Der folgende Text ist gemeinsam mit Genossi Max entstanden und kann als PDF vollständig und kostenlos heruntergeladen werden via Bandcamp – dort wurde er als Begleittext zum Album „ZWEIFEL“ der Band BLACK SQUARE veröffentlicht. Auf diesem Blog wurde er zur besseren Lesbarkeit in vier Artikel geteilt.
In den letzten Jahren ging es Schlag auf Schlag. Die Krisen und Katastrophen kamen wie am Fließband, alte Gewissheiten und Stabilitäten wurden weggespült. Unser Leben hat sich grundsätzlich verändert. Zwei Dinge wissen wir aber jetzt schon mit Sicherheit. Erstens: Das, was bis 2019 Normalität war, kommt nicht wieder. Zweitens: Die Krisen und Katastrophen werden nicht von allein aufhören, denn sie haben eine tiefere Ursache. So lange an dieser Ursache nichts geändert wird, wird es immer weiter neue Krisen und Katastrophen geben. Es sind vier Krisen und Katastrophen, die uns heute gebündelt treffen und, die sich gegenseitig verstärken:
1. Inflation und Wirtschaftskrise:
Die meisten merken es beim Einkaufen: alles ist teurer geworden. Das liegt daran, dass die Unternehmen und Konzerne ihre durch die Coronakrise, die Energiekrise sowie Klimawandeleffekte entstandenen Kosten auf ihre Kund*innen – also uns – abwälzen. Produktions- und Lieferkettenausfälle durch Corona haben hohe Kosten verursacht. Internationale Konzerne wurden vom Staat durch die Coronakrise gerettet, nun geben sie ihre dennoch gestiegenen Kosten an uns weiter. Dazu kommt auch noch die Energiekrise: Über zwanzig Jahre hat man sich weder staatlich noch privatwirtschaftlich darum gekümmert, eine sichere und saubere Energieversorgung aufzubauen. Die EU hat sich stattdessen vom russischen Gas und Öl abhängig gemacht. Russland setzt diese Abhängigkeit jetzt als Waffe in seinem Krieg gegen den Westen ein. Das ist jedoch nicht der einzige Grund für steigende Preise und dem damit einhergehenden Wertverlust von Geld: wir haben es aktuell zusätzlich zu regulärer Inflation mit einer sogenannten Profitinflation zu tun. Das heißt alles wird teurer, weil Konzerne die Verkaufspreise erhöhen, weil sie in einer Situation der Knappheit nochmal ordentlich Gewinne machen können. Das gilt zum Beispiel für Ölkonzerne, die Rekordprofite angeben oder für Energieversorger wie RWE, der neulich eine Milliarde Sondergewinne verkündet hat. Aber auch für große Unternehmen in der Nahrungsmittelbranche. Lebensmittel werden nicht nur teurer, weil durch den Krieg in der Ukraine der Weizen knapp wird, sondern auch, weil an der Börse auf Lebensmittel spekuliert und die Preise höher getrieben werden. Viele wissen deswegen nicht, ob sie am Essen oder im Winter an der Heizung sparen sollen – oder einen Haufen neuer „Konsum“-Schulden ansammeln werden.
2. Krieg:
Lange war die vorherrschende Meinung in der deutschen Gesellschaft: Krieg ist etwas, das anderen Leuten passiert. Der Überfall Russlands auf die Ukraine und die Atomkriegsdrohungen haben diese Gewissheit zerstört. Man spricht nun von einer „Zeitenwende“ und hat damit ein Sondervermögen für die Bundeswehr begründet auf Kosten von Sozialsystemen, Pflege und Forschung. Aber eigentlich ist nichts neu daran, dass es Krieg gibt. Es gab in Deutschland die ganze Zeit Menschen, die ihn direkt erfahren mussten. Zum Beispiel die Menschen, die vor den Kriegen in Syrien, in Mali, im Irak, Afghanistan oder Äthiopien geflohen sind. Der Krieg ist nur geografisch nähergekommen. Es gibt wirtschaftliche Gründe, die dafür sorgen, dass sich heute immer mehr Staaten für den Krieg bereit machen. Aus denselben Gründen wird es immer wahrscheinlicher, dass Kriege in Zukunft nicht mehr nur in wirtschaftlich ausgebeuteten Ländern wie Syrien geführt werden, sondern auch in Industrienationen. Wir müssen diese wirtschaftlichen Gründe verstehen, wenn wir uns nicht früher oder später auf einem näheren oder ferneren Schlachtfeld opfern wollen.
