vonFred Hüning 17.12.2025

FKK – Foto, Kunst & Kapriolen

Fred Hüning, Fotograf & Tagedieb, sitzt in einer einsamen Blog-Hütte im Brandenburgischen und schreibt und fotografiert für sein Blog-Buch.

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Eine kurze Vorbemerkung: Für den Verfasser dieser Zeilen aka mich persönlich ist Marina Abramović der größte lebende Künstler. Ich sage das hier absichtlich so falsch und politisch unkorrekt – damit niemand auf die Idee kommt, ich meinte lediglich die Größte aller weiblichen Künstlerinnen. Und nun möchte ich – angeregt von der groß angelegten Übersichtsschau in der ALBERTINA MODERN das AVE MARINA singen und beten.

AVE MARINA

Gegrüßet seist du, Marina,
voll begnaded,
das Feuer ist in dir.

Gebenedeit bist du unter den Künstlerinnen
Gebenedeit ist die Wucht deines Leibes, Ulay

MARINA VOLL DER GNADE

Sie ist ein „don’t try this at home“ – Artist, eine Hochleistungssportlerin in der Arena der Kunst, hart gegen sich selbst, kompromisslos, unerschrocken, einzigartig. Sie ist die perfekte Verschmelzung  von ARTIST (das englische Wort) und ARTISTIN (das deutsche Wort). Sie ist die Werner Herzog unter den bildenden KünstlerInnen. Und wie sonst nur Werner Herzog ist sie eine begnadete Erzählerin, vermischt Wahrheit und Legende, macht keine halben Sachen. Immer wieder nur knapp dem Tode entronnen bei ihren legendären Performances,  dabei ist sie in keiner Weise lebensmüde (Zitat aus Marina Abramovic. An artist’s life Manifesto: An artist should not commit suicide). Also, ganz so existenziell lebensgefährlich war es dann wohl doch nie, aber: Wenn die Legende besser ist als die Wahrheit, drucken wir die Legende oder wie Werner Herzog sagen würde: Die ekstatische Wahrheit (Zitat aus Marina Abramovic. An artist’s life Manifesto: An artist should not lie to himself or others). Marina lebt Eros und Thanotos in einer Person. Im Spätwerk mischt sich (meine Minderheitenmeinung) etwas Esoterik unter die Erotik, aber trotzdem: es steckt immer noch eine Menge EROTIK in ESOTERIK (Zitat aus Marina Abramovic. An artist’s life Manifesto: An artist’s relation to the erotic: An artist should develop an erotic point of view on the world. An artist should be erotic).

Und was gibt es aus mehr als 50 Jahren Schaffen alles zu sehen oder besser: zu erleben, zu erfahren, zu erspüren?

Zunächst eine Triggerwarnung an alle Smartphone-Junkies (also praktisch an alle): Während man an der ersten Stationen der Schau noch nach Herzenslust seinem Instagram Zucker geben kann (es gibt sehr viel fotogenes zu schauen – but: better look before you shoot), wird euch bei den Räumen mit den Live – Reenactments durch NachwuchsperformerInnen das Smartphone nicht nur abgenommen, nein noch fieser, es wird in eine schicke (kleiner Trost) Albertina-Papiertüte gesteckt, die man dann selbst herumtragen muss, ohne das man es benutzen darf (Zitat aus Marina Abramovic. An artist’s life Manifesto: An artist should suffer).

Marina und Ulay, eines der heissesten (im Guten wie im Bösen) Liebespaare der Kunstgeschichte, küssen sich bis zum Umfallen (Zitat aus Marina Abramovic. An artist’s life Manifesto: An artist’s relation to his love life: An artist should avoid falling in love with another artist).

Ulay (immer wieder Ulay, Ulay, Ulay, Partner in Crime für 12 Jahre) zielt mit Amors Pfeil auf Marinas Herz. Den Bogen dazu spannt sie selbst. dann lassen sich beide nach hinten fallen, hochseilartistenartige Gefahrensuche, nur für Profis. Ein Paar wie Pech und Schwefel. Eros zeugt mit Thanatos ein Kind namens Kunst.

Marina sitzt, besser: thront, auf einem Berg blutig-fleischig-fauliger Rinderknochen und schrubbt diese stundenlang, tagelang sozusagen bis auf die Knochen ab, dabei jugoslawische Totenlieder singend. Dafür erhält sie 1997 den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig. Ein Statement gegen jeden Krieg (Zitat aus Marina Abramovic. An artist’s life Manifesto: An artist should not kill other human beings). Ein Bild, ein Werk das bleibt!

