vonFred Hüning 31.01.2025

FKK – Foto, Kunst & Kapriolen

Fred Hüning, Fotograf & Tagedieb, sitzt in einer einsamen Blog-Hütte im Brandenburgischen und schreibt und fotografiert für sein Blog-Buch.

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ANDREA PICHL – WERTEWIRTSCHAFT 

Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart
Invalidenstraße 50/51, 10557 Berlin-Mitte
Di, Mi, Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
8. November 2024 – 4. Mai 2025

Im Mai 2023 habe ich an dieser Stelle von der „Schönheit alltäglicher Dinge“ (Blog-Beitrag IM RAUSCH DER FARBEN) anhand der Sitzkissen der Adventskirche Neuglobsow geschwärmt. Diese Kissen wurden aus übrig gebliebenen DDR-Stoffresten hergestellt und ein Muster habe ich schöner als das andere empfunden und nur diesen Farbrausch fotografiert. Genau diese DDR-Stoffmuster füllen jetzt – aneinander genäht – die riesige Kleihueshalle des Hamburger Bahnhofs und bilden einen Vorhang, durch den man die augenöffnende Welt von Andrea Pichl (Jahrgang 1964 und damit mal überraschenderweise keine „noch-grün-hinter-den-Ohren-Kunstdurchstarterin“, sondern eine gestandene Künstlerin) betreten kann, um altbekannte Dinge ganz neu wahrnehmen zu können.

Oder in den gesalbten Worten der Presseerklärung:

„Andrea Pichls Einzelausstellung „Wertewirtschaft“ befasst sich mit dem ökonomischen Transfer zwischen West- und Ostdeutschland während der deutschen Teilung und danach. Die eigens für die Präsentation entwickelte architektonische Intervention untersucht das Verhältnis von Dekoration und politischer Herrschaft sowie die Auswirkungen des Endes der DDR Diktatur 1989/90 und der Vereinigung mit der BRD: Ein monumentaler Vorhang trennt die Kleihueshalle in zwei Hälften, in denen sich vier begehbare schwarze Skulpturen in Form von Bungalows befinden. In ihnen begegnen den Besucher*innen die Themen der Ausstellung anhand von Zeichnungen, Projektionen und Objekten der Künstlerin.

Andrea Pichl beschäftigt sich mit Normen und Standards in der Alltagsarchitektur und arbeitet mit den gesellschaftlichen Vorstellungen, die sich in diesen Richtlinien widerspiegeln. Der Titel von Pichls Ausstellung im Hamburger Bahnhof verweist auf Joseph Beuys Werkgruppe „Wirtschaftswerte“ (ab Mitte der 1970er-Jahre), für die er überwiegend aus der DDR stammende Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände verwendete. Pichls architektonische Intervention in der Kleihueshalle beruht auf Bungalows, die Westdeutsche über Kataloge der Genex Geschenkdienst GmbH für Freund*innen und Verwandte in Ostdeutschland bestellen konnten. Dieser Versandhandel, 1956 von der DDR-Führung eingeführt und später dem Bereich Kommerzielle Koordinierung unterstellt, diente der Beschaffung dringend benötigter Devisen für die sozialistische Planwirtschaft.

Jeder der vier Bungalows dient als Kabinett für weitere Arbeiten der Künstlerin. Während in einem Bungalow ein auf Beton gedrucktes Foto hängt, das Mitarbeiterinnen der Staatssicherheit der DDR bei einer YogaÜbung zeigt, sind in einem anderen Zeichnungen von Details aus de Büro von Stasi-Minister Erich Mielke sowie von Häuserfassaden in der Waldsiedlung Wandlitz zu sehen. Hier haben hochrangige Politiker*innen gelebt, die den Überwachungsstaat der DDR maßgeblich aufgebaut haben. Die Harmlosigkeit und Banalität dieser von Pichl hervorgehobenen Motive steht im starken Kontrast zur Machtausübung und den Verbrechen, die ihre Bewohner*innen begangen haben. In den anderen beiden Bungalows geht es um die gestalterische Aneignung modularer Gebäudetypen durch ihre Bewohner*innen. Die Videoprojektion „Zeitgeist“ (2014) zeigt menschenleere Ansichten von Wohnanlagen.“