3. Klimakatastrophe:
Zur Klimakatastrophe gibt es dieselbe vorherrschende Meinung in der EU und insbesondere in Deutschland wie zum Krieg: Man glaubt, das passiert nur anderen Leuten. Menschen in Afrika vielleicht oder unseren Kindern und Enkeln, wenn sie erwachsen sind. Kein Grund, grundlegend etwas zu ändern. Gleichzeitig gibt es immer mehr Dürrejahre oder plötzliche Fluten, um uns herum sterben die Insekten aus, es gibt regelmäßig verheerende Waldbrände und Hitzetote. Es sind wirtschaftliche Gründe, die dafür sorgen, dass die Klimakatastrophe nicht aufgehalten wird, obwohl der Zusammenhang zwischen der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas und der Klimaerwärmung gut bekannt und wissenschaftlich bewiesen ist. Auch eine grüne Regierung in Deutschland kann hier keinen Unterschied machen.
4. Seuchen:
Fast 175.000 Menschen sind in Deutschland bisher an Corona gestorben, weltweit fast 7 Millionen. Viele haben die letzten Winter mit Angst und Sorge vor der Seuche verbracht. Gleichzeitig hat der Staat durch seine Politik deutlich gezeigt, wer ihm wichtig ist und wer nicht. Die Wirtschaft ist wichtig, die Menschen nicht. Es wurde alles dafür getan, die Menschen bei der Arbeit zu halten, obwohl sie dort oft das größte Infektionsrisiko haben. Gleichzeitig hat man ihnen in Lockdowns jede Form von sozialem Leben abseits der Arbeit verboten, um die Coronazahlen, die durch die Infektionen bei der Arbeit angetrieben wurden, irgendwie wieder einzufangen: Wir mussten in vollbesetzten Bussen und Straßenbahnen zur Arbeit fahren, um dort 8 Stunden in engstem Kontakt mit Kolleg*innen und Kund*innen zu sein, nur um dann von Ordnungsamt und Polizei gejagt zu werden, wenn wir uns nach Feierabend mit fünf Freund*innen im Park treffen. Die Impfstoffe wurden nicht global freigegeben, weil private Unternehmen mit den Patenten Gewinne machen sollten – denn gewinnorientiert ist auch die sozialste Marktwirtschaft, obwohl hinter den Patenten jahrelange, staatlich finanzierte Forschung und wissenschaftliche Infrastruktur stehen. So konnten immer neue Varianten des Virus entstehen. Das Personal in den Krankenhäusern wurde verbrannt. Sie mussten bis zum Umfallen schuften und kriegten dafür keine Erleichterung und keinen Bonus. Erst ein drei Monate langer Streik konnte zumindest an den Unikliniken für Verbesserungen sorgen. Corona wird nicht einfach verschwinden und es werden neue Seuchen kommen. Es gibt wirtschaftliche Gründe, die dafür sorgen, dass in unserer Zeit immer mehr Krankheiten von Tieren auf Menschen überspringen und sich rasend schnell auf der Welt verbreiten.
Der innere Zwang: Aus Kapital mehr Kapital machen
Diese vier Krisen und Katastrophen haben eine gemeinsame Ursache: den Kapitalismus, oder genauer: den Zustand des Kapitalismus in unserer Zeit. Sie entstehen aus einer grundlegenden Krise des Kapitalismus, der schon lange hätte abgeschafft werden müssen, aber trotzdem weiterexistiert, obwohl er inzwischen die Natur, die Gesellschaft und langfristig sich selbst zerstört. Das Problem ist bizarrer Weise, dass er zu effizient geworden ist. Der Kapitalismus arbeitet hochgradig effizient, aber für das falsche Ziel. Viele Menschen glauben, die kapitalistische Wirtschaftsordnung sei nur ein Mittel für den Zweck, Menschen mit den Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, die sie brauchen. Es ist offensichtlich, dass das nicht stimmt. Eine Wirtschaftsordnung, die die Menschen mit Knappheit, Krieg, Klimakatastrophen und Seuchen überzieht, ist offensichtlich nicht dazu da, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Im Kapitalismus ist es vielmehr andersherum: Die Menschen sind das Mittel, etwas anderes ist der Zweck. Der Zweck der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist ganz einfach: aus Kapital mehr Kapital zu machen. Dazu werden die Rohstoffe der Natur und die Arbeitskraft der Menschen ausgebeutet, um Waren herzustellen, die man mit Gewinn verkaufen kann, dieser Gewinn wird wiederum verwendet, um neue Arbeitskraft und Waren einzukaufen, zu wachsen und mit mehr Gewinnaussicht von vorn zu beginnen. Dieses Ziel ist aber nicht nur das große Gesamtziel der Wirtschaftsordnung, sondern das Ziel jedes einzelnen Unternehmens und jedes einzelnen Konzerns – insbesondere derjenigen, die etwas von den Gewinnen haben: den Eigentümer*innen oder Anteilseigner*innen. Diese konkurrieren miteinander darum, aus Kapital mehr Kapital zu