Ein nackter Performer liegt unter einem lebensgrossen Skelett, mit jedem Atemzug dem Tod eine Sekunde näher. Von Marina in der Performance „Nude with Skeleton“ bestimmt mit einem echten Skelett performt 2002, und später dann von Florentina Holzinger (by-the-way eine würdige Nachfolgerin) in ihren Stücken kongenial zitiert, nicht gestohlen (Zitat aus Marina Abramovic. An artist’s life Manifesto: An artist should not steal ideas from other artists)

Zum Ende der Tour de Force durch die Ausstellungsräume kann das geneigte Publikum dann in stundenlanger Stillarbeit (Zitat aus Marina Abramovic. An artist’s life Manifesto: An artist’s relation to silence: An artist has to create a space for silence to enter his work. Silence is like an island in the middle of a turbulent ocean) Reiskörner von Linsen trennen und damit dann Kreise legen, mönchische Übung in Geduld und Demut. Nicht mein Ding (vielleicht bin ich einfach noch nicht bereit), aber Marina möchte eben alle ins Boot holen, auch die Nicht-Kreativen … Jede/r ist ein Künstler, das ist auch ihre Nähe zu Beuys, der ihr Vater, Vorbild, Freund war/ist.

Apropos, Beteiligung des Publikums: Die BesucherInnen können sich auf Kristalle legen, ihr Füsse in steinerne Schuhe stecken (und nur im Geist damit auf Wanderschaft gehen) und sie können sich zwischen eine nackte junge Frau und einen nackten jungen Mann hindurchzwängen, um in den nächsten Raum zu gelangen (Live – Reenactment von Imponderabilia, 1977). Bei meinem Besuch der Ausstellung bin ich einen komplizierten Umweg gegangen, um nicht durch die beiden Nackten hindurch zu müssen. Ich finde Imponderabilia genial, mir reicht aber völlig mein Wissen darum, muss es nicht selbst ausprobieren in Gegenwart anderer. Wäre ich 1974 in Neapel bei der legendären Spiel-mir-das-Lied-vom-Tod-Performance Rhythm 0 dabei gewesen, ich hätte (da bin ich mir sicher) keines der 72 Werkzeuge (ganz viel Thanatos und nur wenig Eros) an Marina ausprobiert und wäre sofort nach Ausbruchs des Gewalt-Vulkans (wir sind in Neapel) die Galerie verlassen. In diesem Sinne bin ich als größter Bewunderer (da bin ich nicht alleine) gleichzeitig das wohl schlechteste Publikum für Marina (Gottseidank liebt sie Widersprüche), denn sie sagt: „Ohne Publikum kann ich nichts tun, ich brauche seine Energie. Ehe ich beginne, tue ich nichts anderes, als die Menschen anzusehen; so nehme ich ihre Energie auf. Während meiner Aktion verarbeite ich diese Energie emotional und gebe sie durch meine Performance dann wieder ab bzw. an die Menschen zurück.“

Liebe LeserInnen, seien Sie bitte ein besseres Publikum als der Verfasser dieser Zeilen, schauen sich unbedingt diese Ausstellung (bis 1. März 2026) an und geben und empfangen sie ganz viel Energie für das neue Jahr.

Und bevor es jetzt eigene Eindrücke und Pressebilder zur Ausstellung zu sehen gibt, erneut der Hinweis:

DIESER BEITRAG ENTSTAND IM RAHMEN EINER PRESSEREISE AUF EINLADUNG DER ALBERTINA.

MUNCH MODERN: Ein Schrei geht um in Wien © Fred Hüning

Der letzte Schrei, hier vor der Oper (ein weiteres Feld von Marina) © Fred Hüning

Clever-geniales Reklamemotiv, stadtweit plakatiert © Fred Hüning

THE ARTIST IST PRESENT – für die von Bettina M. Busse kuratierte Ausstellung in der Albertina Modern kongenial auf- bzw. nachbereitet © Collage/Bearbeitung: Fred Hüning

MARINA TOTAL (Zitat aus Marina Abramovic. An artist’s life Manifesto: An artist should not make themselves into an idol) © Collage: Fred Hüning

Pressematerial:

Marina Abramović | The Hero, 2001 | Courtesy of the Marina Abramović Archives, and Galeria Luciana Brito © Courtesy of the Marina Abramovic Archives / Bildrecht, Wien 2025

Live – Reenactment von „Nude With Skeleton“ durch NachwuchsperformerInnen | Foto © Rainer Iglar

Zitat aus Marina Abramovic. An artist’s life Manifesto: An artist has to be aware of his own mortality. An artist should die consciously without fear.

Marina Abramović / Balkan Baroque, Juni 1997 / Performance, 4 Tage, 6 Stunden, 47. Biennale von Venedig / Courtesy of the Marina Abramović Archives, and Lisson Gallery © Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025

Ulay / Marina Abramović | Imponderabilia, 1977 | Courtesy of the Marina Abramović Archives | © Ulay/Marina Abramović. Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025; Foto: Giovanna dal Magro

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