vonfini 08.06.2020

Finis kleiner Lieferservice

Eine philosophische Werkzeugprüfung anhand gesellschaftlicher und politischer Phänomene.

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Als wir im Dezember 2013 das Netzwerk ins Leben gerufen haben, dachte ich, sobald mehr Menschen über die gravierenden Nöte einerseits und die beeindruckenden Fähigkeit von geflüchteten Akademiker*innen andererseits Bescheid wüssten, würde sich vieles ändern. Ich dachte, die Strukturen und Institutionen würden sich verändern, weil jeder Mensch in seinem noch so kleinen Handlungsbereich einsetzen würde, was er kann, um seinen Teil dazu beizutragen, mit diesen Auswirkungen unseres politischen und wirtschaftlichen Systems zurecht zu kommen. Ich dachte, gerade in Deutschland, wo fast jeder Mensch einen privaten Bezug zu Gründen hat, die Menschen aus einem Land vertreiben, würde sich Solidarität auf allen Ebenen der Gesellschaft entwickeln. Ich dachte, es würden überall, in jeder Branche, in jedem Büro, in jedem Betrieb, in jeder Familie, in jedem Leben Möglichkeiten und Öffnungen geschaffen, die Geflüchtete nutzen können.

Status oder Leben!

Und dann lernte ich eine große Institution von innen kennen und begleitete ihre Entwicklung in dieser Sache von Ende 2013 bis zur „Flüchtlingskrise“ 2015. Und zwar die Universität. Ein Ort an dem ich Reflektion, politische Bildung und Eigenständigkeit erwarten kann. Was ich aber in diesen Jahren dort miterlebt habe, hat mich schon mit Mitte 20 zum Zyniker gemacht. Ich habe Menschen in leitenden Funktionen erlebt, die es 2013 nicht für nötig hielten, etwas für die Integration von Geflüchteten zu unternehmen – dies wäre doch ein sehr spezielles Anliegen, politisch nahezu irrelevant und eh viel zu weit weg. Ich habe Menschen in weniger leitenden Funktionen erlebt, die jede Gelegenheit nutzen, um in eine leitende zu kommen. Diese Menschen haben auch vor der Verzweiflung von Geflüchteten nicht Halt gemacht, um ihre Stellung innerhalb der Institution zu verbessern.

„Selbstverständlich engagieren wir uns!“

Aber erst als die Medien da waren. Erst im Sommerloch 2015. Dann merkten auch die Menschen in leitenden Funktionen, dass sie ganz schnell etwas umsetzen müssen, um ihre leitende Funktion zu behalten. Allerdings – um seine Position zu verbessern oder zu erhalten, muss der eigene Name mit der ganz schnell umgesetzten, guten Idee in Verbindung gebracht werden. Da war man dann plötzlich froh, dass wir trotz dem allgemeinen Desinteresse an der Thematik unsere Arbeit begonnen und trotz Ehrenamt professionalisiert haben. Auf einmal wollte jeder das Rad neu erfinden, bzw. ein altes Rad im eigenen Namen neu rausbringen. Und das war der Moment, wo es absurd wurde. Wo wirre E- Mails das Netzwerk erreichten, wo wir am Wochenende panische Anrufe auf private Nummern erhielten, wo simple Recherchen studierte Menschen vor unüberwindbare Probleme stellten, wo die eine Stelle der Institution nicht mehr wusste, was die andere tut, sie sich am Ende gegenseitig blockierten, wo nur Programme entwickelt werden durften, die nichts kosten, denn die eingeworbenen Gelder wurden anderweitig investiert, wo Konzepte verabschiedet wurden, die undurchführbar und nutzlos waren.

Ich, weiß.

Das war der Moment, wo mir klar wurde, dass die Eitelkeit von uns weißen Menschen nicht einmal an einem globalen Desaster zerbrechen wird. Erst, wenn wir selbst darunter leiden. Aber daran sind dann vermutlich die Anderen schuld. So wurde ich in den Mühlen der Weisheit zermahlen – und garniere meine eigene mit zutiefst weißem Zynismus.

Der Text wurde ursprünglich Ende 2015 für die „Bibliothek der Generationen“ im historischen Museum Frankfurt verfasst. 

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https://blogs.taz.de/finiskleinerlieferservice/2020/06/08/zynikerin-mit-mitte-20/

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