vonfini 24.01.2023

Finis kleiner Lieferservice

Eine philosophische Werkzeugprüfung anhand gesellschaftlicher und politischer Phänomene.

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In den 70er und 80er Jahren entstand Punk in Deutschland hauptsächlich, weil Jugendliche genervt waren, weil sie Staat und Bürgerlichkeit ablehnten oder teilweise auch politische Ambitionen hatten. In den 90er und 00er Jahren wurde Punkrock richtig modern, womit die entsprechende Kapitalisierung der Subkultur voranschritt – ohne die es Punkrock vermutlich auch niemals nach Deutschland geschafft hätte. Nach dem Soziologen Dick Hebdige gibt es zwei Mechanismen, wie Subkulturen gesellschaftlich vereinnahmt werden: „[…] erstens die Verwandlung subkultureller Zeichen (Kleidung, Musik etc.) in massenhaft produzierte Objekte (die Warenform) und zweitens die Etikettierung und Umdefinierung abweichenden Verhaltens durch die herrschenden Gruppen – Polizei, Medien, Justiz (die ideologische Form).“ (Hebdige, Dick: Wie Subkulturen vereinnahmt werden, in: Hörning, Karl H./Winter, Rainer: Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999, S. 384.) Ersteres ist Punkrock schon lange passiert: Viele erinnern sich sicherlich noch an die Sex-Pistols-Shirts, Nietenarmbänder und sonstigen Accessoires bei H&M und anderen Fast Fashion Unternehmen. Mit weltweit agierenden Labels, Presswerken und Booking-Agencies ist Punkrock-Musik inzwischen eine ebenso etablierte Musikbranche wie jede andere auch.

Die „Umdefinierung abweichenden Verhaltens“ – also die ideologische Vereinnahmung –, könnte ein Grund sein, warum Punkrock seit ein paar Jahren wieder sowas wie trendy geworden ist: Anders sein, individuell sein, crazy Outfits tragen und vor allem Do-it-yourself ist inzwischen dank Pinterest, etsy, Instagram und TikTok zur Norm geworden und gilt als erstrebenswert. Insbesondere der Trend zu mehr Nachhaltigkeit hat diese Tendenz noch verstärkt, sodass die Kritik von Fridays for Future & Co ebenfalls marktförmig pervertiert wurde – kaum ein Unternehmen kann es sich heute leisten, nicht noch „Ist auf jeden Fall nachhaltig, regional, fair und von echten Menschen produziert!“ ins Branding zu klatschen. Auch bunte Haare, Tattoos und Piercings sind schon lange nichts mehr, was irgendwen davon abhält, einen gut bezahlten Job zu bekommen. Ganz im Gegenteil wirkt das je nach Branche „edgy“, kreativ und insofern vorteilhaft.

Hello, ist da das Establishment?

Diese Entwicklung ist auch nicht verwunderlich, denn immerhin sind all die 90er/00er-Jahre Punker*innen jetzt irgendwas mit 30 oder 40 und bilden damit die Mitte der Gesellschaft bzw. das, wo dann wirklich mal jugendliche Rebellion abgelegt wird: Wir müssen arbeiten oder uns mit Arbeitsverweigerung beschäftigen, wir kriegen Kinder oder müssen uns mit Familienverweigerung beschäftigen. So oder so sind wir diejenigen, die die gesellschaftlichen Normen in Arbeit und Familie auf einmal beeinflussen und bestimmen. Wir sind also die Generationen, die die Normalität bilden: Wir sind damit die Adressat*innen, die junge Aktivist*innen angreifen und in die Verantwortung holen wollen, wenn sie wirkliche Nachhaltigkeit, Chancengleichheit, Antifaschismus, Feminismus usw. fordern. Denn wir sitzen jetzt in mehr oder weniger relevanten Positionen, aber tun immer noch so, als wären wir die ausgestoßenen Punker*innen aus unserer Schulzeit. Wir sind nicht mehr der Sand im Getriebe, wir sind jetzt das Getriebe und legen höchsten Wert darauf, dass es läuft. Denn wir müssen ja auch unsere Miete zahlen und unsere Familien ernähren. Da wird es unauffällig aber sichtbar wichtig, bestimmte Lebensstandards zu halten. Denn ja: Wir haben keine wirklich solidarischen Strukturen geschaffen mit dem Punkrock der letzten 30 bis 40 Jahre, sondern wir haben das Konkurrenzprinzip internalisiert und stehen deswegen alle genauso blöd da, wie die anderen Arbeitskraftunternehmer*innen im neoliberalen Kapitalismus. Wir erzählen denselben Unsinn in Businesstalks, wir setzen häufig sogar die gleichen (oder höhere?) Standards an Leistungsdruck und wir orientieren unser Handeln am Gewinn – ob dieser Gewinn in Geld, Anerkennung oder Zuschauendenzahlen/Klicks/Likes gemessen wird, ist dabei unerheblich. Es soll nur mehr rauskommen, als wir vorher hatten. Das tun wir in Bereichen, die nichts mit Punkrock direkt zu tun haben (Universitäten, Einzelhandel, Großhandel, Schulen, öffentliche Einrichtungen usw.), aber das tun wir in Punkrock nahen Branchen (Labels, Zeitschriften, Agenturen, Bands usw.) genauso. Letztere sind nämlich durch die Warenform der Vereinnahmung entstanden und bekommen durch die ideologische Vereinnahmung von DIY neue Kund*innenschaft. Nach Adorno ist DIY schon seit den 60er-Jahren Bestandteil der Kulturindustrie und erfüllt die Funktion sinnloser Beschäftigung zur Reproduktion und zur Weiterentwicklung der Arbeitskräfte in der „Freizeit“ ähnlich wie Hobbys (Adorno, Theodor W.: Freizeit.1965. Abrufbar unter https://www.conne-island.de/nf/103/22.html)

