Die den Krieg trainieren oder ihn vielmehr „performen“ weil sie glauben, jene, die vor Krieg, Verfolgung und Hunger fliehen, könnten für sie eine Bedrohung darstellen.
AŽ PŘIJDE VÁLKA (When the War Comes) | CZ/CRO 2018 | 76′ | Jan Gebert | Panorama Dokumente
TEATRO DE GUERRA (Theatre of War) | ARG/ESP 2018 | 82′ | Lola Arias | Forum
(c) Titelbild: Stanislav Krupař /IFB 2018
„Diego paz wohr nüngzehn“ heißt ein Lied von BAP. Wer den Inhalt dieses Textes gereimt besser versteht, sollte es sich anhören, finde ich. Es ist zwar nicht mehr ganz neu, aber leider immer noch brandaktuell.