 

PAUL GRAHAM – VERDIGRIS  

Galerie carlier | gebauer
Markgrafenstraße 67
D-10969 Berlin

18.01.-21.02.2025

Paul Graham (geb. 1956 Stafford) ist ein in New York City lebender und arbeitender Fotograf, der in den letzten vier Jahrzehnten ein bedeutendes Werk geschaffen hat, schreibt seine Galerie Galerie carlier | gebauer im Pressetext und: das stimmt! 

In Deutschland spärlich bis garnicht (c/o – Berlin etc.) ausgestellt, ist diese Soloshow in Berlin unbedingt zu empfehlen. 1998 hat Graham mit der Arbeit / dem Buch „End of an Age“ eine Bildästhetik erschaffen, die der deutsche Fotokünstler Tobias Zielony dann in den 2000er-Jahren für sich weiterentwickelt hat und bis heute stur beibehält. Graham dagegen entwickelt scheinbar für jedes seiner Projekte eine eigene Bildästhetik. Seine Projekte funktionieren immer sowohl an der Wand als auch im Buch, was aus meiner Sicht das größte Qualitätsmerkmal dieses Ausnahmekünstlers ist. In der Galerie liegen etliche – der meist lange schon vergriffenen – Künstlerbücher zum Anschauen und Studieren (für den interessierten Fotonachwuchs).

Also bitte hingehen (kostet: nichts), schauen und staunen!!!

BÖSE BLUMEN

Sammlung Scharf-Gerstenberg
Schloßstraße 70, 14059 Berlin-Charlottenburg
Mi – So 11 – 18 Uhr
12. Dezember 2024 – 4. Mai 2025

Fünf Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kommentiert der deutsche Komponist Karlheinz Stockhausen diese bei einer Pressekonferenz in Hamburg mit den Worten „Also, was da geschehen ist, ist natürlich – jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat.“  Danach (noch vor Anbruch des  Zeitalters der SHIT STORMS) wurde er in der (westlichen) Welt auf Lebzeiten zur Persona-non-grata erklärt. Hätte er diese Erklärung doch besser nur seinem engsten Künstlerfreundeskreis gegenüber im Privaten geäußert! Die hätten verstanden, was Stockhausen ausdrücken wollte: die ungeheure, weltweite BILDWIRKUNG der brennenden Türme, die kein noch so großes Kunstwerk (nicht einmal die – eh fade – Mona Lisa) jemals zu erreichen in der Lage sein wird.

Mit Hinweis auf das Stockhausen-Zitat stellt die Sammlung Scharf-Gerstenberg in der absolut empfehlenswerten Ausstellung BÖSE BLUMEN hier einfach mal Pressebilder des 11. September, Bildern von Atompilzen und Makroaufnahmen des Corona-Virus gegenüber und erklärt diese zu BLUMEN DES GRAUENS. Dies ist nicht etwas das Werk eines Künstlers/einer Künstlerin (die zu der genialen Idee auch eine adäquate Installation erstellt hätten), sondern offenbar vom Kuratoren – Team zusammengestellt (schade, denn so bleibt es nur die geniale Idee).

Außerdem gibt es – passend zum Ausstellungspaten Mister-Blumen-des-Bösen-Charles Baudelaire gibt es versaute Blumen, Mumien von Gundula Schulze Eldowy, böse blickende Blumen-Mädchen von Alexander Kanoldt und und und … da müssen Sie, liebe BlogleserInnen, schon mal selber gucken gehen …

© Zusammenstellung diverser Bildquellen: Sammlung Scharf-Gerstenberg

 

 

 

© Gundula Schulze Eldowy

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