Dat is Kunst, dat raffste nie

Wir rechtfertigen die kapitalistischen Züge als Kund*innen oder auch als Unternehmer*innen mit der Illusion, dass es auf die Qualität unserer „Kunst“ ankäme, ob sie erfolgreich ist. Wenn eine Band, ein Act oder ein Label richtig gut oder „authentisch“ sind, dann sind sie auch erfolgreich und können endlich „die Massen“ erreichen – oder nicht? Man muss nur so erfolgreich sein wie die Antilopen Gang (also Punkrock am besten auch noch mit 1 anderem Genre mischen), dann kann man endlich den Soundtrack für die Revolution machen und das trojanische Pferd spielen. Es ist fraglich, wie viel Punkrock wirklich noch mit Kunst zu tun hat, da seit 40 Jahren größtenteils kopiert wird und der empowernde Moment, gemeinsam mit seinen Friends Musik zu erschaffen, eher eine therapeutische Funktion hat. Empowerment ist für mich eine besonders wichtige Komponente von Punkrock, die aber eigentlich keine Öffentlichkeit braucht und deswegen eher für Bands funktioniert, die (noch) nicht am Markt und auf keinen Fall professionalisiert sind. Deswegen würde ich die Tätigkeiten öffentlichkeitswirksamer Musikacts eher mit herkömmlicher Innovationsarbeit vergleichen: Es geht um die Etablierung und Erschließung neuer Märkte durch neue Produkte (Bands), weniger um die Kunstwerke als solche (die Art der Musik und der Performance), denn das künstlerische Prinzip ist immer dieselbe (Band von 1-8 Personen mit schneller Musik, Gesang/Geschrei, zusätzlichen noisy Geräuschen oder anderen zitierten musikalischen Elementen wie bspw. Elektro).

Das Problem ist deswegen: Genauso wenig wie es beim Kunstmarkt oder auch sonstiger Innovation auf die Qualität ankommt, tut es das bei Punkrock – es werden lediglich immer neue Märkte eröffnet, damit der Kapitalismus weiterwachsen kann. Erfolg (also Wachstum) am Markt wird durch 3 Dinge beeinflusst:

