vonDetlef Guertler 11.12.2010

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Es kommt sehr, sehr selten vor, dass an einem Wort das Schicksal eines gesamten Kontinents hängt.
Eine dieser sehr, sehr seltenen Gelegenheiten ist jetzt. Der Kontinent, um den es geht, heißt Europa. Und das Wort, um das es geht, heißt auf Englisch “fiscal union”. Daran, wie es auf Deutsch übersetzt wird, entscheiden sich Wohl oder Wehe des Euro, und damit auch der Europäischen Union.
Aber der Reihe nach.
Zuerst einmal das Szenario: Die gemeinsame Währung Euro hat im vergangenen Jahrzehnt die Volkswirtschaften der Eurozone so weit auseinander gezerrt, dass jetzt grausame Wettbewerbsfähigkeitsabgründe zwischen ihnen gähnen. Insbesondere die Südstaaten Griechenland, Spanien und Portugal zeigen sich absolut unfähig, die 20 Prozent Wettbewerbsnachteil, die sie sich in der Euro-Ära angefressen haben, jetzt wieder abzuschmelzen. Das mag kulturelle Gründe haben, wie hier bereits des öfteren behauptet – die mediterranen Südis finden mit den Hansestaaten des Nordens einfach keine gemeinsame ökonomische Linie; oder es mag daran liegen, dass die Nachzügler immer noch auf ein Wunder hoffen, dass sie also jemand rauspaukt – in Abwandlung des alten Spruchs von Gary Lineker: Eine EU-Krise dauert immer bis zum Krisengipfel, und am Ende zahlen die Deutschen. Aber die Gründe mögen für den Moment egal sein, es geht ums Ergebnis, und da funktioniert die Währungsunion eben nicht, vergrößert die Ungleichheiten und führt unweigerlich zu einem Krach.
Für diesen Krach gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten: Entweder fliegt der Euro auseinander, ob in zwei oder in 16 Teile, oder es kommt zu einer Fiskalunion. Dass der Euro auseinanderfliegt, behaupten viele Ökonomen (auch der Talkshow-Ökonom Hans-Olaf Henkel, der allerdings noch nie auch nur mit irgendetwas recht gehabt hat), aber Angela Merkel schließt das so fest aus, fester geht nicht. “Fällt der Euro, fällt auch die Europäische Union” hat sie gerade erst gestern gesagt, und das werde sie nicht zulassen. Neben ihr stand Nicolas Sarkozy, unterstützte sie scheinbar voll und ganz und inhaltsgleich: Frankreich “verteidigt den Euro, denn der Euro ist Europa”. Der feine Unterschied: Mit der Verteidigung kann man schon mal scheitern, ohne dass deswegen der Kontinent untergeht – wenn der Gegner also zu übermächtig wird, wird Frankreich kapitulieren und das letzte, teuerste Wegstück den Deutschen überlassen, die eben noch die Franzosen in Treue fest neben sich wähnten.
Wenn also der Euro nicht auseinanderfliegt, geht das nur mit einer Fiskalunion. Was an diesem Wochenende Wolfgang Schäuble so deutlich wie noch nie ausgesprochen hat, nämlich im Interview mit dem Wall Street Journal:

WSJ: One could argue that the current crisis would be less severe if Europe had a common fiscal policy.

Mr. Schäuble: Yes, it could be that we’re a bit slow in our reactions because of the very particular structure that we have. We have a common monetary policy but no European fiscal policy. But overall, European integration is a great and innovative achievement. To take a continent that for centuries was caught up in wars, and to build something common out of peoples who hold tightly to their national identities — this is historically necessary. The nation state as the sole level of policy-making has exhausted its effectiveness.

WSJ: Will this crisis lead to a fiscal union?

Mr. Schäuble: We will certainly have to learn lessons from it. Sometimes it takes crises so that Europe moves forward. In this crisis, Europe will find steps toward further unification.

Fiskalunion also. Die Ökonomen werden alle so tun, als wüssten sie was das heißt. So etwas ähnliches wie das, was Wolfgang Münchau in der FTD schreibt, nämlich eine:

echte Wirtschaftsunion mit gemeinsamen europäischen Anleihen, einem kleinen gemeinsamen Haushalt und einer gemeinsamen parlamentarischen Kontrolle. Dazu gehört auch eine Strategie zum Schuldenabbau in der europäischen Peripherie. Um die Probleme der Währungsunion strukturell zu lösen, bedarf es also eines für Deutsche unvorstellbaren Ausmaßes an politischer Union.

Da haben wir also schon zwei weitere Wörter, nämlich die Wirtschaftsunion und die politische Union. Beide sehr unkonkret, was ja durchaus gewollt sein könnte, um den Wählern und Steuerzahlern nicht allzu deutlich zu machen, worum es da eigentlich geht. Was aber nicht so einfach sein dürfte, denn die Gegner allerorten haben sich schon mit den entsprechenden Begriffen gewappnet. An der Peripherie spricht man bereits vom Vierten Reich oder auch dem dritten Versuch der Deutschen, nach 1914 und 1939, sich Europa einzuverleiben. In Deutschland hingegen spricht man dünnlippig von der Transferunion, bei der Deutschlands Ameisen den mediterranen Grillen das Tanzen finanzieren, was ein braver deutscher Verfassungsrichter niemals erlauben wird.

Gegen solche einprägsamen Hammer-Begriffe kann sich eine blutleere Fiskalunion niemals durchsetzen – weder als Begriff noch als Projekt. Es muss ein anderer Begriff her, wenn Europa als Kontinent nicht nur geografisch, sondern auch politisch Bestand haben soll. Ich habe ihn noch nicht gefunden, denke in verschiedene Richtungen, will aber die Debatte nicht zu sehr vorstrukturieren – gut möglich immerhin, dass der passende Begriff aus einem ganz anderen Wortfeld kommen kann, das möchte ich nicht abwürgen; werde mich aber natürlich auch bald einschalten.

Hier, von dieser Stelle aus kann das europäische Projekt gerettet werden, und ihr könnt sagen, ihr seid dabeigewesen. Wer macht mit?

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