machen. Ein wesentliches Mittel in der Konkurrenz ist die Effizienz. Wer mit effizienteren Maschinen arbeitet oder mehr Leistung aus seinen Mitarbeitenden herausholen kann als die Konkurrenz, muss insgesamt weniger Arbeiter*innen bezahlen, um aus mehr Rohstoffen mehr Waren zu machen. Alle Konkurrent*innen versuchen effizienter zu sein und so ist das Gesamtsystem über zweihundert Jahre stetig effizienter darin geworden, Arbeitskraft auszubeuten und die Natur zu zerstören. Bis in die siebziger Jahre ist die kapitalistische Wirtschaft immer weitergewachsen. Es ergibt sich aber ein Problem: Irgendwer muss den ganzen Scheiß, der produziert wird, auch kaufen, sonst gibt es keinen Gewinn. Wenn man immer weniger Arbeiter*innen braucht, gibt es aber immer weniger Menschen, die einen guten Lohn erhalten. Stattdessen gibt es immer mehr Menschen in Arbeitslosigkeit, in prekären Dienstleistungsjobs oder in flexibilisierten Selbstständigkeitsverhältnissen. Letzteres häufig mit dem inneren Drang verbunden, sich selbst zu verwirklichen, was im Kapitalismus ein Ding der Unmöglichkeit ist, sondern nur zu Selbstausbeutung und Schulden führt. Wenn die Menschen immer weniger Geld haben, können sie immer weniger Waren kaufen. Es entsteht eine Bizarre Situation, die für unsere Zeit typisch ist: Immer mehr Menschen geraten in Armut, weil sie für den Kapitalismus überflüssig sind. Gleichzeitig werden immer mehr Waren aufgehäuft, für die auf immer aggressivere Weise Käufer*innen gesucht werden müssen. Das sorgt dafür, dass sich der Kapitalismus in den alten Industrieländern seit ungefähr dreißig Jahren in einem Zustand der verstetigten Überproduktionskrise befindet. Er wächst nicht mehr oder nur noch um ein paar mickrige halbe Prozente. Also: Einzelne Unternehmen wachsen zeitweise durchaus noch, wodurch auch einzelne Unternehmer*innen weiter Gewinne machen und das Spiel für lohnend halten, aber das Gesamtvolumen des Kapitals steigt kaum noch.
Keine Rettung in Sicht
Das bedeutet deswegen nicht, dass die Naturzerstörung aufhört. Die große Maschine, die Wälder, Bienen und Wale in Plastiktüten und CO₂ verwandelt, läuft immer weiter. Sie wird dabei nur nicht mehr mit derselben Geschwindigkeit größer wie früher. Das ist aber ein Riesenproblem für die Maschine: Sie muss immer größer werden, um aus Kapital mehr Kapital zu machen, sonst bricht sie irgendwann zusammen. Weil in der Produktion immer weniger Wachstum zu holen ist, aber das Kapital immer weiterwachsen muss, haben in den letzten dreißig Jahren zwei Formen von Verschiebung der Krise stattgefunden. Zum einen die Wanderung des Kapitals an Produktionsorte, an denen die Arbeit besonders billig ist, sodass sich über den Import doch noch ein Gewinn machen lässt. Das nennen wir Globalisierung. Zum anderen die Flucht des Kapitals an die Börse, wo sich mit Wettspielen um „fiktionales“ Geld weiter Gewinn machen lässt, solange niemand die große Auszahlung fordert (der sogenannte Finanzmarkt – der Markt, auf dem Finanzierungen gehandelt werden und der entsprechend weit weg von tatsächlich vorhandenen Ressourcen ist). Dass der Kapitalismus in der Krise steckt, haben wir schon in der großen Krise von 2008 gemerkt. Damals wäre das Casinosystem an den Börsen fast zusammengebrochen, es wurde gerettet, indem man über staatliche Rettungsprogramme die Kosten sozialisiert hat. Länder wie Griechenland wurden in den Ruin getrieben. Doch das war alles nur ein Heftpflaster auf einer großen blutenden Wunde. Damit der Kapitalismus weiter existieren kann, muss er also wie eine weitverzweigte empfindliche Maschine die ganze Welt umspannen, immer mehr Natur verschlingen, Arbeitskraft immer intensiver ausbeuten und darf dabei niemals angehalten werden. Durch die Coronapandemie wurde ein großes Brecheisen in diese empfindliche Maschine geworfen, weil dadurch weltweit Lieferketten zusammengebrochen sind, die Ausbeutung der Arbeitskraft zeitweise problematisch wurde und gleichzeitig der Konsum eingeschränkt wurde.
Die Grundursachen der Krisen sind also, dass der Kapitalismus immer weniger Menschen benötigt und dass er immer mehr Umwelt verschlingt. Wenn die Maschine jedoch ins Stocken kommt, ist das wiederum eine Katastrophe, da die Versorgung von dieser Maschine abhängt.
Zweiter Teil: Der Zusammenhang zwischen den Krisen
Dritter Teil: Etwas Besseres als den Tod finden wir überall…
Vierter Teil: …und wenn wir zusammen musizieren, so wäre dies wohl fantastisch