  1. Netzwerk: Wie viele Leute kennen und unterstützen Dich? Wie gut bist Du darin, Dein Netzwerk auszuweiten und es stabil zu halten? Hier sind charismatische Persönlichkeiten natürlich in einem enormen Vorteil gegenüber beispielsweise introvertierten Personen. (Das gilt btw auch für Crowdfunding-Kampagnen: Es sind in der Regel nur die erfolgreich, wo VORHER bereits ein großes Netzwerk bestand.)
  2. Investment: Wie viel Geld wirfst Du auf das Projekt und wie viel ist davon ad hoc zugänglich? Dieser Faktor beeinflusst vor allem natürlich die Anzahl an Menschen, die Du für ihre Arbeit ein bisschen bezahlen kannst und insofern ihre Kapazitäten, die Du für Dein Projekt nutzen kannst. Er beeinflusst auf der anderen Seite aber auch das Marketing oder den Vertrieb und hier gilt einfach sehr simpel: Mehr ist mehr. Mehr Geld = mehr Reichweite = mehr Erfolg.
  3. Zufall: Gibt es einen temporären Zufall, der Dein Projekt notwendig/attraktiver macht? Das ist letztendlich sowas wie ein Trend, kann aber auch in historischen Umständen liegen – schauen wir uns Biontec beispielsweise an, so gibt es schon seit Jahren Forschung und auch Anwendungsfälle für mRNA-Impfstoffe, aber Corona hat diesen Trend in einen soliden Marktdruck verwandelt, den Biontec entspannt nutzen konnte.

Und genau diese Formen rationaler Marktpenetration machen auch aus Bands Rockstars: Häufig Einzelpersonen, Zusammenschlüsse oder Banken (durch Unternehmenskredite) investieren Geld in Punkrock-Produkte wie Bands und sorgen mit unternehmerischen Mitteln (dynamisches Marketing, konsistentes Storytelling mit entsprechenden Rolemodels, möglichst vielen Auftritten vor entsprechenden Zielgruppen, PR, Merch usw.) dafür, dass eine Nachfrage nach diesen besteht. Dieser Zusammenhang wurde schon bei einer der Urgeschichten des Punkrock bekannt: Die Designerin Vivianne Westwood stattete seit Anfang an die Band ‚Sex Pistols‘ aus, da ihr ehemaliger Partner Malcolm McLaren die Band managte. Beide Produktlinien entwickelten sich in dieser Symbiose großartig, sodass die eine den Look zu der Musik lieferte und beides gemeinsam international konsumierbar wurde. Jede Form typischer Punkästhetik kann seitdem auf Westwoods Designs zurückgeführt werden. Labels haben natürlich mehrere Pferdchen im Stall und so wird das meiste Geld in die investiert, die am besten traben, die charismatischsten Frontsänger*innen oder womöglich auch nützliche Skandale: Wer hat, dem*der wird gegeben.

Der Markt und Diskriminierung

Jegliche Form von Diskriminierungslinien drehen hier genauso wie in jedem anderen Unternehmen leider völlig frei, was bspw. die absolut gerechtfertigte Kritik von #punktoo an den hier herrschenden „Männerbünden“ war und ist: Punkt 1 und 2 haben bislang FLINTA* von Erfolg im Punkrock ausgeschlossen, was auch der Grund dafür ist, weswegen es weniger alte, große Headliner mit FLINTA*-Beteiligung gibt. Punkt 3 hat #punktoo sehr genützt, denn hier kam Corona, alle waren besorgt zuhause und hatten Zeit zu lesen, neue Instrumente zu lernen und sich anderweitig als lokal zu vernetzen. Auch das kann der neoliberale Markt durchaus: Repräsentationspolitik vereinnahmen, am simpelsten in Form von Diversity-Strategien – was zwar die Sichtbarkeit diskriminierter Gruppen erhöht, aber nicht unbedingt die ökonomische Diskriminierung auflöst. Zu diesen „Diversity-Coronagewinner*innen“ gehört auch meine eigene Band BLACK SQUARE. Punkt 1 wurde bei BS einerseits durch das Netzwerk, das Bonny von vorherigen Bands hatte, begünstigt, sodass wir einen einfacheren Zugang hatten, um viele Konzerte zu buchen. Andererseits haben mein Blog (ebenfalls eine Netzwerk-Ressource von vorher) und #punktoo dafür gesorgt, dass ich neben vielen anderen aktiven FLINTA* im Punkrock auch Ronja von Plastic Bomb kennengelernt habe – unsere erste richtige Investorin (Punkt 2). Da ist also auch wenig Geheimnisvolles oder qualitativ grundsätzlich Anderes in BLACK SQUARE als in anderen Punkrock-Produkten, die zeitgleich mit uns gestartet sind. Da unser Wachstum auf den Themen Corona und Feminismus aufgebaut ist, stellt sich uns nun die Frage: Was passiert, wenn wir diese Themen nicht mehr bedienen und damit unser Produktversprechen brechen? Wie gehen Investor*innen und Konsument*innen damit um? Wir werden es herausfinden.

Teil 2: The Weltordnung ist der fuck – und du bist immer noch mittendrin

 

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